Der Durchbruch, der in Wien gelang, ist fast zehn Jahre her. 2013 schaffte es ein Team von Forschenden des Imba erstmals, menschliche Mini-Hirne in der Petrischale zu züchten. Seitdem haben sich diese sogenannten Organoide als vielversprechendes Modell für die Erforschung sowohl von neurologischen Entwicklungen als auch neurologischen Krankheiten erwiesen. Dabei zeigte sich, dass diese aus Stammzellen hergestellten Miniaturnachbildungen der Hirnrinde durchaus ihre eigene neuronale Aktivität produzieren können.

Bisher wurde aber noch nie beobachtet, dass sich diese Organoide mit umliegendem "echtem" Hirngewebe verbinden, um synchron auf äußere Reize zu reagieren. Genau davon berichtet nun ein Team unter der Leitung der aus der Türkei stammenden Forscherin Duygu Kuzum (Universität von Kalifornien in Santa Cruz) in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Nature Communications".

Mit neuen Bildgebungsverfahren ...

Wie die Forschenden schreiben, waren menschliche Hirnorganoide ganz konkret in der Lage, funktionelle Verbindungen mit dem Gehirngewebe von Mäusen herzustellen und auf visuelle Reize zu reagieren. Nach der Implantation der menschlichen "Mini-Gehirne" in die Kortexe der Tiere setzten die Studienautoren eine Reihe von Bildgebungsverfahren ein, um die Bildung von "Mensch-Maus-Synapsen" zu bestätigen.

Schematische Darstellung der Einpflanzung: Die Mini-Hirne wurden aus sogenannten iPS-Zellen (Hautzellen, die zu Stammzellen rückprogrammiert wurden) in der Petrischale gezüchtet (d) und dann Mäusen eingepflanzt, wo sie (e) mit hochempfindlichen Messapparaturen verbunden waren.
Grafik: Madison Wilson et al., Nature Communications 2022

Das Haupthindernis für den Nachweis eines solchen Phänomens war vor allem ein technologisches, da die vorhandenen Elektrodenanordnungen bisher nicht sensibel genug waren, um eine derart geringfügige elektrische Aktivität aufzuzeichnen. Den Forschenden um Kuzum, die Expertin für Nanoelektronik ist, gelang es jedoch, diese Hürde zu überwinden, indem sie mithilfe von Platin-Nanopartikeln transparente Mikroelektroden-Arrays aus Graphen herstellten.

... zu erstmaligen genauen Messungen

Erhielten die Mäuse einen visuellen Reiz durch Licht, konnten Erstautorin Madison Wilson und ihre Kolleginnen mit diesen implantierten Elektroden die neuronale Aktivität in den Organoiden und im umgebenden Hirngewebe gleichzeitig messen.

Die Forscher beobachteten elektrische Aktivität in den Elektrodenkanälen über den Organoiden, was zeigt, dass die Organoide auf den Stimulus genauso reagierten wie das umgebende Gewebe.
Foto: David Baillot / UC San Diego

Dabei stellten sie fest, dass beide auf den Reiz in gleicher Weise reagierten. "In keiner anderen Studie ist es bisher gelungen, gleichzeitig optisch und elektrisch zu messen", erklärt Wilson. "Unsere Experimente zeigen, dass visuelle Reize elektrophysiologische Reaktionen in den Organoiden hervorrufen, die mit den Reaktionen des umgebenden Kortex übereinstimmen."

Mithilfe einer hoch verfeinerten Mikroskopiertechnik, der sogenannten Zwei-Photonen-Bildgebung, konnte das Team zeigen, dass die Blutgefäße der Maus begonnen hatten, sich in die menschlichen Hirnorganoide auszudehnen und sie mit Nährstoffen und Energie zu versorgen. Die Hirnwellenaktivität innerhalb der Organoide wurde auch mit der des umgebenden Gewebes synchronisiert.

Integration ins Mäusehirn

Das wiederum deutet darauf hin, dass innerhalb von drei Wochen nach der Implantation funktionelle Verbindungen zwischen dem menschlichen und dem kortikalen Gewebe der Maus hergestellt worden waren. Die Studienautoren setzten ihre Beobachtungen elf Wochen lang fort und zeigten, dass die menschlichen Gehirnorganoide funktionell und morphologisch in die Mäusehirne integriert werden.

Und wozu soll das dienen? Die Forschenden liefern selbst zumindest zwei konkrete Ideen: "Wir stellen uns vor, dass diese Kombination von Stammzell- und Neuroaufzeichnungstechnologien in Zukunft für die Modellierung von Krankheiten unter physiologischen Bedingungen auf der Ebene neuronaler Schaltkreise eingesetzt werden könnte." Ihre neu entwickelte Technik könnte aber auch bei der Bewertung des Potenzials von Organoiden zur Wiederherstellung bestimmter verlorener, degenerierter oder geschädigter Hirnregionen helfen. (Klaus Taschwer, 2.1.2023)