Mitte Dezember protestierten Menschen vor einem Gericht in Sydney gegen die Inhaftierung von Umweltschützerin Deanna Coco.

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Es waren 24 Minuten, die Deanna "Violet" Coco die Freiheit kosteten. So lange blockierte die 31-Jährige im April gemeinsam mit zwei weiteren Demonstranten eine Fahrspur auf der Hafenbrücke von Sydney. Autos hupten, Fahrer schimpften und spuckten die Aktivisten an. Alltag für die erfahrene Klimaaktivistin: Coco hatte schon mehrfach gegen die ihrer Ansicht nach ungenügenden Maßnahmen von Politik gegen die globale Erhitzung protestiert. Schließlich kam die Polizei und führte die drei ab.

"Diese Klima- und Umweltkrise wird schon bald zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten führen", warnte Coco später in einem vom Onlinemagazin Crikey veröffentlichten Schreiben. Nahrungsmittelknappheit, ein Anstieg des Meeresspiegels, extreme Wetterbedingungen – all das wären Folgen, schrieb sie. Der Artikel war außerdem mit einer ominösen Bemerkung versehen: "Wenn Sie das lesen, bin ich wegen eines friedlichen Protests zum Schutz der Umwelt ins Gefängnis geschickt worden."

Tatsächlich hatte ein Gericht in Sydney die junge Frau zuvor zu einer Strafe von 15 Monaten Haft verurteilt. Die Richterin des Bundesstaates New South Wales (NSW) warf Coco eine "emotionale Reaktion" und eine "kindische Aktion" vor. Sie lehnte eine Freilassung gegen Kaution ab – eine Maßnahme, die sonst nur bei Gewaltverbrechern angewendet wird. Erst knapp zwei Wochen später war ein Wiedererwägungsgesuch erfolgreich. Coco ist nun bis zu einem Berufungsverfahren im März vorläufig auf freiem Fuß.

Die Härte der Bestrafung hat nicht nur Rechtsexperten alarmiert, sondern sogar die Uno auf den Plan gerufen. Clément Voule, UN-Sonderberichterstatter für Versammlungsfreiheit, zeigte sich beunruhigt: Friedliche Demonstranten sollten "niemals kriminalisiert oder inhaftiert werden".

Kein Einzelfall

Die Verhaftung von Deanna Coco ist kein Einzelfall. So sollen in Australien mindestens ein Dutzend Klimaaktivisten auf ihren Termin vor dem Richter warten. Bürgerrechtsbewegungen melden einen explosionsartigen Anstieg der Verabschiedung von Gesetzen, die gezielt friedliche Proteste für mehr und sofortigen Klimaschutz unter Strafe stellen.

Gleichzeitig versucht der im Mai zum Premierminister gewählte Anthony Albanese (Labor) nach zehn Jahren einer klimaskeptischen konservativen Regierung die Glaubwürdigkeit Australiens auf dem internationalen Parkett wiederherzustellen. Nicht nur hat das Land seine Klimaziele marginal verbessert, Canberra rief jüngst eine neue Umweltbehörde ins Leben.

In allen großen Bundesstaaten hat sich das Klima für Klimaschützer aber deutlich verschärft. Im konservativ regierten New South Wales (NSW) wurden heuer zweijährige Haftstrafen und Geldbußen von umgerechnet 14.000 Euro für "illegale Proteste" eingeführt. Die Gesetze, die gewaltfreie Aktionen auf Bahnstrecken und auf öffentlichen Straßen, auf Brücken sowie in Tunneln unter Strafe stellen, wurden in Rekordzeit und mit Unterstützung der Labor-Opposition verabschiedet.

Gesetz fördert Willkür

Zwar zielen sie laut Generalstaatsanwalt Mark Speakman auf "anarchistische Demonstranten" ab. Doch da die Bestimmungen so ungenau seien, "können die Gesetze auf fast jede Situation angewendet werden, in der sich Menschen auf einer Straße aufhalten", meint der Rechtsanwalt Mark Davis, der Coco vor Gericht vertritt. Das Gesetz gebe der Polizei einen "völlig willkürlichen Ermessensspielraum, jeden auf einer Straße zu verhaften, der gegen irgendetwas protestiert".

In den von der Labor-Partei regierten Bundesstaaten Victoria und Queensland sieht die Situation ähnlich aus. Im August haben sich in Victoria Opposition und Regierung zusammengetan, um ähnliche Gesetze zu verabschieden. Schon vor drei Jahren wurden in Queensland im Eiltempo weitreichende Einschränkungen des Rechts auf Protest durchgesetzt – begründet mit der Behauptung, Umweltschützer würden "extremistisches" Verhalten an den Tag legen. Die neuen Gesetze erweitern die polizeilichen Durchsuchungsbefugnisse und kriminalisieren "gefährliche Sicherungsmittel". Dazu gehört auch Sekundenkleber, den Aktivisten verwenden könnten, um sich an Gehsteigen oder Gebäuden zu festzukleben.

Der als neoliberal geltende Premier von NSW, Dominic Perrottet, begrüßte die Inhaftierung von Coco. Andere sehen in den Maßnahmen eine Unterwanderung des demokratischen Rechts auf Protest. Klimawissenschafter Bill Hare verurteilte Perrottets Erklärung auf Twitter als eine der "regressivsten, antidemokratischsten Äußerungen", an die er sich in Australien "seit langem" erinnern könne. (Urs Wälterlin aus Sydney, 26.12.2022)