Nach der Landtagswahl 2018 war Franz Schnabl keine Gefahr für Johanna Mikl-Leitner. 2023 könnte sich das ändern.

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In Niederösterreich wird immer öfter eine Geschichte erzählt. Die einen gruselt es dabei; für die anderen ist es das schönste Märchen. Der Titel lautet: Landeshauptmann Franz Schnabl.

Einen Monat vor der Landtagswahl am 29. Jänner zeigt die Geschichte, wie viel im größten Bundesland in Bewegung ist. Nicht weil das Szenario eines roten Landeshauptmanns in Niederösterreich besonders realistisch wäre. Sondern weil das Aufbauschen seiner Restwahrscheinlichkeit deutlich macht, dass die absolute Vorherrschaft der Volkspartei in Gefahr ist – selbst wenn Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau bleibt.

Die Volkspartei wird ihre absolute Mehrheit im Landtag aller Voraussicht nach verlieren, darauf sind alle Parteien eingestellt. Die ohnehin knapp abgesicherte Mandatsmehrheit wird sich wohl nicht halten lassen, dafür ist die politische Großwetterlage für die ÖVP zu schlecht. Ein Ergebnis unter 40 Prozent wäre für die Partei aber ein echtes Desaster.

Wichtige Mehrheit

Und das nicht nur wegen der Symbolhaftigkeit eines Dreiers vor dem Wahlergebnis. Es geht auch um die Mehrheit in der Landesregierung, die für die ÖVP ebenfalls eine wichtige Machtbasis darstellt. Denn die niederösterreichische Regierung wird nach dem Proporzsystem bestellt: Alle größeren Parteien sind dort vertreten. Aktuell regieren ÖVP, SPÖ und FPÖ.

Doch Rot und Blau haben in der Regierung de facto wenig mitzureden, weil sechs der neun Sitze von der Volkspartei gestellt werden. Zumindest fünf davon und damit die Mehrheit könnte sie auch mit einem Wahlergebnis knapp über 40 Prozent behalten. Das ist allerdings abhängig davon, wie die anderen Parteien abschneiden.

Wenn SPÖ oder FPÖ genug Stimmen für einen dritten Platz in der Regierung bekommen, wäre die schwarze Mehrheit dahin. Das Gleiche gilt für den Fall, dass Grüne oder Neos erfolgreich sind und in die Landesregierung einziehen. All das hängt an einem komplizierten Verteilungssystem. Die Parteien rechnen eifrig Modelle durch, um alle wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Szenarien zu kennen.

Mobilisierungsgeschichte

Sollte Johanna Mikl-Leitner tatsächlich ihre Regierungsmehrheit verlieren, ergibt sich daraus ein politisches Szenario: alle gegen eine. SPÖ-Chef Franz Schnabl könnte sich mit den Stimmen anderer Parteien zum Landeshauptmann wählen lassen. Eine Koalition gegen die Volkspartei also. Die SPÖ erzählt diese Geschichte, um ihre Leute zu mobilisieren. Die ÖVP erzählt diese Geschichte, um ihre Leute zu mobilisieren.

Denn die SPÖ braucht im immer schon tiefschwarzen Niederösterreich dringend Hoffnung, die politische Führung zu übernehmen – zumal sich die Bundespartei im Umfrage-Höhenflug befindet. Ob die SPÖ Niederösterreich nun 20 oder 22 Prozent macht, hatte in der Realität bisher kaum Auswirkungen auf die Landespolitik. Eine Umfärbung des Bundeslandes wäre hingegen ein Erfolg für die Geschichtsbücher. Die Aussicht könnte unentschlossene oder wahlfaule Sympathisantinnen und Sympathisanten motivieren.

Rotes Horrorszenario

Auch die ÖVP muss für Bewegung sorgen. Die Absolute ist ohnehin dahin, auf dem ersten Platz wird die Volkspartei aber so gut wie sicher landen. An der schwarzen Basis sind viele unzufrieden mit der Bundespolitik, den zähen Folgen der Ära Kurz. Ein Horrorszenario könnte aber den Verteidigungsinstinkt von Bürgermeisterinnen, Gemeinderäten und Wählerinnen wecken. Und sie bringt nichts so sehr zum Schaudern wie ein roter Landeshauptmann. "Es ist so knapp wie noch nie, es steht so viel auf dem Spiel wie noch nie", warnt der schwarze Parteimanager Bernhard Ebner.

Dass es sich dabei um nicht viel mehr als ein taktisches (Schauer-)Märchen handelt, ist klar. Selbst wenn SPÖ und FPÖ eine Mehrheit hätten, wäre eine Koalition der beiden zumindest in Niederösterreich ein Tabubruch – nicht nur wegen der Liederbuch-Causa des blauen Spitzenkandidaten Udo Landbauer.

Ein dritter Kandidat für die Spitze

Die SPÖ Niederösterreich sagt auf Anfrage, dass man mit allen Parteien eine Gesprächsbasis und Überschneidungen habe, auch mit der FPÖ. Man rede aber lieber über Inhalte als über Posten. Wichtig sei, die ÖVP in die Opposition zu schicken.

Sollte das gelingen, hätte die Anti-ÖVP-Koalition aber noch eine eigene Hürde zu überwinden: sich selbst. Denn nicht nur Franz Schnabl will Landeshauptmann werden. Auch Udo Landbauer möchte den wichtigsten Job im Land haben. Dann müssten sich die beiden Parteichefs ausmachen, wer es nun wirklich wird – und, noch schwieriger: wie ein rot-blaues Niederösterreich ausschauen soll. (Sebastian Fellner, 27.12.2022)