Aus der Familie der Krampus- und Perchtenfiguren: Zur Tiroler Tradition des Klaubaufgehens gehört nebst Pelz und Geläut eine Maske, damit sich alle fürchten.

Foto: MARKK / Paul Schimweg

Mehr als 900 Straßenkilometer trennen Innsbruck und Hamburg. Eine Tagesreise dauert es, um von der Elbe an den grünen Inn mit dem Auto zu gelangen. Umso verblüffender scheint es, dass die Hanseaten schon früh eine außergewöhnliche Beziehung zu Tirol entwickelt haben. Wie facettenreich und nachhaltig dieses Verhältnis ist, zeigt eine neue Ausstellung im Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK).

Das Fragezeichen im Titel Hamburg und Tirol – Eine Alpenfreundschaft? hat seine Berechtigung: Die Schau im früheren Hamburger Völkerkundemuseum zeigt, dass zumindest die Initiative vor allem von den Norddeutschen ausging.

Für Hanseaten leicht erreichbar

Schon zu Zeiten der Monarchie faszinierte das vom Katholizismus durchwirkte Bergland die protestantisch geprägten Hamburger, deren höchste Erhebung gerade einmal 116 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die Eisenbahn machte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Österreich auch für Hanseaten leicht erreichbar – der Beginn des Tourismus in Tiroler Tälern. Gerade die Gegensätze machen damals wie heute den Landstrich attraktiv: "Die Hamburger sind flaches Land und ständiges Grau gewohnt – in Tirol erlebt man wunderbare Berge, diese großartigen Landschaften", sagt Ausstellungskuratorin Anna Haug zum STANDARD.

Geschnitzte Masken

Nicht nur wohlhabende Hanseaten fuhren zur Sommerfrische nach Kitzbühel, Meran und St. Anton, auch Wissenschafter entdeckten den Landstrich früh für sich: Schon zu Kaisers Zeiten entstand im Hamburger Völkerkundemuseum eine Tiroler Sammlung, aus der einige wertvolle Exponate nun zu sehen sind: fein verzierte Männergürtel, Fatschen genannt. Oder an Seeigel erinnernde stachelige "Mutterkugeln", die als bizarre Votivgaben an Wallfahrtsorten hinterlassen wurden – man hoffte auf Linderung bei Gebärmutterleiden und Unfruchtbarkeit.

Ein besonderer Blickfang sind geschnitzte Masken aus dem 19. Jahrhundert, darunter Teufelsfratzen des Nikolausspiels im Südtiroler Stilfs – Vorgänger der zum Massenevent avancierten Krampus- und Perchtenläufe.

Künstliche Wasserfälle

Die Sehnsucht nach Gröstln und Gipfeln führte vor dem Ersten Weltkrieg sogar dazu, dass in Hamburg ein Stückchen Tirol nachgebaut wurde. In St. Pauli entstand 1899 eine künstliche Erlebniswelt, von 10.000 Quadratmetern Fels- und Grottenbauten eines alpinen Panoramas war die Rede. Unter dem Namen "Bergfahrt in Tirol" entstanden romantisch verklärte Landschaften mit Dörfern, Schlössern und künstlichen Wasserfällen.

Besucher tafelten in Restaurants, die nach alpenländischem Vorbild gestaltet waren, ergötzten sich an Folkloregruppen und sausten auf hölzernen Rutschbahnen hinab. Der Vergnügungspark warb mit einer Frau im Dirndl, die die Wappen der Freien- und Hansestadt und des Habsburger-Doppeladlers in Händen hält. Diese damals transportierten Stereotype prägen bis heute das Bild von Tirol und seinen Leuten: gaudiwütiges Völkchen im Alpenidyll.

Skischule St. Pauli

Auch nach zwei Weltkriegen blieb das Fernweh der Hamburger nach Tirol ungebrochen. Bahnreisen konnten sich auch diejenigen leisten, die nicht so viel Geld hatten, Kuratorin Laug spricht von einem "demokratisierenden Element". Hamburg führte in den 60er-Jahren "Skiferien" ein, die Sektion des Alpenvereins ist eine der größten in Deutschland.

Schon 1888 wurde eine erste Berghütte in Südtirol erstanden, heute sind es drei Hütten in Österreich, darunter – wie der Alpenverein stolz betont – das "höchste Haus Hamburgs" auf 3006 Metern in den Ötztaler Alpen. In der Ausstellung prangt das Wappen der Skischule St. Pauli, der Hamburger Skiverband ist äußerst mitgliederstark, Züge fuhren mehrmals täglich direkt zwischen Hamburg und Tirol. Es gab viele Wintersportgeschäfte in der Stadt – und ein Dutzend Restaurants mit Tiroler Küche.

Das Fischvergnügen

Die Schau zeigt vor allem die Hamburger Perspektive auf das österreichische Bundesland. Spannend wäre zu erfahren, wie die Sicht der Tiroler war und ist auf die alpenvernarrten Hanseaten. Indizien für ein wechselseitiges Interesse gibt es: So findet seit Jahrzehnten in Innsbruck ein "Fischvergnügen" statt, auf dem Hamburger Spezialitäten serviert werden. Kuratorin Laug hält die Mentalitäten ohnehin für kompatibel: "Tiroler und Hamburger Humor – das passt ganz gut." (Oliver Das Gupta aus Hamburg, 29.12.2022)