Am Neujahrstag kam es am Hintertuxer Gletscher im Zillertal erneut zu schweren Skiunfällen. Eine Frau verunglückte auf einem Steilstück und geriet über den Pistenrand hinaus.


Foto: APA / Zoom.Tirol

Die Temperaturen sind frühlingshaft. In den österreichischen Skiorten zeugt vielerorts lediglich ein weißes, von Liftstützen gesäumtes Band vom Winter. Welch große Gefahr das schneefreie, oft steile und mit Felsen und Bäumen durchsetzte Gelände abseits der weißen Kunstschneeteppiche birgt, zeigt ein auffälliger Anstieg tödlicher Skiunfälle in den vergangenen Wochen. Seit dem 1. November sind laut den Zahlen des Kuratoriums für Alpine Sicherheit (ÖKAS) in Österreichs Skigebieten bereits 13 Personen ums Leben gekommen, elf davon allein in Tirol. Viele verloren ihr Leben bei sogenannten Pistenrandunfällen.

Am Neujahrstag verunglückte eine 28-jährige Niederländerin auf dem Hintertuxer Gletscher tödlich. Sie stürzte auf einem vereisten Steilstück auf einer roten Piste, schlitterte rund 100 Meter talwärts, durchbrach ein Fangnetz und wurde 20 Meter in freiem Flug gegen einen Baum geschleudert. Ihre Freundin kam kurze Zeit später unabhängig davon ebenfalls zu Sturz und fiel in eine steinige Mulde. Nur etwa eine halbe Stunde später stürzte an derselben Stelle eine 55-jährige Deutsche und schlug in felsigem Gelände auf.

Auch im Bezirk Kitzbühel kamen einige Tage zuvor zwei 17-jährige Deutsche ums Leben. Sie waren laut Zeugenaussagen mit hoher Geschwindigkeit unterwegs, als sie über den Rand hinausgerieten. Die beiden Jugendlichen stürzten rund 50 bis 60 Meter über eine ausgeaperte Almwiese ab.

"Fast vorprogrammiert"

Vor allem in steilerem Gelände seien Stürze – besonders "wenn man nicht mit ordentlichen Kanten unterwegs ist" – aktuell "fast vorprogrammiert", sagt Viktor Horvath, Leiter der Tiroler Alpinpolizei. Die aktuellen Bedingungen auf der Piste seien "sehr heikel". Der Kunstschnee würde in den Abendstunden präpariert und sei "in den Vormittagsstunden noch relativ gut zu fahren". Am Nachmittag jedoch würde der Schnee "buckelpistenartig in der Mitte zusammengeschoben". Seitlich entstünden dann "sehr gefährliche" Eisflächen.

Eine Sperre angesichts aktueller Unfallzahlen hält Horvath dennoch nicht für notwendig. "Jeder, der die Piste runterfährt, entscheidet sich selbst dafür." Essenziell seien aber "entsprechende Informationen".

Auch der Präsident des Österreichischen Bergrettungsdienst, Stefan Hochstaffl, appelliert an die Vernunft der Skifahrerinnen und Skifahrer. Es mangle ganz einfach oft an der "Kontrolle über die Ski". Viele Menschen seien viel zu schnell unterwegs. Von einer Sperre hält auch Hochstaffl wenig. Es sei wie beim Autofahren: Auch dort müsse man sich den Verhältnissen auf der Straße anpassen. "Selbst wenn es aktuell wieder mehr Verkehrstote gibt, kann man die Autobahn nicht einfach sperren", sagt er.

Die Zahl der Unfallopfer sei außerdem heuer deutlich niederer als in den Vorjahren. Laut ÖKAS verunfallten mit Stand 30. Dezember 265 Personen auf den Pisten des Landes, im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 313 gewesen.

Der Seilbahnen-Obmann in der Wirtschaftskammer und Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz Hörl verweist wiederum auf regelmäßige Kontrollen der Pisten. "Sollte sich herausstellen, dass die Piste nicht befahrbar ist, wird sie auch abgesperrt", sagt Hörl. "Unsere Leute sind entsprechend geschult, es gibt das Pistengütesiegel, es gibt Pistenregeln." Neue Pisten würden von der Sportabteilung des Landes begutachtet. Hörl spricht zwar von einer Häufung schwerer Skiunfälle, plädiert aber dafür, jeden Unfall einzeln zu betrachten. "Selbstüberschätzung und überhöhte Geschwindigkeit" seien laut Hörl die Hauptunfallursachen.

Anfangs mehr Ungeübte

"Es ist im Leben immer alles multikausal", sagt ÖKAS-Präsident Peter Paal: Zu Beginn der Saison seien "mehr Ungeübte unterwegs", zudem nehme "das Körpergewicht in der westlichen Welt zu und die Fitness ab". Neben der Piste sei aktuell "kein Schnee, in dem man weich landen könnte". "Wir können weder das Leben noch die Piste zu hundert Prozent absichern", sagt Paal. Das Kuratorium sei jedenfalls "gegen generelle Verbote wie in der Pandemie". Die "liberale Demokratie" zeichne sich auch dadurch aus, dass man "möglichst viel Eigenverantwortung bei den Menschen" belasse.

Unterdessen laufen die Ermittlungen nach den tödlichen Skiunfällen weiter. Matthias Dengg, Mitglied der Geschäftsführung der Zillertaler Gletscherbahn, wollte sich zu den Unfällen auf dem Hintertuxer Gletscher am Neujahrstag auf Anfrage des STANDARD nicht äußern. Auf die Nachfrage, warum die Piste nach dem tödlichen Unfall nicht sofort gesperrt wurde, ging Dengg nicht ein. "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Verletzten", ließ er wissen und verwies auf die laufenden Erhebungen der Alpinpolizei und Sachverständigen.

Ebenjene nahmen die Unfallstelle noch am Montag unter die Lupe. Ein Gutachten sollte noch im Laufe des Tages an die Staatsanwaltschaft ergehen, hieß es seitens der Polizei. (Maria Retter, 3.1.2023)