Wie bei den vier apokalyptischen Reitern der Johannes-Offenbarung droht nächstes Jahr nach der Pandemie, dem Krieg und der Teuerung als viertes Übel die wirtschaftliche Stagnation dazuzukommen, vielleicht sogar eine Rezession. Für die meisten Österreicherinnen und Österreicher dürfte sich das von Volkswirten prognostizierte Szenario als nicht gar so schlimm erweisen. Denn angesichts des akuten Personalmangels in zahlreichen Branchen kann die Arbeitslosigkeit gar nicht so hoch steigen wie in früheren Abschwüngen. Und wenn die Inflation 2023 tatsächlich wieder sinkt, während die Einkommen dank der jüngsten Lohnverhandlungen steigen, werden sich einige sogar mehr leisten können als im abgelaufenen Jahr. Das Gespenst der Stagflation – also Stagnation mit hoher Teuerung – könnte sich wieder in Luft auflösen.

Ein Ende des wirtschaftlichen Wachstums könnte zu einer Zunahme an sozialen Konflikte führen und damit die politische Stabilität gefährden.
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Längerfristige Trends

Problematischer als das kurzfristige Risiko sind jedoch die längerfristigen Trends. Die Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) gehen in Europa und den USA seit den 1970er-Jahren schrittweise zurück und drohen nun weiter zu fallen. Denn Wachstum entsteht dann, wenn die Produktivität von Menschen und Maschinen steigt, und dafür braucht es eine zielgerichtete Politik, die Wettbewerb und Innovation fördert.

Doch dazu fehlt immer öfter der politische Wille. Um den akuten Arbeitskräftemangel zu mildern, der immer mehr Branchen erfasst, wäre eine stärkere Zuwanderung und ein späteres Pensionsantrittsalter notwendig. Gegen Ersteres legen sich vor allem die Konservativen quer, gegen Letzteres die Gewerkschaften. Und von links und rechts wächst der Druck für wachsenden Protektionismus, der zwar einzelne Branchen schützt, aber der Wirtschaft insgesamt schadet.

Und angesichts der drohenden Stagnation legen Verteilungskämpfe an Stärke zu. Großbritannien und Frankreich werden von Streikwellen erfasst, die Österreich großteils verschont haben. Dafür ringen Unternehmen hierzulande umso erfolgreicher um staatliche Förderungen, die den Staat Milliarden kosten. In beiden Fällen geht es darum, ein größeres Stück vom Kuchen zu ergattern, und nicht mehr darum, den Kuchen selbst zu vergrößern. Das sind Entwicklungen, die das Wirtschaftswachstum nachhaltig bremsen.

Wirtschaftswachstum notwendig

Doch auch wenn in manchen Kreisen immer lauter aus Rücksicht auf das Klima und die Natur ein Ende des Wachstums gefordert wird, wäre dies eine gefährliche Entwicklung. Denn wenn die Wirtschaft nicht wächst, dann nehmen soziale Konflikte zu, was wiederum die politische Stabilität gefährdet. Ohne Wachstum des BIP wiegen die Schulden, die Staaten Jahr für Jahr angehäuft haben, noch viel schwerer. Und während viele von uns aus Rücksicht auf das Klima den Konsum zurückfahren könnten und sollten, benötigt die Energiewende Milliarden an Investitionen in erneuerbare Anlagen sowie Technologie, Innovation und Forschung, die sich nur durch Wirtschaftswachstum halbwegs schmerzlos finanzieren lassen.

Ein Blick nach Italien, wo die Wirtschaft seit einem Vierteljahrhundert kaum gewachsen, und nach Großbritannien, wo das Wachstum seit dem Brexit zum Stillstand gekommen ist, zeigt die Folgen der langfristigen Stagnation. Dann fehlen auch dem Staat die Mittel für all jene Leistungen, die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von ihm erwarten. (Eric Frey, 26.12.2022)