Albert Einstein, der wohl bedeutsamste Wissenschafter des 20. Jahrhunderts, nannte ihn den "größten Logiker seit Aristoteles" und war mit ihm viele Jahre lang in Princeton eng befreundet. Für den grenzgenialen US-Schriftsteller David Foster Wallace, der auch kurz Logik und Mathematik studiert hat, war er der "absolute Fürst der Finsternis der modernen Mathematik".

Die beiden sind nicht die einzigen großen Geister, die dem Logiker Kurt Gödel höchste Reverenz erwiesen. Vor kurzem erst war es der US-chinesische Forscher Yitang Zhang, der aus seiner Verehrung für Gödel kein Hehl machte. Der renommierte Primzahlenspezialist war extra wegen Gödel nach Wien gereist, musste aber zu seiner Enttäuschung feststellen, dass es an der Uni Wien kein Denkmal für den Logiker gibt. (Immerhin gibt es seit 2016 eine nach Gödel benannte Gasse, und die Wiener Wohnhäuser, in denen er lebte, haben allesamt Gedenktafeln.)

Der kleine "Herr Warum"

1906 in eine großbürgerliche Familie in Brünn geboren, fiel Gödel bald durch außerordentliche Wissbegierde auf, die ihm mit vier Jahren den Kosenamen "Herr Warum" eintrug und ihn in der Folge zum ausgezeichneten Schüler machte. 1924 kam er, inzwischen österreichischer Staatsbürger, zum Studium der Theoretischen Physik nach Wien. In einem damals höchst anregenden Umfeld – Stichwort Wiener Kreis – gelangen dem schüchternen Genie seine beiden Unvollständigkeitssätze, die ihn unsterblich machen und die Welt der Mathematik nachhaltig erschüttern sollten.

Stephen Budiansky, "Reise zu den Grenzen der Vernunft: Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik", € 29,50 / 451 Seiten. Propyläen, Berlin 2022
Propyläen

Dem US-Autor und Wissenschaftsjournalisten Stephen Budiansky gelingt es in seiner neuen Gödel-Biografie "Reise zu den Grenzen der Vernunft", auch nichtmathematischen Laien die Leistung dieser Jahrhundertbeweise didaktisch klug zu vermitteln. Er schafft es in seinem Buch aber auch, deren Folgen für die Mathematik, die Logik und die Informatik darzustellen. Ein besonderes Verdienst Budianskys ist es zudem, das jeweilige kulturelle und intellektuelle Umfeld Gödels in Brünn, Wien und dann in Princeton lebendig und mit vielen neuen Details zu rekonstruieren.

Natürlich finden sich auch alle berühmten Gödel-Anekdoten neu und gut erzählt im Buch – wie die von den Nazi-Attacken auf ihn, die von seiner Frau abgewehrt wurden; die Flucht mit der Transsibirischen Eisenbahn 1940 quer durch Asien bis in die USA oder sein Ansuchen um US-Staatsbürgerschaft, das beinahe vor dem zuständigen Richter daran gescheitert wäre, dass Gödel angeblich Widersprüche in der US-Verfassung entdeckt hatte, die es möglich machten, dass ein Diktator die Macht ergreift. (Der Spieltheoretiker Oskar Morgenstern und Albert Einstein haben ihn davon abgebracht; heute würde man angesichts von Donald Trump gern mehr über Gödels kritische Überlegungen wissen.)

Genie und Wahnsinn

Vor allem gibt sein Buch, dessen englisches Original 2021 zu Recht hoch gelobt wurde und seit kurzem in deutscher Übersetzung vorliegt, auf Basis bisher unbekannter Quellen neue Einblicke in das Leben des epochalen Denkers: etwa die lebenslange Nähe zu seiner Mutter etwa oder die sehr außergewöhnliche und buchstäblich lebensnotwendige Beziehung zu seiner Frau Adele.

Budiansky widmet sich aber auch einfühlsam den Krankheiten und psychischen Krisen, die Kurt Gödels Leben überschatteten und in seinem Fall die sprichwörtliche Nähe von Genie und Wahnsinn tragisch dokumentieren. Als Gödel, ab 1970 zunehmend unter Wahnvorstellungen und Vergiftungsängsten leidend, 1978 in Princeton starb, wog er gerade einmal 30 Kilo.

Logische Buchempfehlung

An Biografien über Kurt Gödel herrscht gewiss kein Mangel. Der Rezensent hat fünf – die von Rebecca Goldstein, von John Casi, von Werner de Pauli Schimanovich, Palle Yourgau und die semifiktionale von Yannick Grannec – gelesen, die allesamt gut sind. Die neue von Budiansky ist aber bisher wohl die umfassendste und beste. Macht eine logische Weihnachtsbuchempfehlung! (Klaus Taschwer, 22.12.2022)