Möchte die Ideen von Diversität und der Verflachung von Hierarchien an das Wiener Burgtheater verpflanzen: Stefan Bachmann, derweil noch Intendant in Köln.

Foto: Christian Fischer

Die Abkehr vom Programm seines Vorgängers scheint tiefgehend. War unter Martin Kušej der Gebrauch der Abkürzung "Burg" fürs Burgtheater unter Strafandrohung verpönt, möchte Stefan Bachmann – noch Intendant des Kölner Schauspiels – das Wort wieder aus der Mottenkiste holen. Einer kleinen Runde von Journalisten stand und saß der Schweizer Rede und Antwort.

STANDARD: Sie haben von einer Art Rückkehr nach Wien gesprochen. Welche Wiener Eigenarten haben Sie am meisten vermisst?

Bachmann: Das Wiener Lebensgefühl. Darunter verstehe ich etwas Schwarzhumoriges: Man lacht im Angesicht des Todes. Damit kann man auch im Alltag gut leben.

STANDARD: Ihre ersten Arbeiten in Wien liefen in den 1990ern im Schauspielhaus. Welche Entwicklung haben Sie seither durchlaufen? Anfangs wurden Sie in einem Popkontext verortet.

Bachmann: Pop ist meine künstlerische Sozialisation. Mein Zugang hat sich gar nicht grundlegend geändert, auch wenn die Aufführungen, die ich inszeniere, heute anders aussehen. Selbstbeschreibungen sind schwierig, auch weil ich mich bei mir selbst nicht immer auskenne. Die Spanne ist groß: Mal ist es psychologisch-realistisches Theater, wenn es die Erzählung erfordert – inszeniere ich hingegen ein Stück von Rainald Goetz, fühle ich mich provoziert, dafür eine neue, musikalische Form dafür zu finden.

STANDARD: Gefragt ist die angemessene Haltung?

Bachmann: Es geht mir darum, mich auf den jeweiligen Stoff einzulassen. Ich kann auf Tools zurückgreifen, die ich in einer Art Baukasten gesammelt habe. Ich arbeite seit einiger Zeit mit einer bestimmten Truppe zusammen. Olaf Altmann ist für die Bühne zuständig, Sven Kaiser für die Musik, Sabina Perry ist mehr als nur meine Choreografin, eher schon Co-Regisseurin. Sie erarbeitet mit den Schauspielerinnen ein Bewegungsvokabular, das so für das normale Sprechtheater gar nicht vorgesehen ist. Dabei entsteht eine eigene expressionistische Form.

STANDARD: Dieses Team wird Sie begleiten?

Bachmann: Das ist auf jeden Fall mein künstlerisches Team. Ich unterscheide zwischen dem Intendanten Stefan Bachmann und dem Regisseur gleichen Namens. Warum? Die Rolle ist jeweils eine andere. Das eine hat viel mit Management, Leitung und Führung zu tun, das andere mit Kunst. Ich muss zusehen, dass ich die beiden Rollen nicht miteinander verwechsle.

STANDARD: Werden Sie Ihre Frau, die Schauspielerin Melanie Kretschmann, im Falle ihrer Mitwirkung bei den Bundestheatern anmelden?

Bachmann: Ich arbeite mit meiner Frau seit 22 Jahren zusammen. Es sind viele meiner Arbeiten in Wien unter ihrer Mitwirkung entstanden. Es kam in Köln zu einer Situation, in der diese Konstellation als problematisch empfunden wurde. Ich habe die Sache mit einer Mediatorin bearbeitet, habe selbst Coachings absolviert – und Lehren daraus gezogen. Ich bin sensibel geworden, was das Machtgefälle betrifft. Es muss ein Bewusstsein entstehen: Was löse ich aus, wenn ich so oder so agiere? Natürlich ist meine Frau eine Künstlerin und soll nicht Däumchen drehen. Dazu gibt es eine Holding und einschlägige Bestimmungen, und das ist auch sehr gut. Ob sie am Wiener Burgtheater spielen soll? Ich kann mir das sehr gut vorstellen, wenn das besprochen ist und offen gehandhabt wird.

STANDARD: Kommt mehr Pop ans Burgtheater?

Bachmann: Pop hat für mich schon immer bedeutet, mehr Menschen anzusprechen. Meine Utopie einer guten Inszenierung bestand nie allein darin, Besucherinnen mit einer großen Kennerschaft anzusprechen. Ich erreiche auch solche, die diese Kennerschaft nicht mitbringen. Auf heute übersetzt meint das: Unsere Gesellschaft entwickelt sich sehr stark in Richtung Diversität. Es existiert aber auch ein sehr starkes, drängendes Bedürfnis bestimmter Menschen, anders vorzukommen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Bachmann: Wir betreiben in Köln ein Projekt namens "The Next Generation". Da werden Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung auf die Aufnahmeprüfungen von Schauspielschulen vorbereitet, von Spezialisten, aber auch von unseren Schauspielerinnen. Irgendwann wird eine Schauspielschule eine solche Person aufnehmen! Dann steht sie für die Bühne zur Verfügung. Mit solchen Zeichen des "Empowerment" muss ein zeitgemäßes Theater umgehen lernen. Dergleichen wird es in Wien geben, ja.

STANDARD: Wie wichtig sind denn noch Klassiker für ein Theater wie die Burg?

Bachmann: Theater steht für Erneuerung, Avantgarde, es kann aber auch ein bisschen Museum sein. Darum darf es nicht tot sein. Aber Klassiker müssen in einem solchen Gehäuse überleben. Ich setze mich gerne für den Artenschutz ein! Das Reclam-Heft – why not? Die Initiative geht von den Künstlern aus.

STANDARD: Sie versprechen flachere Hierarchien auch im Staatstheater. Was kann man sich darunter vorstellen?

Bachmann: Wir sprechen über Transformationsprozesse. Solche vollzieht man nicht mit Absichtserklärungen. Die Frage lautet: Wo stehen wir eigentlich? Man kann sich dabei von Experten begleiten lassen, wenn man so etwas umsetzen möchte. Das ist in der Wirtschaft gang und gäbe, und da bricht auch keinem Theater ein Zacken aus der Krone. Ich bin in einer Zeit sozialisiert worden, als das Bild des Theaterintendanten aus einem brüllenden Machtmenschen bestand. Mich stieß das immer ab: So hatte man zu sein, um sich durchzusetzen! Wir haben in Köln die Feststellung gemacht: Durch bewusstere, transparentere Führung erzielst du eine ganz andere Motivation und Dynamik im Betrieb. (Ronald Pohl, 21.12.2022)