Er sei "so aufgeregt wie beim ersten Mal", frohlockte Benjamin Netanjahu (73), als er am Donnerstag zum sechsten Mal als Ministerpräsident Israels angelobt wurde. Aufgeregt waren auch die Abgeordneten, jedoch aus einem anderen Grund: Als die Sitzung begann, hatten sie immer noch keine Ahnung, wer Außenminister und wer Energieminister sein würde.

Erst als Netanjahu ans Rednerpult trat und die Namen der Minister in alphabetischer Reihenfolge aufzählte, erfuhren diese, dass Netanjahus Freund Eli Cohen neuer Außenminister wird – wenn auch nur für zwei Jahre: Danach wird er mit dem Energieminister das Amt tauschen. Manchmal muss eben ein wenig herumgeschoben werden, um alle Parteifreunde abzuspeisen. Denn wer hungrig ist, mault gerne auf. Und Netanjahus Ohren sind empfindlich.

Grundrechte in Gefahr?

Den Demonstranten, die vor dem Parlament lautstark gegen die ultrarechte Regierung demonstrieren, geht es nicht primär um Postenschacher. Sie fürchten um die Demokratie. "Ich bin Jüdin und Demokratin", erklären mehrere Frauen per T-Shirt-Aufdruck. Es stört sie, dass die neue Regierung vorgibt, das Judentum stärken zu wollen, zugleich aber Minderheiten ausgrenzen und Grundrechte einschränken will.

Niemand war so oft und so lange Regierungschef in Israel wie Benjamin Netanjahu. Um das zu schaffen, musste er sich mit extrem rechts stehenden Parteien arrangieren.
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Das Verhältnis von Staat und Religion soll dramatisch geändert werden – zugunsten religiöser Einrichtungen. "Rabbinats-Gerichte" sollen in einigen Bereichen des Zivilrechts den staatlichen Gerichten gleichgestellt werden. Diese Gerichte ignorieren demokratisch legitimierte Gesetze, sie urteilen allein nach ihrer konservativen Auslegung der heiligen Schriften. Das könnte vor allem für Frauen nachteilige Folgen haben.

Das Recht auf das Bibelstudium soll künftig zum Grundrecht erklärt werden. Das gibt Ultraorthodoxen mehr Freiheiten, sich dem Militärdienst und Arbeitsmarkt zu entziehen und sich ganz dem Thorastudium zu widmen – auf Staatskosten, versteht sich. Da der Anteil der Ultraorthodoxen wegen ihres Kinderreichtums stark ansteigt, droht das für Israels Wirtschafts- und Verteidigungskraft ernste Folgen zu haben.

Siedlungausbau

Zugleich warnt die Armeespitze vor einer Zunahme der Gewalt im Westjordanland, die Regierung will zudem illegale Siedlungen in Hebron ausbauen. Der König von Jordanien hat angekündigt, nicht stillschweigend zuzusehen, wenn die neue Regierung Juden mehr Rechte im Areal rund um die Al-Aqsa-Moschee gibt. Genau das schwebt aber den rechtsextremen Koalitionspartnern vor.

Zahlreiche Rechtsaußen hievten Benjamin Netanjahu ins Premiersamt.
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Schwere Einschnitte plant die Regierung im Bereich der Justiz. Das Höchstgericht, quasi der letzte Garant für Menschenrechte, soll grundrechtswidrige Gesetze nicht mehr aufheben können. Es gibt dann keine Instanz mehr, an die sich Israelis wenden können, wenn ihre Grundrechte verletzt werden.

"Die regierende Mehrheit gibt sich selbst die Macht über den gesamten Staat", sagt Yonathan Plesner, Präsident des Israelischen Demokratieinstituts. Jene Hälfte der Israelis, die den Netanjahu-Block nicht gewählt hat, wird diesem Regime de facto unterworfen. Laut einer Umfrage finden einige der Regierungspläne zudem nicht einmal bei Netanjahus Wählern Unterstützung.

Politikum Grenzpolizei

Manche Forderungen der Rechtsextremen unter Itamar Ben-Gvir wurden in allerletzter Sekunde erfüllt, Netanjahus Likud-Partei knickte ein. So sicherte sich der mehrmals verurteilte Ben-Gvir, nunmehr Minister für Nationale Sicherheit, die direkte Kontrolle über die Grenzpolizei. Sie ist in Israel und im Westjordanland im Einsatz, vor allem zur Terrorabwehr, aber auch oft einfach zur Bewegungskontrolle oder zur Sicherung von Demonstrationen.

"Ihr seid eine Regierung von Verbrechern!", ruft ein Demonstrant durchs Megafon, während im Parlament die neuen Minister ans Pult treten. Es sind Grenzpolizisten, die die linken Demonstranten im Zaum halten. Schon bald wird ihr neuer Chef ein Rechtsextremer sein. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 30.12.2022)