Bis Herbst 1933 hing das Sonnenblumenbild (1889) in der Empfangshalle des von Paul von Mendelssohn-Bartholdy als Sommersitz genutzten Schloss Börnicke (Bernau bei Berlin).

Foto: Joseph Popp, ca. 1916 (Repro „Madame Soler“)

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Im Fokus der Familie Mendelssohn: "Sonnenblumen".

Foto: Shimizu/AP/picturedesk.com

Vincent van Goghs Sonnenblumen sind jenes Motiv, das wie kein anderes weltweit zu seiner posthumen Bekanntheit beitrug. Sie genießen einen Ikonenstatus, den Klimaaktivisten in der National Gallery in London zuletzt auch für ihre Zwecke zu nutzen verstanden. Das verglaste Bild mit einem kolportierten Wert von 85 Millionen Dollar überstand die Suppenattacke im Oktober (anders als der Rahmen) schadlos. Im Jänner werden sich die beiden Aktivistinnen dennoch vor einem Gericht in London verantworten müssen.

In den USA ist seit Mitte Dezember ein anderes Sonnenblumenbild Gegenstand eines Verfahrens, in dem es um eine Schadenersatzforderung in der Höhe von beachtlichen 750 Millionen Dollar geht. Der Hintergrund: Die Erben des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy forderten von dem japanischen Versicherungskonzern Sompo zuvor vergeblich die Rückgabe des Gemäldes, das ihr Vorfahre in der NS-Zeit zu verkaufen gezwungen gewesen sei. Der Konzern lehnte ab, obwohl diesem die problematische Herkunftsgeschichte des Bildes längst bekannt ist, wie die Kläger argumentieren.

Es handelt sich dabei um eine der größeren Fassungen aus der im August 1888 und im Jänner 1889 in Arles geschaffenen Serie von sieben Bildern, für die van Gogh bis zu 15 Sonnenblumen in einer Vase arrangiert hatte. Sechs der Gemälde blieben erhalten, bis auf eines in Privatbesitz befinden sich alle in Museen. Darunter auch jenes, das Sompo in seinem Museum in Tokio zeigt.

Der bis 2002 unter dem Namen Yasuda firmierende Konzern hatte das Gemälde 1987 im Vorfeld eines Firmenjubiläums bei Christie’s für 39,85 Millionen Dollar ersteigert. Ehedem ein historischer Auktionsweltrekord, der, wie der damalige japanische CEO stolz betonte, einen Werbewert von 160 Millionen Dollar generiert habe. Nicht zur Debatte stand die Herkunft des Bildes. Aus gegenwärtiger Sicht hätten die im Auktionskatalog publizierten Angaben wohl Provenienzforscherinnen alarmiert. Allerdings fehlte für Besitzerwechsel in der NS-Zeit damals noch das Problembewusstsein. Zu den Eigentümern gehörte Paul von Mendelssohn-Bartholdy, ein Großneffe des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy. Ersterer hatte das Bild 1910 im französischen Kunsthandel erworben. Als nachfolgende Besitzerin nannte der Katalog die britisch-amerikanische Sammlerin Edith Beatty. 1934 hatte sie das Bild bei der Galerie Paul Rosenberg in Paris gekauft.

Finanzieller Druck

So weit, so unverdächtig. Tatsächlich trennte sich Mendelssohn-Bartholdy von den Sonnenblumen van Goghs und anderen Werken aus seiner Sammlung nicht ganz freiwillig. Nach der Machtergreifung der Nazis Ende Jänner 1933 verlor der Bankier zahlreiche seiner Funktionen und geriet zunehmend unter finanziellen Druck. Zwischen September 1933 und Februar 1934 gab er 16 seiner wertvollsten Bilder Kunsthändlern in der Schweiz und in Frankreich in Kommission.

Durch die Verkäufe im Ausland wollte er an Mittel kommen, auf die die Nazis keinen Zugriff hatten, wie sein Großneffe, der Potsdamer Historiker Julius Schoeps, in einem aktuellen Buch darlegt. In Wem gehört Picassos ‚Madame Soler‘ (Hentrich und Hentrich, Berlin 2022) rekonstruiert er die Geschichte der Sammlung und schildert auch als Sprecher der Erbengemeinschaft die Bemühungen, Ansprüche geltend zu machen. Ein seit 20 Jahren vorwiegend in den USA gefochtener Kampf, der für Werke von Picasso bislang meist in Vergleichen und Zahlungen in unbekannter Höhe mündete. 2009 einigte man sich mit dem Guggenheim-Museum (Die Mühle von La Galette) und dem Museum of Modern Art (Nackter Knabe mit Pferd), ein Jahr später mit dem britischen Musicalkomponisten Andrew Lloyd Webber (Porträt von Angel Fernández de Soto Der Absinthtrinker).

Die bislang einzige Restitution erwirkte man im Frühjahr 2020 für ein Frauenporträt aus Picassos blauer Periode. Die National Gallery in Washington begründete die Entscheidung damit, die Kosten eines Rechtsstreits zu vermeiden, nicht, weil es die Ansprüche der Erben als berechtigt anerkenne, wie das Wall Street Journal berichtete. Wie der japanische Versicherungskonzern die Klage im Falle von van Goghs Sonnenblumen mittelfristig zu handhaben gedenkt, wird sich weisen. (Olga Kronsteiner, 3.1.2023)