Licht verhält sich in einem Möbiusband völlig anders als in einem gewöhnlichen Ring.
Bild: D. D. Karnaushenko TU Chemnitz

Einseitig zu sein gilt heutzutage nicht unbedingt als positiv. Im Fall der Möbiusschleife ist die Eigenschaft, nur eine Seite zu besitzen, allerdings Grund für Staunen. Ein Streifen Papier besitzt bekannterweise zwei Seiten. Daran ändert sich nichts, wenn die Enden zu einem Ring zusammengeklebt werden – es sei denn, eines der beiden Enden wird vor dem Kleben um 180 Grad verdreht. Dann existiert plötzlich nur noch eine Seite.

Benannt ist dieses erstaunliche Objekt nach dem deutschen Mathematiker August Ferdinand Möbius, der im 19. Jahrhundert forschte und Pionierarbeit für das mathematische Gebiet der Topologie leistete, in dessen Rahmen die besonderen Eigenschaften der Möbiusschleife, auch Möbiusband genannt, beschrieben werden. Möbius ist heute vor allem in der Popkultur ein Begriff, denn der wohlklingende Name wird in unzähligen Geschichten verwendet. In der Schreibweise Mœbius ist er das Pseudonym eines legendären französischen Comiczeichners, aber auch eine Figur in Friedrich Dürrenmatts herrlicher Groteske "Die Physiker" trägt den Namen des deutschen Mathematikers.

Das Möbiusband selbst ist eher aus der Kunst, etwa in M.C . Eschers fantastischen Grafiken, als aus der Wissenschaft bekannt, wo sich die Anwendungen in Grenzen halten. Umso überraschender ist das Ergebnis, mit dem ein Team von Forschenden der Technischen Universität Chemnitz und des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden nun aufwartet. Ihnen gelang es, Licht in einem Möbiusband einzufangen. Das überraschende Verhalten des Lichts beschrieben sie nun in einer Veröffentlichung im Fachjournal "Nature Photonics".

Ringresonator

Dass sich Licht in einem dünnen Ring aus durchsichtigem Material einschließen lässt, ist seit längerem bekannt. Ein solches Objekt wird "Ringresonator" genannt. Bei Experimenten werden meist Ringe aus Silizium oder Siliziumoxid verwendet, die nur einige Tausendstel Millimeter groß sind. In ihnen wird Licht zu konstruktiver Interferenz gebracht – analog zu einem Musikinstrument, im dem Schallwellen in ganz bestimmten Frequenzen schwingen. In dem Ring sind nur Wellen möglich, deren Wellenlänge ein Vielfaches des Ringumfangs beträgt. Das macht optische Ringresonatoren zu wichtigen Bauteilen in der Signalverarbeitung, etwa bei moderner Kommunikation.

Der niederländische Künstler M. C. Escher war ein besonderer Fan des Möbiusbandes. In dieser Visualisierung, die einem seiner Bilder nachempfunden ist, lässt sich gut erkennen, dass eine einzelne Ameise im Lauf von zwei Runden die gesamte Oberfläche überquert.
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Im Fall von Ringresonatoren ist dieses Verhalten besonders interessant, weil Licht eine Transversalwelle ist. Während Schall sich in der Luft "longitudinal" ausbreitet, die Luft also in Ausbreitungsrichtung schwingt, wird "transversales" Licht durch Schwingungen quer zur Ausbreitungsrichtung definiert.

Die Folge: Licht kann polarisiert werden, wenn etwa nur eine bestimmte Schwingungsrichtung erlaubt wird und alle anderen Richtungen herausgefiltert werden. Praktische Anwendung findet das etwa bei Sonnenbrillen, aber auch bei der LCD-Technologie. Auch flache Ringresonatoren polarisieren das in ihnen kreisende Licht.

Das ist bei Licht in einem Möbiusband nicht anders. Dennoch verändert sich das Verhalten des Lichts gegenüber einem normalen Ringresonator, denn nun wird die Lichtwelle bei einem Umlauf um 180 Grad gedreht. Erst nach zwei vollen Umläufen ist wieder der Ausgangszustand erreicht. Und das hat konkrete physikalische Folgen, wie das Team aus Chemnitz und Dresden um die Nanowissenschaftler Oliver G. Schmidt und Libo Ma nun zeigte.

Ihnen gelang es erstmals, im Experiment Licht in einem Möbiusband einzufangen und so einen optischen Resonator zu konstruieren. Zum Vergleich wurde ein zweiter Resonator in Form eines gewöhnlichen Rings verwendet.

1983 beschrieben

In dem Möbiusband bildete sich wie 2013 theoretisch vorhergesagt ein Effekt aus, den der Physiker Michael Berry 1983 erstmals beschrieb. Bei diesem Phänomen kehrt ein System nach dem Durchlaufen eines geschlossenen Weges nicht in seinen Anfangszustand zurück. Der Unterschied zum Anfangszustand wird Berry-Phase genannt.

Doch es gab auch Überraschungen: Eigentlich war erwartet worden, dass Resonanzen nur bei ungeraden Vielfachen der halben Wellenlänge möglich sind, also genau bei jenen Wellenlängen, die normalerweise in einem Ringresonator verboten sind. Doch überraschenderweise tauchten neben den erlaubten Wellenlängen noch weitere auf. Folgende Untersuchungen zeigten, dass auch elliptische Polarisation eine Rolle spielt. Von zirkulärer oder elliptischer Polarisation spricht man, wenn die Lichtwellen nicht nur in einer Ebene, sondern entlang einer Spirale liegen. Solche elliptisch polarisierten Lichtwellen konnten nachgewiesen werden.

Der Effekt lässt sich nun verwenden, um die Berry-Phasen zu steuern, was optische Resonatoren in der Form von Möbiusbändern nicht nur für die topologische Physik besonders interessant macht, sondern auch für technische Anwendungen.

Wie so oft in der Physik könnte sich damit auch für die Möbiusschleife bewahrheiten, dass etwas, das Forschende aus ästhetischen Gründen interessiert, später den Weg in die Anwendung findet. (Reinhard Kleindl, 1.1.2023)