"Hamma eh ka Höhenangst?" Nein, alles schwindelfrei, ungeschwindelt. Und die guten Schuhe mit den extra griffigen Sohlen sind auch vorsorglich angezogen. Klank, klank, klank, tönen die Sprossen der Leiter aus Edelstahl, die vertikal nach oben führt, das Knarzen der Schrauben am Handlauf wird tunlichst ignoriert. Nach der letzten Sprosse folgt eine Turnübung über Baumarktgartenmöbel, die auf einer kleinen Terrasse im Winterschlaf sind, dann geht es an ein paar Blumentrögen mit traurigen Kräuterresten zur nächsten Stahlleiter. Die Route aufs Dach geht auch quer durch Privateigentum, vor dem Rauchfangkehrer sind alle gleich, zu ebener Erde, im ersten Stock oder ganz oben im ausgebauten Luxusdachboden à la Architektentraum.

Rauchfangkehrermeister Franz Karl Schaller und sein Geselle Alexander Nouza.
Foto: Regine Hendrich

Es ist kurz nach Mittag, doch Rauchfangkehrermeister Franz Karl Schaller und sein Geselle Alexander Nouza sind schon seit dem frühen Morgen unterwegs. "Dies ist schon das zehnte Haus für uns heute", so Schaller, angefangen wird um halb sieben. In Wien gibt es etwa 100 Rauchfangkehrermeister mit Betrieb, jeder hat sein bzw. ihr genau abgestecktes Reich, die Grenzen verlaufen nach politischen Bezirken.

Schaller ist seit 39 Jahren Rauchfangkehrer, seit 30 Jahren in "seinem" Kehrbezirk unterwegs. Er wacht über mehr als 300 Häuser, für jedes davon hat er die dazugehörigen Schlüssel. "Damit kennt jeder seine Häuser und erkennt rasch, wenn etwas nicht stimmt." Dabei sammelt sich einiges an Detailwissen an: "Ich weiß zum Beispiel, wer oft nicht zu Hause ist, wenn jemand Neues einzieht und natürlich wer wie heizt." Und auch über die Bewohner weiß Schaller oft mehr, als ihm lieb ist: "Man sieht – und hört – sehr viel von hier oben, schließlich sieht man auch in Badezimmer und Schlafzimmer, auch wenn man das gar nicht will", und er setzt verschmitzt nach: "Aber ich finde es schön, wenn sich zwei Menschen liebhaben!"

Außerdem findet die Arbeit ja nicht nur auf dem Dach statt, sondern es werden – zum Hauptkehrtermin oder wenn fallweise ein eigener Termin vereinbart werden muss – auch die Wohnungen selbst betreten, zumindest bis zu den Kehrtürchen. "Ich habe wirklich schon alles gesehen, was in einer Wohnung sein kann."

Sektflasche im Kamin

Auch in Kaminen kann so einiges sein – und das mit dem Kehrbesen herauszuholen, damit der Abzug des Rauchs ungehindert vonstattengeht, ist das Herzstück der Rauchfangkehrerarbeit. Nicht nur Ruß – einige Kübel pro Haus pro Kehrung –, auch Vögel, Abfall usw. holen Schaller und Nouza da heraus. "Einmal haben wir sogar eine Sektflasche gefunden. Und in den 1980er-Jahren einmal eine Rolle Tausender. Die haben wir aber abgeben müssen."

Neben traditionellen Werkzeugen wie Kehrbesen, Schöpfer, Bartwisch und Schlüssel gehören auch moderne Gerätschaften wie elektrische Messgeräte und tragbare Bankomatgeräte zur Ausrüstung.
Foto: Regine Hendrich

Aus jeder der Wohnungen des klassischen Wiedner Gründerzeithauses führt ein Kaminrohr bis ganz nach oben, für jedes Rohr gibt es in der Wohnung und hier oben ein seitlich angebrachtes Türchen mit einer Nummer. Aus drei Rohren raucht es oben heraus – "da wird grad eingeheizt", erklärt Schaller. Hat jedes Wiener Haus Kamine? "Nein, nicht jedes, es kommt auf die Bauart und auf das Baujahr an. Seit 2013 ist der Notrauchfang nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben." Das heißt? "Das heißt, dass man in diesen Häusern im Notfall, wenn etwa die Fernwärme aus irgendeinem Grund nicht funktioniert, nicht heizen kann. Da hinten im 8er-Haus", erzählt er weiter, "da wollte ein Herr einen Kachelofen einbauen, den haben wir bewilligen können. Aber unlängst hatten wir Anfragen aus dem Haus dort drüben", Schaller deutet auf ein Dach ein paar Gassen weiter, "die haben keine Rauchfänge, da musste ich sagen: ‚Tut mir leid.‘" Und warum wurde die Pflicht für die Errichtung von Notrauchfängen abgeschafft? "Damals war Öl noch billig, die Zentralheizung schien zukunftssicher, und man hat halt wieder ein paar Quadratzentimeter gewonnen, die man teuer verkaufen kann."

Bankomat und Doppeladler

Mittlerweile ist man ganz oben beim Giebel angelangt, auf über 20 Meter Höhe auf einem schmalen Metallsteig, der neben den breiten, mehrtürigen Kaminen auf dem Dach angebracht ist. Der Rundblick ist trotz der diesigen Wetterlage fantastisch. Wie fühlt man sich hier heroben? "Gut! Es ist halt auch Alltag für uns", grinst Schaller. "Und man bleibt fit." Viermal pro Jahr wird jedes Haus besucht, neben den Kaminen werden auch Keller und Stiegenhäuser nach Gefahrenpotenzial abgecheckt.

Wie wird man eigentlich Rauchfangkehrer? "Na ja, ich habe ganz besonderes Glück gehabt – ich wollte eigentlich Tischler werden oder Automechaniker, aber dazu war mein Zeugnis nicht gut genug. Also habe ich geschaut, was es sonst noch gibt", grinst er. Alexander Nouza hat bei ihm als Lehrling angefangen, im Oktober hat er die Gesellenprüfung bestanden. Mit unverkennbarem Stolz tragen sie die klassische Rauchfangkehreruniform – die Jacke mit Goldknöpfen, den dicken Ledergürtel mit der Messingschnalle, die weiße Kappe. "Wir dürfen den Doppeladler tragen", sagt Schaller.

Ein Doppeladler ziert die Gürtelschnalle der traditionellen Uniform.
Foto: Regine Hendrich

Und das darf nicht jeder. "Es gibt eine Einkaufsgenossenschaft, da bekommt man alles, aber da darf man nur als Rauchfangkehrer einkaufen." Die traditionelle Berufskleidung "hat schon immer so ausgeschaut", sei aber überraschend bequem und praktisch, meint Nouza. Besonders wichtig ist natürlich das Werkzeug: Zwar gibt es moderne Gerätschaften wie elektrische Messgeräte und tragbare Bankomatgeräte, aber nichts geht ohne Kehrbesen, Schöpfer, Bartwisch und Schlüssel, mit dem die Türchen geöffnet werden. Dafür gibt es keinen einheitlichen Standard, daher hängt an Schallers Ledergürtel ein beeindruckender Schlüsselbund aus Vierkantern und anderen Gebilden. Wichtig ist auch die Stahlkugel am Seil, gummiummantelt, damit das Mauerwerk nicht beschädigt wird, die von oben in den Kamin hinabgelassen wird. "Das ist dieses Rumpeln, das Sie bei der Kehrung in der Wohnung hören." Also ist das nicht der Weihnachtsmann? "Nein, eher der Krampus", lacht Schaller.

Aber die Kinder fürchten sich trotzdem nicht vor ihnen, schließlich gilt der Rauchfangkehrer nach wie vor als Glücksbringer. "Wir haben nach wie vor ein gutes Image – obwohl es auf die Perspektive ankommt. Viele meinen, dass Rauchfangkehrer nicht notwendig seien, aber in letzter Zeit ist unser Ansehen wieder gestiegen. Wir machen halt sicherheitsrelevante Tätigkeiten, die einfach notwendig sind." Besonders bei den Damen, so Schaller, sind Rauchfangkehrer beliebt: "Da werden wir öfter um ein Glücksbussi gebeten. Der junge Kollege aber mehr als ich!"

Auch wenn manches modernisiert wurde: Die Ausrüstung von Rauchfangkehrer Franz Karl Schaller und Geselle Alexander Nouza ist nach wie vor traditionell. (Gini Brenner, 30.12.2022)