Aktuell sind zahlreiche Medikamente nicht oder nur beschränkt verfügbar. Meistens gibt es aber Alternativen, weswegen es sinnvoll ist, sich persönlich beraten zu lassen.

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Die Lieferengpässe der Wirtschaft könnten erstmals die Gesundheit gefährden: Manche wichtige Medikamente fehlen – allen voran Antibiotika. Aktuell sind Erkrankte noch ausreichend versorgt. Doch die Situation könnte in diesem Frühjahr erstmals kippen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Frage: Wie groß ist der Mangel an Medikamenten aktuell?

Antwort: Das lässt sich nicht genau beziffern. Aktuell sind 539 Medikamente (Stand: 2.1.2023) nicht oder nur sehr eingeschränkt verfügbar. Diese Zahl führt das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen an. Das entspricht rund 2,7 Prozent aller in Österreich grundsätzlich verfügbaren Arzneimittel. Diese Liste, die tagesaktuell auch online veröffentlicht wird, führt allerdings unterschiedliche Packungsgrößen einzeln an. Daher kann es sein, dass ein Medikament grundsätzlich verfügbar ist, allerdings in einer anderen Packungsgröße als jener, die knapp ist. Tatsächlich dürfte also rund ein Prozent aller Medikamente derzeit nicht lieferbar sein, schätzen Fachleute.

Frage: Welche Arzneimittel fehlen?

Antwort: Die Engpässe "betreffen momentan nur eine Handvoll Medikamente, etwa Cortison-Präparate und verschiedene Antibiotika, vor allem aus der Penicillin-Gruppe", berichtet Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien bzw. des Allgemeinen Krankenhauses Wien (AKH).

Frage: Ist das gefährlich?

Antwort: Der Mangel an Arzneimitteln werde in der Bevölkerung alarmierend wahrgenommen, sei aber de facto nicht so problematisch. Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe, betont man vonseiten der Apothekerkammer und der Pharmaindustrie einstimmig. Auch das Gesundheitsministerium entwarnt: "Aktuell ist die Lage weiterhin stabil." Allerdings ist ein Versorgungsengpass nicht ausgeschlossen, ein Medikamentenmangel kann nicht mit kurzfristigen Maßnahmen behoben werden. Fachleute aus dem Gesundheitssystem warnen seit Jahren davor.

Frage: Kommt es öfter zu Ausfällen?

Antwort: Wird ein Medikament knapp, so bestellen Apotheken mehr Produkte nach, um einen Vorrat zu haben, sagt Andreas Windischbauer, Präsident des Verbands der Arzneimittelgroßhändler, zum STANDARD. Dies führe dazu, dass die Nachfrage größer ist als das Angebot. Daher müsste der Vorrat rationiert werden. Das Vorgehen sei "normales Bedarfsmanagement" und "meistens nicht dramatisch", erläutert Windischbauer.

Frage: Wie sieht die aktuelle Situation in der Praxis aus?

Antwort: Im Netz kursieren Bilder von ausgehängten Listen an Apothekeneingängen, die auf die nicht verfügbaren Medikamente verweisen. Trotzdem sollte man in jedem Fall noch einmal persönlich nachfragen, rät ein Sprecher der Apothekerkammer. Bei vielen Generika, also Arzneimitteln mit patentfreien Wirkstoffen, können alternative Medikamente vom medizinischen Fachpersonal verschrieben werden.

Frage: Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Antwort: Der Apotheker oder die Apothekerin könnte in anderen Apotheken mit größeren Lagermöglichkeiten nachfragen, ob das benötigte Arzneimittel dort noch lagernd ist, oder es aus anderen Ländern bestellen. Und manchmal sind nur bestimmte Packungsgrößen nicht verfügbar. "In 95 Prozent der Fälle verlassen der Patient oder die Patientin mit einem passenden Medikament die Apotheke", heißt es vonseiten der Apothekerkammer.

Frage: Gibt es auch Medikamentenmängel, die Sorgen bereiten?

Antwort: "Durchaus knapp" seien manche Antibiotika, sagt Windischbauer. Aufgrund der aktuellen Infektionswelle sei im ersten Quartal auch nicht abschätzbar, wie sich die Situation entwickelt. Bedenklich stimmt aktuell vor allem die Versorgung mit dem Wirkstoff Penicillin, der im Frühjahr ausgehen könnte.

Frage: Was bedeutet das für Betroffene, wenn Medikamente fehlen?

Antwort: "In den Spitälern sind die Engpässe noch kein Problem", berichtet der klinische Pharmakologe Zeitlinger. Die Situation bereite ihm eher in Hinblick auf den niedergelassenen Bereich Sorge – vor allem die Engpässe bei den Antibiotika, die wichtig zur Behandlung von eigentlich harmlosen Infekten wie einer Mandelentzündung oder einer Harnwegsinfektion wären.

Frage: Wen trifft das am stärksten?

Antwort: Personen mit akutem Infekt oder Menschen, die aufgrund einer chronischen Immunsuppression Kortison brauchen, spüren die Engpässe wohl am stärksten. Aber, beruhigt Zeitlinger: "Der Worst Case ist, dass man auf ein anderes Präparat umsteigen muss. Es ist sicher nicht so, dass ein Patient seine transplantierte Niere verliert, weil er kein Immunsuppressivum mehr bekommt. So weit sind wir längst nicht."

Frage: Wie kommt es überhaupt zu der Knappheit?

Antwort: Für den Mangel gibt es zahlreiche Gründe, die je nach Hersteller variieren. Ein zentraler Grund dürfte sein, dass manche Medikamente heuer viel stärker nachgefragt werden als im Vorjahr, als strengere Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie galten. Neben Corona grassierten dadurch auch weniger andere Infektionskrankheiten – heuer ist das nicht der Fall. Die starke Welle kommt für die Hersteller unerwartet, sie mussten ihre Produktion erst hochfahren. Grundsätzlich beträfen Lieferengpässe, die seit Beginn der Pandemie die Wirtschaft belasten, die Pharmabranche ebenso, sagt Windischbauer. Aufgrund der Antibiotika, die sich nicht ersetzen lassen, werde das Thema nun breiter in der Öffentlichkeit diskutiert.

Frage: Welche Schwierigkeiten gibt es in der Lieferkette?

Antwort: Einen roten Faden gebe es nicht, sagt Windischbauer, weil die Probleme vielseitig sind: Manche Unternehmen hätten Schwierigkeiten, an den Wirkstoff zu gelangen, teilweise herrschen aber auch Lieferengpässe bei Verpackungsmaterial wie Karton oder braunen Glasflaschen.

Frage: Betrifft das Problem auch andere Länder?

Antwort: Ja, alle europäischen Staaten haben derzeit Probleme in der Versorgung. Das Gesundheitsministerium gibt an, aktuell "in enger Abstimmung auf europäischer Ebene" eine koordinierte Vorgehensweise anzustreben, damit sich die Situation nicht weiter zuspitzt.

Frage: Wie lassen sich solche Mängel künftig vermeiden?

Antwort: Die SPÖ fordert ein Budget von drei Milliarden Euro, mit dem Unternehmen gefördert werden sollen, die Medikamente in Österreich produzieren. Langfristig sei Windischbauer zufolge sinnvoll, die Abhängigkeit von asiatischen Herstellern zu verringern und wieder in Europa zu produzieren. Das sei vor allem auf europäischer Ebene möglich. National empfiehlt er, Krisenvorräte für kurzfristige Engpässe zu schaffen. Das Gesundheitsministerium betont in diesem Zusammenhang, dass Österreich "sehr gut aufgestellt" sei. Es gebe diverse Bevorratungspflichten, zudem würden etwa Krankenhäuser, Apotheken und Hersteller weitaus mehr Produkte auf Lager halten als gesetzlich vorgeschrieben. (Muzayen Al-Youssef, Magdalena Pötsch, 3.1.2023)