Spürnase Benoit Blanc (Daniel Craig) versucht auf einer griechischen Insel bei Tech-Millionär Miles Bron ein paar mörderische Rätsel zu lösen.

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Eine eigene Insel ist für heutigen Reichtum quasi eine Minimalbedingung. Wenn jemand mit einer Tech-Anwendung viel Geld gemacht hat, kann es angebracht erscheinen, sich dort zu verewigen, wo einst die Griechen ihre Götter angebetet oder verspottet haben. Der erfundene Milliardär Miles Bron, Hauptfigur in dem neuen Netflix-Krimi Glass Onion: A Knives Out Mystery, ist zwar noch nicht ganz sattelfest in der Frage, wo das Ionische Meer in die Ägäis übergeht.

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Aber er hat sich auf einer Insel einen eigenen Kultort geschaffen; nun müssen die besten Freunde anrücken, um mit ihm ein extravagantes Wochenende zu verbringen. Sie sind alle "Disruptoren", sie haben auf ihre Weise und in ihrem Bereich etwas geschafft, was neue Bedingungen gesetzt hat: zum Beispiel durch Jogginghosen ("sweatpants") aus Sweatshops in Bangladesch. Das klingt zwar jetzt nicht unbedingt nach einer Neuerfindung des Wirtschaftslebens und beruht schließlich mit seinem Erfolg vor allem auf gutem altem Branding. Aber da das Wort schon einmal im Umlauf ist, muss es auch ordentlich zelebriert werden: Wer heute etwas auf sich hält, macht auf Unterbrecher.

Miles Bron (Edward Norton) ist mit einer Anwendung namens Alpha zu einem der führenden Tech-Idole aufgestiegen. Nun setzt er auf Wasserstoffsprit, auch wenn der vielleicht noch das eine oder andere Risiko mit sich bringt. Stichwort: Hindenburg. Nicht der Reichspräsident, sondern der Zeppelin.

Zwiebel in Griechenland

In Griechenland hat Bron sich mit einer Glaszwiebel schon einmal ein Denkmal gesetzt, ein Gebäude, das ungefähr das Organisationsprinzip des Films vertreten soll. Er beginnt mit der Oberfläche und dringt allmählich tiefer, bis man auf eine Tatsache stößt, die man aus dem Küchenalltag schon kennt: Zwiebeln haben keinen Kern, man ist irgendwann einfach durch mit dem Entblättern. Bei Artischocken ist das noch eklatanter, aber da gibt es keinen Beatles-Song gleichen Namens, der im Abspann bemüht werden könnte.

Der Regisseur Rian Johnson ging anfangs eher in Richtung Science-Fiction, es gibt von ihm den sehenswerten Looper, mit dem er sich für die Star Wars-Reihe empfohlen hat (Die letzten Jedi, 2017). 2019 überraschte er dann aber mit Knives Out – Mord ist Familiensache, einem klassischen Werwares-Krimi mit Daniel Craig als Detektiv Benoit Blanc.

Das dezidiert altmodische Agatha-Christie-Prinzip erwies sich als sehr zeitgemäß: ein geschlossener Ort (spart Drehkosten), eine Starparade und ein überkandidelter Fall, der alle Elemente eines Meta-Krimis hat, inklusive eines Ermittlers, für den das englische Wort "pompous" passt. "Pompös" ist dafür nur eine teilweise passende Übersetzung, denn "pompous" wird als Adjektiv vor das Wort "fart" gesetzt. Nun ist Daniel Craig sicher kein "Furz", im Gegenteil, er trägt mit der Selbstironie so dick auf, dass man bei den Risiken eher an das Gegenteil von Flatulenzen denken müsste.

Viele Stars

Der erste Knives Out trug also seine Formel so demonstrativ vor sich her, dass man noch vor der Lösung des Falls von der Bestellung einer Fortsetzung ausgehen konnte. Und so geht nun alles wieder von vorn los, mit einer neuen Riege von Stars (Kate Hudson, Kathryn Hahn) und synergetischen Celebritys (Popstar Janelle Monáe in ihrem Zweitberuf, der Ex-Wrestler Dave Bautista) und ein paar weiteren Schichten Supercheckerüberdrüberdurchschauerei.

Denn der Krimi ist dieses Mal ganz deutlich nur noch ein Vorwand, um sich ein wenig über einen Hype lustig zu machen, der zugleich andächtigst gefeiert wird. Man könnte ihn den Alpha-Kult nennen: Das Alphatier ist die neue Bestimmung des Menschengeschlechts.

Im Innersten der Zwiebel

Es ist bezeichnend, dass die Serviette, auf der die ursprüngliche Idee für das Hyper-Start-up Alpha notiert wurde, dessentwegen in Glass Onion gemordet wird, bei genauem Hinschauen zwar viele heute hippe Begriffe enthält ("scalability", "crypto management"), aber weit und breit keine Geschäftsidee.

Rian Johnson liefert ein schönes Beispiel dafür, wie es mehr oder weniger zwangsläufig ausgehen muss, wenn man sich über den Plattform-Kapitalismus lustig macht, während man ein gewichtiger Teil davon ist: Zuerst wird schwergängig gewitzelt, dann etwas zusammengehauen, und dann ist man schon im Innersten der Zwiebel, beim Garnix. (Bert Rebhandl, 27.12.2022)