Diese künstlerische Darstellung zeigt, wie Homo heidelbergensis vor 300.000 Jahren Bärenfell getragen haben könnte.
Bild: Benoît Clarys

Oft muss man für große Funde ganz genau hinschauen. In diesem Fall sind es feine Schnittspuren, die einem Archäologieteam in Norddeutschland wichtige Indizien für die Ressourcennutzung vor rund 300.000 Jahren lieferten. An den Knochen von Höhlenbären spürten die Fachleute die aussagekräftigen Rillen auf. "Diese neu entdeckten Schnittspuren sind ein Hinweis darauf, dass die Menschen in Nordeuropa vor etwa 300.000 Jahren im Winter auch dank warmer Bärenfelle überleben konnten", sagt Ivo Verheijen von der Universität Tübingen, Erstautor der zugehörigen Studie, die im Fachblatt "Journal of Human Evolution" erschien.

Feine Schnittspuren am Knochen weisen darauf hin, dass das ihn bedeckende Fell abgelöst wurde.
Foto: Volker Minkus

Generell können solche Spuren an Tierknochen auch dafür sprechen, dass das Fleisch entfernt und gegessen wurde. "Doch an Hand- und Fußknochen ist kaum Fleisch zu gewinnen", sagt Verheijen. "In diesem Fall können wir solch feine und präzise Schnittspuren auf das sorgfältige Abziehen des Fells zurückführen."

Fundort von Braunkohle und (braunen) Bären

Die Technik nutzten Zweibeiner, die zum Stammbaum der Menschen gehören – wobei über die Details weiterhin diskutiert wird. Ob der Homo heidelbergensis, der vor etwa 650.000 bis 200.000 Jahren lebte, eine eigene Spezies darstellte, darüber gibt es keinen Konsens. Manche ordnen die entsprechenden Funde dem Homo erectus zu. Später dürften sich aus Vertreterinnen und Vertretern des "Heidelberger Menschen" die Neandertaler entwickelt haben.

Höhlenbär unterwegs: Die Tiere konnten während der Eiszeiten mehr als drei Meter groß und mehr als eine Tonne schwer werden. Kleiner und leichter fielen sie während der Warmzeiten aus.
Bild: Benoît Clarys

Der Fundort von Schöningen in Niedersachsen, wo einst Braunkohle abgebaut wurde, gab bereits andere interessante Skelettreste und sogar Werkzeuge aus der Altsteinzeit preis. Für eine internationale Sensation sorgten die Holzspeere, die ältesten menschlichen Jagdwaffen, auf die man in den Neunzigerjahren stieß. Seitdem kommen immer wieder ähnliche Funde an die Oberfläche.

Aktive Anpassung an Klima im Norden

Wie mittlerweile bekannt ist, dürfte Homo heidelbergensis neben Höhlenbären auch Pferde, Vögel und selbst Waldelefanten gejagt haben. Letztere bevölkerten bis vor etwa 33.000 Jahren Europa und Vorderasien und waren nicht nur größer als heute lebende Afrikanische Elefanten, sondern auch größer als Wollhaarmammuts.

So sieht der gefundene Mittelfußknochen eines Höhlenbären von größerer Distanz aus.
Foto: Volker Minkus

Dass man davon ausgeht, das man in der Gegend um Schöningen vor 300.000 Jahren tatsächlich Bären gejagt und nicht nur Tiere gegessen und gehäutet hat, die ohne den Einfluss von Menschen gestorben sind, erklärt Erstautor Verheijen so: "Wenn an einer archäologischen Fundstelle ausschließlich erwachsene Tiere gefunden werden, gilt dies in der Regel als Indiz für die Jagd – und in Schöningen gehörten alle gefundenen Knochen und Zähne von Bären zu erwachsenen Individuen." Um das Fell der Tiere nutzen zu können, müsse es kurz nach dem Tod vom Rest des Körpers entfernt werden – sonst gingen die Haare verloren. "Das Tier wurde gehäutet, es konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange tot sein."

Auch für den renommierten Archäologen Nicholas Conard, der die Grabungen leitete, macht der Fund durch die Spuren an den Knochen der Bärentatzen deutlich, dass man damals Felle der Tiere verwendete. "Tiere wurden also nicht nur für die Ernährung genutzt, sondern auch ihre Felle waren für das Überleben in der Kälte unerlässlich", sagt der Forscher. Dies könne man als Anpassung früherer Menschen an das Klima im Norden ansehen – und zwar als eine der ältesten aktiven Strategien, um mit dieser Herausforderung umzugehen. (sic, 2.1.2023)