Laut Renate Magerle flüchten viele ihrer Klientinnen vor körperlicher, aber auch vor psychischer Gewalt.

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"Wir hatten eine Frau, die drei Nächte im Bahnhofsklo in Kitzbühel geschlafen hat, weil sie nicht nach Hause konnte", erzählt Renate Magerle, Obfrau des Mädchen- und Frauenberatungszentrums St. Johann in Tirol. Die Geschichte ist kein Einzelfall: Rund 2.850 Mal haben sich Frauen im Jahr 2021 an die Beratungsstelle gewandt, viele Klientinnen flüchteten vor Misshandlung durch ihre Partner. "Da geht es um körperliche Gewalt, aber sehr oft auch um psychische", berichtet Magerle. Für besonders drastische Fälle wie den jener Frau, die am Bahnhof übernachtete, stellt der Verein Notwohnquartiere zur Verfügung. Dort können die Frauen mit ihren Kindern unterkommen. Für einige Tage oder auch Monate – bis sich eine sichere Unterbringung findet.

Ausgerechnet dieses regionale Netz an Notunterkünften schrumpft aber: Bis vor kurzem konnte der Verein noch acht Betten anbieten, die fast immer belegt waren – doch eine Wohnung mit zwei Plätzen fällt nun weg. "Wir mussten sie aus Kostengründen auflassen", bedauert Magerle. Für Tirol eine problematische Entwicklung – schon jetzt gibt es laut Erhebungen der autonomen Frauenhäuser zu wenige Unterkunftsmöglichkeiten für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder im Bundesland.

Knackpunkt Finanzierung

Seit mehr als zehn Jahren kämpft der Verein hinter dem Mädchen- und Frauenberatungszentrum St. Johann darum, im Bezirk Kitzbühel eine Anlaufstelle und Notunterkünfte für Frauen aufrechtzuerhalten. Entstanden sei das Zentrum aus privater Initiative, "da es im Bezirk einfach keine Anlaufstelle gab", erzählt Magerle. Die größte Herausforderung sei von Beginn an das Geld gewesen: 100.000 Euro fielen laut dem Verein für das Angebot jährlich an, der größte Teil werde für die Gehälter der beiden angestellten Sozialarbeiterinnen aufgewendet.

Renate Magerle (Zweite von links) engagiert sich seit mehr als zehn Jahren ehrenamtlich für den Verein.
Foto: Mädchen- und Frauenberatungszentrum St. Johann

Mehr als die Hälfte davon muss über private Spenden finanziert werden: Der Bund zahlt laut Magerle nur 5.950 Euro im Jahr, das Land 17.000 Euro, und die Gemeinden steuern insgesamt 18.700 Euro bei. "Und diese geben immer weniger", kritisiert die Obfrau. In einer Pressekonferenz im Oktober legte sie deshalb offen, mit wie viel Geld die umliegenden Kommunen den Verein jährlich unterstützen: Der größte Brocken kam mit 10.000 aus St. Johann, wo die Beratungsstelle verortet ist. Sechs Gemeinden steuerten gar nichts bei, die Bezirkshauptstadt Kitzbühel gerade einmal 1.000 Euro.

Kitzbühels Bürgermeister Klaus Winkler (ÖVP) erklärt auf Anfrage des STANDARD: "Ein Beratungszentrum ist sicher eine wichtige Einrichtung, die von der Stadt Kitzbühel entsprechend unterstützt wird, aber nur wenn es sich dabei um eine Bezirkslösung handelt." Außerdem subventioniere die Stadt bereits eine Familienberatungsstelle. Claudia Monitzer von der Oppositionsliste Unabhängige Kitzbüheler:innen lässt diese Argumentation nicht gelten: "Wir brauchen diese Anlaufstelle, und die Stadt Kitzbühel sollte sich daran finanziell in höherem Maße beteiligen." Was sie als besonderes Armutszeugnis empfindet: "wenn in einer reichen Stadt wie Kitzbühel bei einem 35-Millionen-Budget nur so wenig für diese bezirksweite Mädchen- und Frauenberatungseinrichtung vorgesehen ist".

Vonseiten des Landes Tirol hofft Obfrau Renate Magerle, in Zukunft höhere Fördergelder zu erhalten. Die 17.000 Euro für das kommende Jahr 2023 sind allerdings noch nicht final bewilligt, laut dem Land fehlen noch Nachreichungen vonseiten des Vereins. Die Schließung der Notquartiere bedauert die im September neu eingesetzte Frauen-Landesrätin Eva Pawlata (SPÖ): "Übergangswohnungen bieten Frauen und deren Kindern Schutz und Sicherheit und haben für mich daher oberste Priorität." Man sei mit dem Beratungszentrum in engem Austausch und arbeite an einer Lösung.

Bis dahin könnte es für die Frauen im Bezirk Kitzbühel aber schon eng werden. Und auch auf nächsthöherer Ebene – nämlich beim Bund – stößt der Verein auf weitere Hürden. Magerle kämpft seit Jahren darum, dass die Beratungsstelle als Frauenservicestelle anerkannt wird. Das würde eine deutlich höhere Förderung und Planungssicherheit auf je drei Jahre mit sich bringen. Dafür benötigt der Verein aber höhere Fördersummen von Gemeinden und Land. "Man wird ständig im Kreis geschickt", kritisiert Magerle.

Fehlendes Bewusstsein

Besonders sauer stößt der 75-Jährigen allerdings nach wie vor die fehlende Unterstützung aus der Region auf. Im Hintergrund sei das Hauptproblem, dass viele Bürgermeister in der Region – eine Bürgermeisterin gibt es im Bezirk Kitzbühel derzeit nicht – noch immer keinen Bedarf für eine solche Anlaufstelle erkennen wollen. Als das Projekt noch ganz am Anfang stand, habe ein Gemeindechef zu Magerle gesagt: "So etwas brauchen wir hier nicht. Sollen sie eben g'scheit tun, die Weiber!"

Dass es im Bezirk Kitzbühel sehr wohl Gewalt an Frauen, und das sogar in massivem Ausmaß, gibt, zeigte der Fünffachmord im Jahr 2019 auf tragische Weise. Ein damals 25-Jähriger erschoss seine Ex-Freundin, deren neuen Partner, Eltern und Bruder. Als Tatmotiv gab er Eifersucht an. Der Fall unterstreicht laut Magerle auch, dass Gewalt an Frauen kein importiertes Problem darstellt: Der Täter war ein Einheimischer. Laut Vereinsstatistik seien auch die meisten Klientinnen Österreicherinnen – und ebenso die Partner, vor denen sie Schutz suchen.

Hilfe vor Ort

Doch wieso kämpft Magerle, wie sie sagt, "auf Vollzeitbasis und ehrenamtlich", für die Beratungsstelle in Kitzbühel? "Jede dritte Frau erlebt mindestens einmal körperliche, sexuelle oder sexualisierte Gewalt", zitiert sie eine aktuelle Erhebung der Statistik Austria – und das betreffe auch ländliche Regionen. Mit dem Unterschied, dass die meisten Hilfsangebote vom Land aus schwerer erreichbar seien. "Gäbe es uns nicht, wäre das nächste Frauenberatungszentrum in Kufstein. Öffentlich braucht man aus vielen Orten im Bezirk mehr als zwei Stunden bis dorthin – in eine Richtung."

Und auch die Notbetten im Bezirk seien für die Frauen von großer Bedeutung: So können die Betroffenen mitunter weiterhin ihren Jobs nachgehen und müssen, wenn sie Kinder haben, diese nicht aus dem sozialen Umfeld reißen. "Das senkt die Hemmschwelle, den gewalttätigen Partner zu verlassen und sich Hilfe zu holen." Magerle hofft deshalb, auf lange Sicht doch noch mehr Rückhalt für die Arbeit ihres Vereins aus der Region zu bekommen – auch von politischer Seite. Für die weitere Finanzierung schlägt sie den Gemeindechefs eine einfache Rechnung vor. "Die Probleme wären gelöst, wenn jede Gemeinde pro Einwohner und Einwohnerin nur einen Euro gäbe!" (Antonia Rauth, 27.12.2022)