So kompliziert die Causa um den Hauptstadtenergieversorger Wien Energie für sich ist, so sehr erschien sie der türkis-blauen Opposition in Wien als eine seltene Chance. Die beiden Parteien versuchen seit geraumer Zeit und mit Vehemenz an die Chatverläufe auf den Smartphones von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ) für die dazu laufende Untersuchungskommission im Wiener Gemeinderat zu gelangen. Davon erwartet man sich Einblicke in eine mutmaßliche Affäre, in der die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen unbekannt ermittelt.

Am Donnerstagabend jubilierte die ÖVP dann, dass das Schiedsgremium ihrem Beweisantrag hinsichtlich der Chats gefolgt ist. Dass der Wiener Bürgermeister seine Korrespondenzen tatsächlich offenlegen muss, ist damit aber nicht entschieden.

Frage: Was steht konkret in der Entscheidung des Schiedsgremiums?

Antwort: Zunächst einmal wird in dem dreiseitigen Dokument, das dem STANDARD vorliegt, festgehalten, worauf sich die türkisen Beweisanträge beziehen. Nämlich auf die Vorlage "der elektronischen Dateien der Kommunikationsverläufe auf dem Diensthandy beziehungsweise einem etwaigen Dienst-Tablet wie SMS, iMessage, Whatsapp, Signal, Telegram et cetera" des Wiener Bürgermeisters und des Wiener Finanzstadtrats, der für die Wiener Stadtwerke und damit für die Wien Energie zuständig ist. Dazu hält das Schiedsgremium fest, dass es "offenkundig" sei, dass die verschriftlichte Kommunikation der beiden Sozialdemokraten Aufschluss darüber geben könnte, was sich hinter den Kulissen der Causa Wien Energie abgespielt haben könnte. Denn es sei davon auszugehen, dass Ludwig und Hanke "ihre Diensthandys verwendet haben, um über diese Themen zu kommunizieren".

Einem Beweisantrag der Wiener Freiheitlichen hinsichtlich des Handys von Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) wurde übrigens nicht stattgegeben.

Frage: Ist diese Entscheidung rechtlich bindend? Müssen Ludwig und Hanke also ihre Diensthandys nun zwingend aushändigen?

Antwort: Nein. Das muss sogar die Wiener ÖVP auf Nachfrage des STANDARD einräumen. Am Donnerstagabend titelte deren Klubobmann Markus Wölbitsch zwar noch eine Aussendung euphorisch mit "Bürgermeister Ludwig muss Diensthandy offenlegen". Aber die Realität sieht doch etwas anders aus. "Es ist richtig, dass das jetzt nicht mehr in unserer Hand liegt", sagt Wölbitschs Sprecher. Es gebe demnach keine "dezidierte Möglichkeit", die Handys der beiden roten Stadtgranden nun einzufordern. Es liege nun an den beiden, "wie sie damit umgehen".

Die Untersuchungskommission des Gemeinderates sieht nämlich keine Zwangsmittel vor, wie das etwa in Untersuchungsausschüssen im Bund der Fall ist. Es liegt also an Ludwig und Hanke, ob sie die Chats vorlegen oder nicht. Die Entscheidung des Schiedsgremiums besagt auch lediglich, dass Chats als Beweismittel grundsätzlich "geeignet" seien, "einen Beitrag zur Ermittlung" zu leisten und im Konnex mit dem Untersuchungsgegenstand stehen. Von einer Aufforderung, etwas zu liefern, ist keine Rede.

Ob Michael Ludwig, der mächtigste Genosse in der Wiener SPÖ, seine Chatnachrichten für die Untersuchungskommission freigibt, hängt im Grunde von dessen Freiwilligkeit ab.
Foto: Heribert Corn

Frage: Wird der Wiener Bürgermeister den Chatlieferungen nun nachkommen?

Antwort: Derzeit nicht. Ludwigs Büro lässt lediglich ausrichten, dass der Wiener Bürgermeister "selbstverständlich" seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen werde. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass Ludwig nun seine Korrespondenzen zu Wien Energie offenlegen wird. Im Kreis des Genossen argumentiert man mit Datenschutzbedenken, fürchtet rechtliche Probleme durch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten Dritter.

Auch die Entscheidung des Schiedsgremiums deutet darauf hin, dass in der Untersuchungskommission zu Wien Energie offenbar gerade rechtliches Neuland betreten wird. "In weiterer Folge wird auch die ersuchte Behörde zu prüfen haben", heißt es darin sperrig, "ob eine solche Beweisaufnahme in ihrem gesetzmäßigen Wirkungsbereich liegt und ob der Untersuchungskommission eine gesetzliche Grundlage für die beantragte Beweisaufnahme zukommt." Der Ball der Prüfung liege hier aus Sicht der ÖVP also einmal mehr bei Ludwig und Hanke.

Hanke erklärt auf Nachfrage des STANDARD: "Ich habe immer gesagt, ich bin für volle Transparenz. Eine Rechtsgrundlage für eine Durchsetzung (Anm. Vorlage des Diensthandys) gibt es nicht. Dennoch werde ich in Abstimmung mit der Rechtsabteilung des Magistrats beraten, in welcher Form man die gewünschten Informationen zur Verfügung stellen kann."

Frage: Sollte sich Ludwig weigern, sein Handy herauszugeben – lässt sich dagegen noch in irgendeiner Weise rechtlich vorgehen?

Antwort: Nein. Die Juristen der Wiener ÖVP suchen zwar nach einer rechtlichen Lücke. Die dürfte es aber nicht geben. "Wir sehen keine", sagt ein Sprecher aus Wölbitschs Büro. Man sei daher schlicht auf den Willen der betroffenen Genossen angewiesen.

Frage: In aller Kürze: Worum geht es in der Causa Wien Energie noch einmal?

Antwort: Grob gesagt sind in dieser Sache vor allem zwei Stränge relevant. Es geht darum, ob Ludwig und Hanke auf die "Mondpreise" am Strommarkt, wie es heuer im Sommer hieß, adäquat reagiert hatten. Aber auch um die Frage, ob es vertretbar war, dass Ludwig der zwischenzeitlich kriselnden Wien Energie per Notkompetenz und ohne die Öffentlichkeit zeitnah darüber zu informieren 1,4 Milliarden Euro an Stadtkrediten gewährt hatte. Mittlerweile habe die Wien Energie ihre Schulden beglichen, heißt es. (Jan Michael Marchart, 30.12.2022)