Der Bereich Tiefbau hat im vergangenen Jahr den Rückgang im Wohnbau kompensiert. Insgesamt stagniert die Branche.

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Die Baubranche kämpft derzeit gleich an mehreren Fronten: Schon die Corona-Pandemie, die Lieferengpässen auslöste, hat die Kosten für Baustoffe in lichte Höhen getrieben. Russlands Krieg in der Ukraine und die explodierenden Energiepreise heizen diese Entwicklung nun zusätzlich an.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Im Kampf gegen die Inflation setzt die Europäische Zentralbank (EZB) auf steigende Zinsen. Damit erhöhen sich die Finanzierungskosten für Bauvorhaben. Und auch die strengeren Regeln für die Vergabe von Immobilienkrediten dürften dazu führen, dass in den nächsten Jahren weniger gebaut wird.

Das alles könnte sich zu einer giftigen Mischung entwickeln, befürchtet die Baubranche, die sich in den vergangenen Wochen zunehmend besorgt zeigte.

So erwartet etwa die deutsche Bauwirtschaft für das kommende Jahr den dritten realen Umsatzrückgang in Folge und erstmals seit 2009 wieder einen Beschäftigungsrückgang. Steigende Bau-, Finanzierungs- und Lebenserhaltungskosten schlagen vermehrt auf die Nachfrage durch, heißt es vonseiten des deutschen Zentralverbands für das Baugewerbe (ZDB). Für 2022 erwarte man unter Herausrechnung der gestiegenen Preise einen realen Umsatzverlust von sieben Prozent.

In Österreich war es zuletzt die Vorarlberger Bauwirtschaft, die für das erste Halbjahr 2023 vor "starken Auftragsrückgängen" warnte. Besonders betroffen sei der Wohnbau. Befragte Bauunternehmer und Wohnbauträger würden hier einen Rückgang von mindestens 30 Prozent erwarten. Im gewerblichen Industrie- und öffentlichen Hochbau werde die Auftragslage mit minus 15 Prozent eingeschätzt, im Tiefbau mit minus 18 Prozent.

Ende des Baubooms

Muss sich die Baubranche nach dem Boom der vergangenen Jahre nun also auf eine längere Phase des Abschwungs einstellen?

"Der Ausblick ist nicht mehr so goldig wie in den letzten Jahren", sagt Michael Klien vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im Gespräch mit dem STANDARD. "Von einem Einbruch würde ich aber nicht sprechen." Vielmehr sei es so, dass von der Boomphase der letzten Jahre "ein oder zwei Gänge" zurückgeschaltet werde. Das Wifo befragt monatlich ein paar Hundert Unternehmen in Österreich. "Und da sieht man schon, dass sich die Stimmung im Verlauf des letzten Jahres gedrückt hat", sagt Klien.

Blickt man auf die Gesamtzahlen, sieht die Bilanz nicht unbedingt schlecht aus. Für 2022 errechnete das Wifo ein reales Nullwachstum. Soll heißen: Rechnet man die Teuerung aus den gestiegenen Umsätzen heraus, blieb die Wirtschaftsleistung unterm Strich auf einem ähnlichen Niveau wie im Jahr 2021. "Das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Baupreise zum Teil über zehn Prozent gestiegen sind", erklärt Klien. "Wir haben ein starkes Produktionswachstum, nur bleibt real wenig davon über." Nächstes Jahr dürfte sich dieser Trend fortsetzen. Das Wifo rechnet im Bauwesen mit einem leichten Plus von 0,3 Prozent.

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Minus im Wohnbau

Während das Bauwesen insgesamt stagniert, gibt es vor allem im Bereich des Wohnbaus einen realen Rückgang, worauf auch Branchenvertreter hinweisen. Für 2022 errechneten die Wirtschaftsforscher ein sattes Minus von 2,2 Prozent; für 2023 ein Minus von 1,1 Prozent. Insbesondere der Neubau leide stark unter den hohen Baukosten und den Rückgängen bei der Nachfrage, sagt Klien.

Dass die Branche insgesamt trotzdem "nur" stagniert, sei auf "kompensierende Faktoren" zurückzuführen. Eine gewisse Rolle spielen dabei Gebäudesanierungen. Der größere Brocken wird jedoch durch den Bereich Tiefbau ausgeglichen, der vergangenes Jahr um zwei Prozent wuchs. Darunter fällt etwa der Straßenbau, der Kanalbau oder die Errichtung von Fundamenten für Bahngleise. Für 2023 sind in diesem Bausektor drei Prozent Wachstum prognostiziert.

Der Grund dafür ist laut Klien, dass der Staat viel Geld in Infrastruktur investiert – zum Beispiel in den öffentlichen Verkehr oder in den Breitbandausbau. Dazu kommt, dass mehr Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien errichtet werden. Die Energiekrise hat dem Ausbau von Photovoltaik-Feldern und Windrädern einen Schub verpasst.

Betrachtet man die gesamte Baubranche, stehe Österreich derzeit besser da als Deutschland, sagt Klien. Das könnte unter anderem daran liegen, dass der Bauboom hierzulande weniger stark ausgeprägt war. "Insofern geht es auch stabiler weiter."

Zinseffekte sind verzögert

Vor allem der Wohnbau, der volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch eine wichtige Rolle spielt, bereitet den Bauunternehmen derzeit Sorgen. Gegen die neuen, strengen Regeln für die Vergabe von Immobilienkrediten formierte sich zuletzt zunehmend Widerstand. Zur Erinnerung: Seit dem 1. August 2022 müssen Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer 20 Prozent des Kaufpreises in Form von Eigenkapital aufbringen. Zudem darf die Kreditrate nicht mehr als 40 Prozent des Nettoeinkommens des jeweiligen Haushalts betragen.

Bevor die neuen Vorgaben in Kraft traten, war bei der Kreditvergabe ein kräftiger "Vorzieheffekt" spürbar, der durch die steigenden Zinsen verstärkt wurde, erklärt Klien. Sprich im Wissen, dass die Regeln strenger werden und die Zinsen steigen, haben viele früher als geplant einen Kredit aufgenommen. Im Sommer ist die Vergabe von neuen Krediten dann dramatisch eingebrochen. Laut Zahlen der Nationalbank zum Teil bis zu 50 Prozent – ein Trend, der nach wie vor anhält.

Bis sich die höheren Zinsen und die verschärften Kreditregeln tatsächlich auf die Bauwirtschaft auswirken, dürfte es aber noch mehrere Monate bis Jahre dauern. Bauprojekte haben für gewöhnlich eine besonders lange Vorlaufzeit.

Ziel erreicht?

Die Anzahl der Baubewilligungen geht jedenfalls schon seit drei Jahren laufend zurück. Nicht nur Branchenvertreter halten die verschärften Regeln daher für überschießend. Auch das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) denkt mittlerweile über Lockerungen nach. So könnten künftig etwa Förderungen von Ländern und Zwischenfinanzierungen durch bestehende Immobilien stärker bei der Eigenmittelquote berücksichtigt werden.

An der generellen Ausrichtung der Vorgaben wird sich allerdings nichts ändern – schließlich erfüllen die neuen Kreditregeln ihr Ziel, den Anstieg der Immobilienpreise zu dämpfen und riskante Kreditvergaben zu vermeiden. Dasselbe gilt für die steigenden Leitzinsen der EZB, die die Inflation drücken sollen. Sie haben gerade den Zweck, den Aufschwung abzuschwächen und die Nachfrage und das Angebot wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Ökonominnen und Ökonomen der EZB müssen sich in den kommenden Monaten und Jahren weiterhin eine schwierige Abwägungsfrage stellen – auch mit Blick auf die Bauwirtschaft: Wie viel Wirtschaftsabschwung können wir uns im Kampf gegen die Inflation leisten? (Jakob Pflügl, 3.1.2023)