Das Progammheft zum Match.

Auch Günter Netzer von Borussia Mönchengladbach war mit von der Partie.

Foto: imago/Horstmüller

Wie lässt sich Begeisterung für das europäische Einigungswerk erzeugen? Mit Sport- und Kulturveranstaltungen, lautet die Antwort noch heute häufig, und vor 50 Jahren war das nicht anders. Zur Feier des britischen Beitritts zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1973 jedenfalls wollte die Regierung des Europa-begeisterten Premiers Edward Heath die Londoner mit Konzerten, Kunstausstellungen und einer Messe kulinarischer Köstlichkeiten vom Kontinent beeindrucken. Höhepunkt war an diesem Dienstag vor 50 Jahren ein kurioses Fußballspiel im Wembley-Stadion: die drei gegen die sechs.

British Movietone

Denn der heutigen EU traten am Neujahrstag nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch die Nachbarinsel Irland sowie Dänemark bei. Ehrensache also, dass die beiden kleineren Nationen je einen Spieler abstellten für das Dreierteam, das vom englischen Nationalcoach Alf Ramsey zusammengestellt wurde und dementsprechend vor allem aus Engländern bestand, darunter auch die 1966er-Weltmeister Alan Ball, Bobby Charlton und Bobby Moore.

Auf der anderen Trainerbank nahm an jenem kalten Jännertag, der lediglich 36.500 Zuschauer ins riesige Rund gelockt hatte, wie schon im WM-Finale 1966 der Dresdner Helmut Schön Platz. Und so bildeten die Bayern-Spieler Franz Beckenbauer und Gerd Müller sowie das Mönchengladbacher Trio aus Kapitän Günter Netzer, Mittelfeldläufer Hacki Wimmer und Verteidiger Berti Vogts das Korsett der Sechsermannschaft.

Alle außer Luxemburg

Verstärkt wurde sie durch Angehörige aller anderen EWG-Länder bis auf Luxemburg, darunter spätere Legenden wie Italiens Torhüter Dino Zoff und der französische Libero Marius Trésor. Vor allem aber tummelten sich im Sechser-Team eine Reihe jener Fußballer, die anderthalb Jahre später das WM-Finale 1974 bestreiten sollten: auf deutscher Seite außer Beckenbauer, Müller und Vogts etwa Jürgen Grabowski (Eintracht Frankfurt), bei den Niederländern die Ajax-Verteidiger Ruud Krol und Wim Suurbier sowie Mittelfeldmotor Johan Neeskens von Feyenoord Rotterdam, von dessen "Panther-gleichen" Bewegungen Beckenbauer anschließend schwärmte.

Die Äußerungen der beteiligten Spieler zum politischen Zweck ihres Auftritts wirken im Nachhinein wie ein Vorgeschmack auf Großbritanniens und Irlands Rolle in der Brüsseler Gemeinschaft. "Interessiert mich nicht", gab Tottenhams Torhüter Pat Jennings zu Protokoll. Arsenal-Stürmer Alan Ball zeigte sich lediglich daran interessiert, "ob jetzt der Sommerurlaub mit meiner Familie billiger" sein werde. Johnny Giles äußerte sich dagegen positiv: Ein kleines Land wie seine Heimat Irland brauche "enge Handelsbeziehungen mit Europa".

Die Erwähnung politischer Ideale blieb Bayern-Libero Beckenbauer überlassen: Die EWG sei "entscheidend" für bessere Zusammenarbeit und friedliches Zusammenleben in Europa. Friedlich blieb die Atmosphäre jedenfalls auf dem Platz: Mit Toren des Schotten Colin Stein (Coventry) und des Dänen Henning Jensen (Gladbach) gingen die Dreier als 2:0-Sieger vom Platz.

Einmalig

Die Idee eines politisch inspirierten Freundschaftsspiels zur Feier der immer größer werdenden europäischen Gemeinschaft machte keine Schule: Weder bildeten Portugal und Spanien 1986 ein Herausfordererteam, noch durfte Toni Polster 1995 an der Seite von Schweden und Finnen kicken.

Bei den britischen EU-Verweigerern wurde das 50-jährige Beitrittsjubiläum am Sonntag ignoriert. Die zahlreichen Europa-Freunde erinnert es an ihre Niederlage beim Referendum 2016; die konservative Regierung des Brexiteers Rishi Sunak will möglichst wenig über die immer offenkundiger werdenden Nachteile des Isolationsschrittes reden. Kommentatoren wie Sunder Katwala vom Thinktank British Future trösten sich mit dem Hinweis auf die weiterhin bestehenden engen Verbindungen zum Kontinent: "Trotz Brexits ist Großbritannien paradoxerweise heute ein viel europäischeres Land, als es 1973 war."

In Irland erschienen zum Jahrestag in den Medien ausführliche Würdigungen des Schrittes, der der Grünen Insel den Weg aus dem Schatten der bis dahin übermächtigen früheren Kolonialmacht ermöglichte. Befriedigt verzeichnet Dublin den Einfluss prominenter Iren in europäischen Institutionen, von Paschal Donohue, dem Vorsitzenden der Eurozone, über Emer Cooke, der Leiterin der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, bis hin zur Präsidentin des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, Síofra O’Leary. (Sebastian Borger aus London, 3.1.2023)