Thielemann bei der Premiere der Oper "Ring-Zyklus I: Das Rheingold" in der Staatsoper Unter den Linden.

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An jedem Neujahrstag ist exakt um 13.05 Uhr klar, wer zum nächsten Jahreswechsel eher kurz und unruhig schlafen wird. Denn dann verkünden die Wiener Philharmoniker, wer das Neujahrskonzert des nächsten Jahres leitet. 2024 schläft Christian Thielemann schlecht.

Obwohl: Erfahrung hat der Deutsche in diesen Belangen ja, 2019 hat der 63-Jährige das öffentlichkeitswirksamste Konzert der Klassikbranche schon einmal geleitet. Ob Thielemann damals wohl zum Kreis der "kreidebleichen" Debütanten gehört hat, die man nach Aussage Barbara Retts aufs Podium schieben musste? Man kann es sich bei einem Fels wie dem gebürtigen Berliner kaum vorstellen.

Die Wiener Philharmoniker wählen für das Neujahrskonzert grundsätzlich einen Orchesterleiter, mit dem sie eng vertraut sind. Bei Thielemann ist das seit über zwei Jahrzehnten der Fall: Man hat zusammen alle Beethoven-Symphonien aufgenommen, im nächsten Jahr wird der gemeinsam erarbeitete Zyklus aller Bruckner-Symphonien veröffentlicht. Da darf zuvor gemeinsam ein Tänzchen gewagt werden, vor den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit.

Großer Umbruch

Das Engagement mag von Thielemann als Streicheleinheit zur rechten Zeit wahrgenommen werden, waren die letzten Jahre für ihn doch eher von Enttäuschungen geprägt. Bei den Salzburger Osterfestspielen musste er Nikolaus Bachler als künstlerischem Leiter Platz machen, in Bayreuth wurde ihm der für ihn geschaffene Posten des Musikdirektors 2020 wieder entzogen. Und sein Vertrag als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden wird 2024 auslaufen.

Der streitbare Kopf hat nun mehr Zeit, mit seinem Porsche ins ehemalige Ostpreußen zu fahren und seinem Freund Mathias Döpfner, Chef des Axel-Springer-Verlags, von den dortigen Landschaften vorzuschwärmen.

Ein gewisses Gefühl

Zeit auch, um die Fransen seiner Teppiche parallel auszurichten: Denn Unordnung hasst der Kapellmeister mit dem Spezialgebiet Deutsche Romantik genauso wie Dilettantismus und unbotmäßige Kritik.

"In Wien", so erinnerte sich Thielemann an sein erstes Neujahrskonzert, "ist es insofern immer lustig, weil man denkt, die greifen einem in die Hosentasche. Und die gucken und sehen alles ganz genau." Im Musikverein stelle sich "so ein gewisses Hauskonzertgefühl" ein: "Man denkt fast, man sitzt im Wohnzimmer." Ein Wohnzimmer, in das auch 2024 die ganze Welt miteingeladen ist. (Stefan Ender, 1.1.2022)