"Medallion" von Gluck alias Hannah Gluckstein von 1936.

Foto: Gluck Estate

Hand aufs Herz, wie viele Namen von Künstlerinnen fallen Ihnen ad hoc ein? Weniger als drei? Stehen Sie nach Frida Kahlo an? Grämen Sie sich nicht, dann liegen Sie im Schnitt einer aktuellen Umfrage. Bei dieser stellte Katy Hessel 2000 Erwachsenen ebenjene Frage und veröffentlichte am Weltfrauentag 2022 das traurige Ergebnis: Nur 30 Prozent der Befragten konnten drei Künstlerinnen nennen.

Mit ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch möchte die britische Kunsthistorikerin diesen Umstand ändern – und die Kunstgeschichte nicht wie bisher als westliche männliche Narration erzählen. In The History of Art Without Men. Große Künstlerinnen und ihre Werke wird die Kunstgeschichte ausschließlich anhand von Künstlerinnen erzählt; die Kollegen werden komplett ausgespart.

Hessel durchstreift die Geschichte von der Renaissance (Catarina van Hemessen) über Impressionismus (Berthe Morisot), Pop-Art (Evelyne Axell) und Textilkunst (Cecilia Vicuña) bis in die Gegenwart (Zanele Muholi). Dort holt sie bedeutende Wegbereiterinnen vor den Vorhang und macht gesellschaftliche Umstände der jeweiligen Zeit sichtbar.

Zeitgemäße Ergänzung

Der Titel geht auf Die Geschichte der Kunst von Ernst Gombrich zurück, die zur Basisliteratur für Studierende der Kunstgeschichte zählt. Hessel legt offen, dass dies ein "wundervolles Werk mit einer entscheidenden Schwäche" sei: Die erste Ausgabe von 1950 beinhaltete keine einzige Künstlerin, die 16. Auflage eine. Natürlich gibt es auch Kritik an einer rein "weiblichen Kunstgeschichte", da Frauen so wieder abgesondert oder historische Positionen ohne breiteren Kontext erzählt würden. Hessels Buch darf jedoch nicht als vollständiges Standardwerk verstanden werden, sondern als zeitgemäße Ergänzung.

In klarer Sprache, chronologischer Struktur und mit Farbabbildungen soll das Buch eine Lücke füllen. "Künstlerinnen haben immer existiert, sie wurden nur bewusst aus dem Kunstkanon geschrieben oder einfach ignoriert", erklärt Hessel. Der Bedarf ist überdeutlich: Das im September auf Englisch publizierte Werk wurde gleich zum Bestseller, von der britischen Buchgeschäftkette Waterhouse zum Buch des Jahres gewählt und wird seitdem in der Kunstwelt gefeiert.

Katy Hessel kannte man bereits durch ihre Instagram-Seite, auf der sie mehr als 300.000 Follower hat und seit 2015 unter dem Titel "The Great Women Artists" Künstlerinnen und ihre Geschichten vorstellt. In ihrem gleichnamigen Podcast interviewt sie Berühmtheiten wie Marina Abramović und spricht mit Expertinnen über vergessene Künstlerinnen. 2021 schaffte es die 1994 geborene Kuratorin ins Ranking "30 Under 30" des Wirtschaftsmagazins Forbes und schreibt auch die Kolumne "The Great Women’s Art Bulletin" für den Guardian.

Passt exakt zum Zeitgeist

Hessels Thema passt exakt zum aktuellen Zeitgeist: In den letzten Jahren werden vermehrt Werke von Künstlerinnen ausgestellt und auch von Museen stärker angekauft. Die diesjährige Venedig-Biennale machte es vor und zeigte mehr als 90 Prozent weibliche sowie nicht genderkonforme Positionen. In den letzten Jahren fanden einige Korrekturen statt, das Bewusstsein wächst. Trotzdem belegen Statistiken, dass Museumssammlungen immer noch von Künstlern dominiert werden. In der Londoner National Gallery etwa sind Künstlerinnen nur zu einem Prozent vertreten.

Dieses geschlechtsspezifische Ungleichgewicht spiegelt sich auch in Programmen vieler Galerien sowie am Markt in den Preisen für Kunstwerke von Frauen wider. Aus diesem Grund warnt die Autorin auch davor, von einem Trend zu sprechen. Es gibt noch einiges zu tun, bis Gerechtigkeit herrscht – und uns spontan drei Namen Alter Meisterinnen einfallen. Auflösung: Sofonisba Anguissola, Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann. (Katharina Rustler, 30.12.2022)