Ein riesiger Spiegel mit der Aufschrift "I do You" weist den Weg in die Welten der Italienerin Monica Bonvicini.

John MacDougall / APA

Fesselspiele waren vor noch nicht allzu langer Zeit eine Weile das heiße Ding beim Sex. Wer über Missionarsstellung und Löffelchen hinauswollte, schmiedete sich an die Bettkante und gab sich – gern auch noch die Augen verdeckt – den Wonnen der Passivität hin. Mit Fifty Shades of Grey kam dann eher das Beserl in Mode, das eigentlich ein Peitscherl ist – quasi die Heintje-Version von BDSM, aber heitschi cum peitschi, bumm bumm.

Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini hat den Ruf, eine strenge Dame ihres Metiers zu sein. Insofern ist es nur konsequent, dass Fesselspiele nun auch Teil ihrer aktuellen Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin sind. Von der Decke hängen an manchen Stellen Ketten, an deren Ende sich Handschellen befinden, die man sich freiwillig anlegen kann. Man wird dadurch zu einem Teil einer Installation, auch einer Performance, denn sobald das Metall einmal eingeschnappt ist, muss man ein Weilchen durchhalten, auch vor dem Publikum, das sich nicht so einspannen lassen möchte und das die Mutigen bestaunt, die Kunst mit sich machen lassen.

Gesten der Dominanz

I do You, so heißt die Schau mit einer provokanten Ansage, die in Zeiten (und in einer Stadt) der Promiskuität deutlich sexuelle Anklänge erkennen lässt. Wer hier wen "tut" oder es sich (mit wem) besorgt, das ist naturgemäß vielschichtig, aber so wie das riesige Plakat vor dem ikonischen Glasbau von Mies van der Rohe steht, ist ein Aspekt unübersehbar: Bonvicini tut oder treibt es mit dem Gebäude. Und zwar auf eine Weise, die man ohne weiteres als raffiniertes Liebesspiel verstehen könnte: Gesten der Dominanz sind neben solchen der Verführung zu erkennen, es gibt sogar, wenn man denn diese Deutungsebene konsequent zu Ende denken möchte, Höhepunkte und Gipfelsiege.

Bonvicini, die seit vielen Jahren in Berlin lebt und von hier aus arbeitet, hat in der Neuen Nationalgalerie also ein Heimspiel und auch eine Gelegenheit zu einer Retrospektive, auch wenn ihre Arbeiten aus mehr als 30 Jahren viel zu vielfältig sind, um sie nun unter dem Dach einer Prestigeinstitution einfach begehbar zu machen. Geschlechteraspekte oder die oft als Machtverhältnis aufgefasste Differenz zwischen den Polen männlich und weiblich sind natürlich nicht exklusiv ihr Thema, aber Bonvicini ist in diesen Fragen immer kühn und radikal. Das ist nun auch bei I do You wieder deutlich, indem sie sich die Sprache männlicher Eroberung aneignet und sich das Gebäude gefügig macht, um darin einen Raum für die eigenen Arbeiten wie neu zu schaffen.

Die Hosen fallen lassen

Eine große Spiegelwand und ein "erster Stock" (Upper Floor) sind die zentralen architektonischen Interventionen, mit denen Bonvicini die Neue Nationalgalerie grundlegend verwandelt. Man wird einmal an die Rückseite des Gebäudes geleitet, von dort steigt man nach oben und erreicht ein Plateau, das sie mit einer großen Textilarbeit ausgelegt hat: Breach of Décor zeigt zahlreiche Aufnahmen von Hosen, die Bonvicini im Lauf der Jahre getragen und nach dem Ausziehen fotografiert hat; im Kunstbetrieb kommt es mehr denn je darauf an, wer die Hosen anhat, und sie zeigt hier, dass sie es sich längst leisten kann, die Hosen auch wieder fallen zu lassen.

Dass ihr Berliner Galerist Johann König just in den Tagen rund um die Vorbereitung von Ido You mit Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens konfrontiert wurde, erforderte auch von Bonvicini eine Positionierung, die schließlich auf eine Beendigung der Zusammenarbeit hinauslief. Plötzlich musste die souveräne künstlerische Autonomie, die sie wie kaum eine Kollegin zu suggerieren versteht, auch konkret eingelöst werden – während rund um die Vorwürfe gegen König auch Details bekannt werden, die Aspekte von Vorverurteilung erkennen lassen.

Eine zentrale Neonlichtskulptur in I do You scheint beinahe mit diesen Dimensionen von Wahrheit und Blindheit zu spielen: Light me Black inszeniert auf dem Upper Floor das Publikum in einer Verkettung von blendender Helligkeit und Verfinsterung – und wirft in den Abendstunden fantastische Schattenspiele.

Wechselspiel mit Facetten

Die Ausstellung ist nicht nur ortsspezifisch, sondern auch jahreszeitenspezifisch, sie wird mit jedem Tag, an dem die Nächte kürzer werden, einen Teil ihrer Magie einbüßen. Ein Aspekt, den Bonvicini vermutlich mitbedacht hat, dann man sieht sehr deutlich, dass sie zahlreiche Effekte, die im Wechselspiel zwischen ihrer Kunst und der Neuen Nationalgalerie entstehen, bis in kleinste Facetten auffächert. Das Ergebnis ist eine Ausstellung, die einerseits die Aufgabe einer Personale an einem exponierten Ort mustergültig erfüllt, die andererseits aber das Privileg und die Zumutung solitärer Kunst verdeutlicht: I do You kann nicht so ohne weiteres "reisen". Wer aber in den nächsten Wochen nach Berlin kommt, sollte die Gelegenheit unbedingt nützen, in dieser einmaligen Schau für sich die richtige Rolle zu suchen. (Bert Rebhandl, 3.1.2023)