127 Meter hoch, mit Tiefgarage für Busse und Pkws und einem steinernen Vorplatz für über 20.000 Menschen: Die Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes erlöst vor allem die Machtfantasien des orthodoxen Patriarchats.
Foto: Wojciech Czaja

Letzte Nacht hatte ich einen Traum", singt Dan Teodorescu, Komponist und Frontman der rumänischen Band Taxi. "Ich ging morgens in die Kathedrale, um nach Gott Ausschau zu halten, aber ich fand ihn nicht, obwohl ich sogar in den Mehrzweckräumen, in den zwölf Aufzügen und in der Tiefgarage nach ihm suchte. Kein Wunder, dass man ihn nicht findet, auf einer Fläche von elf Hektar Land."

"Gott wird nicht zu finden sein"

Im Refrain des 2016 erschienenen Chansons Despre Smerenie ("Über die Demut") stimmen schließlich knapp 70 rumänische Promis mit ein, darunter etwa Sänger, Künstlerinnen, Architektinnen, Schriftsteller, TV-Moderatoren, Sportlerinnen und Schauspieler aus Film und Bühne. Gott wird nicht zu finden sein, singen sie, zumindest nicht hier in der neuen Nationalkathedrale, die sich derzeit in Bau befindet, sondern ganz woanders, vielleicht in einer kleinen Holzkirche irgendwo oben auf einem Hügel. 67-mal ist der Refrain zu hören: "Ich glaube, Gott bevorzugt Holz, Holz und kleine Räume."

Der Bau der neuen rumänisch-orthodoxen Nationalkathedrale (Originalwortlaut Catedrala Mântuirii Neamului Românesc, Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes) schlägt seit Anbeginn schon Wellen der Empörung. Der Wunsch nach einem riesigen Gotteshaus in der Hauptstadt ist rund 130 Jahre alt und geht auf den rumänischen König Karl I. zurück. Nachdem der über zweieinhalb Jahrzehnte machthabende kommunistische Diktator Nicolae Ceaușescu in seiner Amtszeit ganze Bukarester Stadtviertel – darunter auch eine Vielzahl von Kirchen – hatte abreißen lassen, nahm die Idee nach seinem Tod am 25. Dezember 1989 erneut Fahrt auf.

Bereits der rumänische König Karl I. hegte vor 130 Jahren den Wunsch nach einem riesigen Gotteshaus in der Hauptstadt.
Foto: Wojciech Czaja

Erfahrung mit Shoppingmalls

Drei unterschiedliche Standorte standen jahrelang zur Diskussion, wurden von der Stadtregierung aufgrund der Ortsunverträglichkeit jedoch immer wieder abgelehnt. 2010 schließlich konnten sich Staat und Kirche einigen und beschlossen, die neue Nationalkathedrale direkt neben dem Ceaușescu-Palast, dem heutigen Palatul Parlamentului, zu errichten. Aus einem nationalen Wettbewerb ging Augustin Ioan, Architekt und Professor an der Ion-Mincu-Universität für Architektur und Stadtplanung (UAUIM), mit seinem Team an Studierenden als Sieger hervor.

Doch so weit sollte es nicht kommen. Das Projekt wurde gestoppt, stattdessen erteilte das rumänisch-orthodoxe Patriarchat, das bei diesem Mammutprojekt als Bauherr fungiert, einen Direktauftrag an das Ingenieurbüro Vanel Exim S.R.L., das mit Bahnhöfen, Krankenhäusern und zahlreichen Shoppingmalls im ganzen Land bereits reichlich Erfahrung im großmaßstäblichen Bau sammeln konnte. Und die ist hier vonnöten, denn mit 127 Meter Höhe und 127 Meter Länge ist die Nationalkathedrale die größte orthodoxe Kirche Europas. Die 407 Quadratmeter große Ikonostase aus Millionen goldenen Mosaiksteinchen fand sogar den Weg ins Guinness-Buch der Rekorde.

Chronisch unterversorgt

Die 407 Quadratmeter große Ikonostase aus Millionen Mosaiksteinchen fand den Weg ins Guinness-Buch der Rekorde. Amen.
Foto: Wojciech Czaja

"Es gibt für die Kathedrale kein historisches Vorbild, denn in diesen Dimensionen sind Kirchen im orthodoxen Christentum nicht verankert", sagt die Bukarester Architektin Adina Buzea. "Die Elemente, die hier verwendet wurden, sind entweder eine Weiterentwicklung und Neuinterpretation von römisch-katholischen Kirchen oder aber eine Vergrößerung und Aufblasung orthodoxer Versatzstücke bis zu einem Maßstab, der einfach nur lächerlich und übertrieben wirkt."

Kritisch sieht Buzea nicht nur die Architektursprache, sondern das Projekt an sich: "Aufgrund budgetärer Engpässe wurden in Rumänien in den letzten Jahren etliche Krankenhäuser geschlossen. Das Land ist mit Gesundheitseinrichtungen chronisch unterversorgt. Für eine Kirche in diesen Dimensionen aber ist das Geld da." Kolportierte Baukosten: 185 bis 300 Millionen Euro. Das Grundstück an der Ecke Calea 13 Septembrie und Strada Izvor, direkt neben dem Ceaușescu-Palast, wurde der – per Verfassung wohlgemerkt steuerbefreiten – Kirche kostenlos zur Verfügung gestellt.

"Es gibt für die Kathedrale kein historisches Vorbild, denn in diesen Dimensionen sind Kirchen im orthodoxen Christentum nicht verankert", sagt die Bukarester Architektin Adina Buzea.
Foto: Wojciech Czaja

Groteskes Gefüge

Das Bild im städtischen Gefüge ist grotesk. Inmitten eines sechs- bis achtspurigen Straßenrings, fernab von U-Bahn und infrastrukturellen Einrichtungen entstehen ein Gotteshaus für 7000 Besucher, ein steinerner Vorplatz mit beheizten Stufen und eine unterirdische Garage mit hunderten Pkw-Stellplätzen. Auf den Renderings am Bauzaun ist kein einziges Stückchen Grün zu sehen. Stattdessen überall Marmor, Beton und gülden glitzernde Kuppeln. Oder, wie dies der einstige Wettbewerbssieger Augustin Ioan in einem Interview formuliert: "Was hier entsteht, sieht alt und neu zugleich aus. Das ist Mittelmaß, korrupter Zynismus, Eitelkeit ohne Konsequenz. Dieses Projekt ist eine einzige Sünde."

Constantin Amâiei, Architekt im Planungsbüro Vanel Exim, hat vom Patriarchat einen Maulkorb verpasst bekommen und darf sich zum eigenen Projekt nicht äußern und keine Informationen zur Verfügung stellen. Das Patriarchat wiederum lehnt jedes Medieninterview ab und schickt stattdessen per Mail einen Haufen Links zu selbstherrlichen Artikeln auf der Website der orthodoxen Nachrichtenagentur, basilica.ro. Da erfährt man unter anderem, dass das Geläut in der Innsbrucker Glockengießerei Grassmayr hergestellt wurde. Mit 25 Tonnen Gewicht und 3,35 Meter Durchmesser handelt es sich dabei um die größte Schwingglocke Europas. Guinness-Buch der Rekorde.

Nationalkathedrale mit Weltrekorden: Die orthodoxe Nationalkathedrale in Bukarest.
Foto: Wojciech Czaja

Quantität statt Qualität

"Die Nationalkathedrale ist die Summe von Macht und Weltrekorden, sie ist ein Symbol für die Kohabitation von Staat und Religion", sagt Ștefan Simion, Associate Professor für Architektur an der Ion-Mincu-Universität sowie Herausgeber des architekturtheoretischen, zeitkritischen Magazins Mazzocchioo. "Es geht um Quantität und nicht um Qualität, die architektonische und baukulturelle Leistung liegt fast bei null. Leider wurde diese Kirche ohne Rücksicht auf die Stadt, auf ihre Menschen und ihre Bedürfnisse errichtet. Das Resultat ist eine Art Disneyland, nur viel böser."

Am Nachmittag geht der Schichtbetrieb zu Ende. Die Bauarbeiter stellen die Helme ins Regal und steigen in dutzende Busse ein, die auf dem Parkplatz stehen. An der Karosserie große Klebebuchstaben, geschwungener Schriftzug, Basilica, Abfahrt im Konvoi. Geplante Fertigstellung: 2025. Dann startet die Suche nach Gott. (Wojciech Czaja aus Bukarest, 23.12.2022)