Die Entscheidung des US-Höchstgerichts sorgte für viel Wut und Proteste.

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Es war der große Erfolg der Abtreibungsgegner: Am 24. Juni 2022 kippte der U.S. Supreme Court das bis dahin aus der Verfassung abgeleitete Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Ein Verlust an Rechten, den viele Schwangere ganz unmittelbar spürten – und der viel Wut und Proteste auslöste.

An die Stelle des Urteils im Gerichtsfall Roe v. Wade aus dem Jahr 1973, mit dem Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus grundsätzlich erlaubt worden waren, trat nun Dobbs v. Jackson Women's Health Organization oder, wie es oft nach dem vor Gericht siegreichen Gesundheitsbeamten des Staates Mississippi Thomas Dobbs heißt, die Dobbs-Entscheidung. Bundesstaaten dürfen seit dem Supreme-Court-Urteil Schwangerschaftsabbrüche wieder verbieten.

Entgegen den Umfragen

Umfragen zeigten schon zuvor, dass eine Mehrheit der US-Bevölkerung das Recht auf Abtreibung unterstützt – oder zumindest völlige Verbote fast ohne Ausnahmen, wie einige republikanische Staaten sie vertreten, ablehnt. Und auch wenn Einzelerklärungen für Wahlergebnisse immer mit Vorsicht zu genießen sind: Ohne die Dobbs-Entscheidung hätten sich die Demokraten wohl schwerer damit getan, bei den Midterm-Wahlen im November den Senat zu verteidigen und die Verluste im Repräsentantenhaus so gering zu halten.

Was aber hat sich seit Ende Juni konkret auf gesetzlicher Ebene, vor Gericht und an den Wahlurnen getan? Wo gelten nun welche Gesetze?

Eigentlich ging man davon aus, dass Abtreibungen schon bald nach dem Urteil in der Hälfte des Landes illegal werden könnten. Verboten sind sie nun in 13 US-Bundesstaaten: Alabama, Arkansas, Idaho, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, Oklahoma, South Dakota, Tennessee, Texas, West Virginia und Wisconsin. In den meisten dieser Bundesstaaten gibt es nicht einmal eine Ausnahme in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest.

Einschränkungen gibt es in mehreren anderen Bundesstaaten. In Georgia gilt ein Abtreibungsverbot ab der sechsten Woche – einem Zeitpunkt, an dem viele Betroffene überhaupt noch nicht wissen, dass sie schwanger sind. In Arizona, Florida, North Carolina und Utah sind Abtreibungen noch bis zu einer Schwangerschaftsdauer von 15 bis 20 Wochen erlaubt. In den übrigen Bundesstaaten gilt meist eine Beschränkung bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, etwa zwischen der 23. und der 25. Schwangerschaftswoche.

Rückschläge bei Referenden

Allerdings: Dass die Verbote in vielen Fällen nicht mehrheitsfähig sind, zeigte sich schon bald. Als erster Lackmustest galt ein Referendum im konservativen Bundesstaat Kansas, wo am 3. August über einen Zusatz zur Verfassung abgestimmt wurde. Dieser hätte einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2019, der das Abtreibungsrecht unter Berufung auf die Bundesstaatsverfassung gestützt hatte, aufgehoben. Am Ende einer aufwendigen und teuren Wahlkampagne beider Seiten stand eine Überraschung: Fast 59 Prozent der Teilnehmenden lehnten die Änderung ab – viel mehr als vorher angenommen. Abtreibungen bleiben in Kansas damit bis zur 22. Schwangerschaftswoche legal.

Weitere Abstimmungsniederlagen für Konservative setzte es dann bei den Midterm-Wahlen. In den Bundesstaaten Kalifornien, Michigan und Vermont votierte eine Mehrheit dafür, das Abtreibungsrecht in der Verfassung der Bundesstaaten zu verankern. Die Demokraten hatten den Vorschlag dort auf die Agenda setzen lassen, um ihre Anhängerinnen und Anhänger an die Urnen zu locken.

Im konservativen Kentucky lehnte eine Mehrheit einen Antrag auf ein noch umfassenderes Abtreibungsverbot ab. Dieser sah vor, die Verfassung des Bundesstaates um folgenden Zusatz zu ergänzen: "Um das menschliche Leben zu schützen, darf nichts in dieser Verfassung so ausgelegt werden, dass es ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch sichert oder für deren Finanzierung sorgt."

Auch im Bundesstaat Montana waren Abtreibungsgegner mit einer Gesetzesinitiative erfolglos, die allerdings eher Verwirrung gestiftet hatte. Der Text sah vor, medizinisches Personal zu bestrafen, wenn nicht alle Maßnahmen unternommen werden, "lebend geborene Kinder" am Leben zu erhalten. Die Initiative, die als Abtreibungsregelung verkauft wurde, hatte damit nahegelegt, dass bei Abtreibungen lebend geborene Kinder getötet würden. Zu jenem Zeitpunkt der Schwangerschaft, nach dem Föten möglicherweise lebensfähig sind, sind Schwangerschaftsabbrüche in Montana aber schon bisher illegal. Ärztinnen und Ärzte hatten gewarnt, ein Ja würde humane Palliativmaßnahmen für nicht lebensfähig geborene Kinder erschweren. Schließlich lehnten 52,5 Prozent den Vorschlag ab.

Postwegkontrollen, Abwasserprüfungen

Solche Ergebnisse haben bei manchen Konservativen für Nachdenken gesorgt, teils auch für eine Abmilderung von Wahlkampagnen. Anderen gehen die neuen Verbote noch nicht weit genug. Im Hinblick auf die Versendung von Abtreibungspillen wollen mehrere republikanisch geführte Bundesstaaten Ernst machen: In Texas wollen konservative Abgeordnete etwa Netzsperren für Internetseiten erreichen, auf denen die Medikamente bisher bestellt werden können – und auch für solche, auf denen Informationen über die Medikamente angeboten werden. Auch strengere Postwegkontrollen stehen im Raum.

Die Organisation Students for Life in America will noch einen Schritt weitergehen und mit Abwasseranalysen prüfen, wie viele Spuren von Abtreibungsmedikamenten sich in der Kanalisation von Städten befinden. Der Zweck: Sie will vor Gericht belegen, dass diese die Wasserversorgung belasten könnten, und so die Medikamentenbehörde FDA zu weitreichenden Verboten nötigen. Das würde dann das gesamte Bundesgebiet betreffen. Dem Verfahren werden juristisch wenige Chancen eingeräumt, denn während Medikamentenbelastung von Abwasser ein tatsächliches Problem sein kann, ist es unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Abtreibungspillen hier eine entscheidende Rolle spielen. Allerdings gilt die Idee als gute PR, um gegen die Medikamente Stimmung zu machen.

Gegner blockieren sich selbst

Überhaupt entscheiden in vielen Fällen auch nach dem Supreme-Court-Urteil die Gerichte. Neben den 13 Bundesstaaten, in den Abtreibungen bereits verboten ist, planten zehn weitere ein ähnliches Vorgehen: Arizona, Indiana, Iowa, Montana, Michigan, North Dakota, Ohio, South Carolina, Utah und Wyoming. Doch ihre Vorhaben wurden von Gerichten bisher blockiert.

Das hat verschiedene Hintergründe, teils auch solche, die eher kurios erscheinen: In Wyoming, einem von mehreren erzkonservativen Bundesstaaten, die bereits sogenannte Trigger Laws parat hatten, spielt Obamacare eine Rolle. Als Reaktion auf die Ausweitung der Gesundheitsversorgung durch den demokratischen Präsidenten Barack Obama (Patient Protection and Affordable Care Act, "Obamacare") stimmte eine Mehrheit der Bevölkerung Wyomings 2012 für einen Zusatz in der Landesverfassung, der festlegt, dass die Bürgerinnen und Bürger des Bundesstaats über ihre eigene Gesundheitsversorgung selbst entscheiden dürfen. Was die konservativen Obama-Gegner wohl nicht erwartet haben: Nun wird auch das Recht auf Abtreibung damit argumentiert.

Auch Utah hatte ein Trigger Law in der Schublade. Dort aber steht in der Verfassung, dass Bürger und Bürgerinnen das Recht haben, Form und Gestaltung ihrer eigenen Familie festzulegen. Erlaubt werden sollte damit den vielen Mormonen im Staat die Polygamie – nun nutzen aber auch Befürworterinnen von Abtreibungsrechten diesen Passus, um gegen ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vorzugehen.

Dennoch bleiben vielen Betroffenen wenig tröstliche Perspektiven. Wer etwa in Mississippi, Arkansas oder Louisiana wohnt, ist nun von anderen Bundesstaaten umgeben, in denen ebenfalls Abtreibungsverbote gelten. Eine Reise zu einer Klink in einem Bundesstaat ohne Verbot wäre weit, zeitraubend – und vor allem teuer. Sind Geld und Zeit nicht vorhanden, bleibt vielen nur eine Wahl: das ungewollte Kind zu bekommen. Oder auf eigene Faust zu handeln – mitten im 21. Jahrhundert, unter Lebensgefahr. (Noura Maan, Manuel Escher, 24.12.2022)