Nur wenige Minuten vor Fristablauf griff Benjamin Netanjahu zum Hörer seines Festnetztelefons und übermittelte dem Staatspräsidenten die Erfolgsmeldung: Israel bekommt eine neue Regierung.

Benjamin Netanjahu wird wieder einmal Israels Premierminister sein.
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Für Netanjahu höchstpersönlich mag es ein Erfolg sein: Seit 2019 hatte er mehrmals vergeblich versucht, eine stabile Regierung zu bilden. Nun ist ihm das, auch dank der Schwäche des Mitte-links-Lagers, gelungen. Für Israels Demokratie und Sicherheit ist diese Regierung jedoch eher ein hochriskantes Experiment. Netanjahus Partner, vier ultrareligiöse und rechtsextreme Parteien, haben vor allem die eigene Klientel im Sinn – und ordnen das Gesamtwohl gerne diesen Partikularinteressen unter.

Netanjahu selbst war nie ein glühender Ideologe. Als er in den 1990er-Jahren, damals aus der Opposition, gegen das Oslo-Abkommen mit den Palästinensern wetterte, tat er das zwar auch aus einer gewissen Überzeugung heraus; vor allem aber wusste er, dass es seine Chance für den Sprung an die Macht sein würde.

Nach der Ermordung des damaligen Premiers Yitzhak Rabin durch einen rechtsextremen Juden gewann er die Wahl. Heute, 26 Jahre später, holt der 73-Jährige erstmals jene Kräfte, die sich damals in den Kreisen des Rabin-Mörders bewegten, in die Regierung. Es sind überzeugte Rassisten und Nationalisten, und sie benutzen den primär an Machtzugewinn interessierten Netanjahu für ihre brandgefährliche Agenda.

Gelernter Architekt und Betriebswirt

Seit Beginn seiner Politkarriere war der Architekt und Betriebswirt, der mit seiner zweiten Frau Sara zwei erwachsene Söhne hat, vor allem ein brillanter Verhandler und Rhetoriker. Er hat seine Likud-Partei ganz auf seine Person zugeschnitten. Die Likud-Agenda besteht heute vor allem daraus, Netanjahu ohne Kratzer aus seinem Korruptionsverfahren zu befreien. Dafür braucht er Regierungsmacht. Dass seine neuen Koalitionspartner mit ihm an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die Justiz zu entmachten, kommt ihm gelegen.

Netanjahu wird sich einst nicht nur vorwerfen lassen müssen, die bisher tabuisierten Rechtsextremen in die Regierung geholt zu haben: Er gibt ihnen auch freie Hand, im besetzten Westjordanland einen rapiden Annexionskurs zu fahren – zulasten der palästinensischen Bewohner, aber auch zulasten der Sicherheit Israels. Warnungen vor einer neuen Eskalation, einem weiteren Krieg werden schon laut, noch bevor die Regierung angelobt ist. (Maria Sterkl, 22.12.2022)