Diese beiden heute nicht mehr existierenden Inseln auf der ältesten Karte Großbritanniens führten die Forscher auf die Spur.

Gough-Karte, gemeinfrei

Geschichten über ein versunkenes antikes Königreich vor der Küste von Wales reichen weit in die Vergangenheit zurück. Als Cantre'r Gwaelod (englisch: The Lowland Hundred, deutsch: "Die Tiefland-Hundertschaft") bezeichnet, ist dieses walisische Atlantis zwar nie so bekannt geworden wie das echte Atlantis. Aber in der Folklore, Literatur und dem Liedgut von Wales spielt es gleichwohl eine wichtige Rolle.

Es gibt mehrere Versionen der Legende. Die älteste findet sich im mittelalterlichen "Black Book of Carmarthen" aus dem 13. Jahrhundert. Darin wird von einem Königreich berichtet, das durch Deiche geschützt war, bis die Bewohner durch Überschwemmungen gezwungen wurden, es aufzugeben.

Ancient Architects

Die heute verbreitete Version der Legende stammt wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert. Als Ort wird das fruchtbare Land zwischen Ramsey Island und Bardsey Island in der heutigen Cardigan Bay vermutet.

Historischer Kern der Legende

Doch hat diese Legende auch irgendeinen historischen Wahrheitsgehalt? Dieser Frage sind Simon Haslett, Geografe an der Universität Swansea, und David Willis, Keltologe an der Uni Oxford, interdisziplinär nachgegangen und fündig geworden. Die beiden Forscher nahmen die geografische und geologische Entwicklung der Cardigan Bay unter die Lupe und sahen sich auch altes Kartenmaterial an.

Einen entscheidenden Hinweis fanden sie auf der sogenannten Gough-Karte, die seit dem Jahr 1799 in der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt wird. Diese älteste Karte Großbritanniens stammt vermutlich aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Darauf sind auch zwei namenlose Inseln abgebildet, die in der Cardigan-Bucht liegen, aber heute nicht mehr existieren. Da die Gough-Karte insbesondere hinsichtlich der Küstenlinien als recht zuverlässig gilt, dürfte der Kartenzeichner auch mit der Darstellung dieser beiden Inseln richtig gelegen haben, so die beiden Forscher.

Größerer Ausschnitt der Gough-Karte mit den beiden inzwischen verschwundenen Inseln links oben.
Gough-Karte, gemeinfrei

Geologie der Küstenlinie

Da diese beiden verschwundenen Inseln noch nie wissenschaftlich untersucht worden sind, machten sich Haslett und Willis daran, sowohl historische Quellen als auch geologische Belege für die mögliche Existenz dieser Eilande zu sammeln und die nacheiszeitliche Küstenentwicklung zu rekonstruieren. Laut ihren Untersuchungen, die 2022 im Fachjournal "Atlantic Geoscience" erschienen, war das Gebiet während des Pleistozäns ursprünglich von Norden und Westen her mit Eis aus der Irischen See und von Osten her mit walisischem Eis bedeckt.

Daraus entwickelte sich eine Landschaft aus unverfestigten eiszeitlichen Ablagerungen mit einer Landoberfläche von bis zu rund 30 Metern über dem heutigen Meeresspiegel. Danach kam es zur Erosion entlang einer sich zurückziehenden Küstenlinie, die durch den Anstieg des Meeresspiegels im Holozän, und durch Flüsse verändert wurde. Schließlich kam es zur Zerschneidung der Landschaft, die zur Bildung von Inseln führte; doch fortgesetzte Abwärtsbewegung, Randerosion und Meeresüberflutung brachten die beiden verbleibenden Inseln bis zum 16. Jahrhundert zum Verschwinden.

Literarische und geografische Bestätigungen

Das deckt sich im Großen und Ganzen auch mit den literarischen Belegen und volkstümlichen Überlieferungen, wonach die Cardigan-Bucht mit dem "verlorenen" Tiefland von Cantre'r Gwaelod verbunden war. Es passt aber auch zur heutigen Geografie der Cardigan Bay. Teile davon sind tatsächlich sehr flach, und eine Handvoll Dämme ragen in diesem Gebiet aus dem Wasser.

Sarn Badrig (was im Englischen "St. Patrick's causeway" bedeutet) liegt beispielsweise etwa vier Kilometer von der walisischen Küste entfernt, kann aber begangen werden. All diese Hinweise deuten darauf hin, dass dort Land existierte und bewirtschaftet wurde, das aber nach und nach durch Erosion und steigendes Wasser verloren ging.

Blick in die Zukunft

Die interdisziplinäre Studie blickt aber nicht nur in eine mehr oder weniger legendäre Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft – mit eher unerfreulichen Nachrichten. Für den Geografen Haslett ist offensichtlich, dass der Erosionsprozess der Cardigan Bay noch lange nicht abgeschlossen ist: "Dort sind einige Städte durch den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet sind und werden wahrscheinlich zu einigen der ersten Klimaflüchtlinge im Vereinigten Königreich führen." (tasch, 3.1.2023)