Genossen, aber keine Freunde: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wird ihren Widersacher Hans Peter Doskozil nicht los. Er stichelte zuletzt auch mit Umfragen gegen die Vorsitzende.

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Man hat's nicht leicht als SPÖ-Mitglied. Auch dieser Tage nicht. Da liegt die ÖVP nach Jahren der Dominanz in Scherben, da schafft man es nach zahllosen türkisen Affären endlich wieder auf Platz eins in den Umfragen – nur um diesen schon nach wenigen Monaten wieder an die FPÖ zu verlieren, die seither in fast jeder Befragung vorn liegt.

Man könne nur wegen der Schwäche der anderen um Platz eins konkurrieren, nicht wegen der eigenen Stärke, hatten Kritiker schon früh moniert. Und so sei es mit Inflation, steigenden Energiepreisen und der wieder aufflammenden Migrationsdebatte nur eine Frage der Zeit, bis die FPÖ Unzufriedene wieder in größerer Schar von Rot weglocken werde. Die Kritiker sollten recht behalten. Und sie kamen oft aus der eigenen Partei.

Doskozil kommt nicht

Zum Start ins neue Jahr ruft SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner das Bundesparteipräsidium nun zur zweitägigen Klausur nach Klagenfurt – in Kärnten wählt man am 5. März einen neuen Landtag. Es ist eines der wichtigsten roten Bundesländer: Bei der vergangenen Wahl kratzte man unter Landeshauptmann Peter Kaiser mit 48 Prozent an der "Absoluten". Und auch wer in Klagenfurt nicht dabei sein wird, ist kein Zufall: Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der schärfste interne Gegner Rendi-Wagners, trat schon 2021 per Brief an die Parteichefin aus dem Bundespräsidium aus.

Bei der Klausur am Mittwoch und Donnerstag soll es jedenfalls um Teuerung und Bildung gehen, um Gesundheit, Energiewende und Migration. Anspruch sei, das Thema zu versachlichen, heißt es zum STANDARD. Man wolle sich "von der Showpolitik der ÖVP und der Hetze und Spaltung der FPÖ" abgrenzen.

Die Klausur ist als "Arbeitstreffen" angekündigt. Aber natürlich geht es um die Positionierung in der Öffentlichkeit. Für Rendi-Wagner, die den Kanzleranspruch stellt, werden bis zur nächsten Nationalratswahl allerdings weniger die sorgfältig orchestrierten Worte zählen, sondern die Frage, ob sich Wählerinnen und Wähler ausreichend vom Angebot der Sozialdemokratie überzeugen lassen. Derzeit gelingt das am eigenen Anspruch gemessen nur unzureichend. Aber warum eigentlich?

Die Themenlage

Teuerung und Sorgen wegen steigender Lebenshaltungskosten: eigentlich die perfekte Ausgangslage für eine an Zustimmung gewinnende SPÖ – überhaupt in der Opposition. Aber erstens gibt es da mit der FPÖ noch eine zweite Partei, die von dieser Themenkonjunktur profitiert. Und wenn Ängste und Unzufriedenheit größer werden, ist die Fundamentalopposition von Parteichef Herbert Kickl mitunter populärer als Sachpolitik und Erklärungsversuche. Das spürte die SPÖ auch schon auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, als der Versuch der Ärztin Rendi-Wagner, mit ihrem Fachwissen zu punkten, höchstens kurzzeitig verfing.

Zweitens ist die Teuerungsdebatte spätestens ab dem Sommer wieder ein wenig vom Migrationsthema abgelöst worden, das das Innenministerium unter Ressortchef Gerhard Karner (ÖVP) auch ausgiebig weiterbespielte. Mit dieser Entwicklung verlor die SPÖ zunehmend Boden gegenüber den Freiheitlichen, wie parteiinterne Umfragen deutlich zeigten.

Die (fehlende) Strategie

Die SPÖ versucht mit ihren Kernthemen und Schlagworten wie "soziale Gerechtigkeit" oder "leistbares Leben" zu reüssieren, was für eine sozialdemokratische Partei immer naheliegend ist. Da ist es nur folgerichtig, von der Regierung eine Gaspreisbremse oder weitere Hilfen gegen die Teuerung zu fordern. Aber viel mehr als Wünsche an Türkis-Grün bleiben in der Öffentlichkeit oft nicht hängen.

Und bei manchen der roten Initiativen stellt sich auch die Frage der Wirksamkeit bei der Wählerschaft. So sprang Rendi-Wagner etwa am Montag auf die Debatte um knapp werdende Medikamente auf und präsentierte einen Drei-Punkte-Plan mit dem Ziel einer unabhängigen Arzneimittelversorgung. Der Vorstoß mag überlegt und sachlich gerechtfertigt sein – aber die Materie ist komplex und für Laien sperrig. Selbst wenn der Plan so ähnlich kommen sollte wie gefordert – mit der SPÖ werden die meisten ihn wohl nicht mehr in Verbindung bringen.

Die Wankelmütigkeit

Konsistenz oder ein roter Faden ist in den politischen Forderungen der SPÖ nicht immer ersichtlich. Und Glaubwürdigkeit – sei es auch nur bei einzelnen Themen – ist in der Politik ein hohes, mühsam zu erarbeitendes Gut. Ob es da hilfreich ist, wenn die Parteivorsitzende nach langem Schweigen zum Thema Migration ausgerechnet in der Debatte um Österreichs Schengen-Veto zu Rumänien und Bulgarien plötzlich markige Töne anschlägt und der ÖVP recht gibt? Das lässt sich bezweifeln. Weil die "irreguläre Migration extrem gestiegen ist" und "der Außengrenzschutz nicht funktioniert", sei der Zeitpunkt "nicht der richtige", sagte Rendi-Wagner nämlich im November – und zog sich prompt öffentliche Kritik von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Ex-Kanzler Christian Kern und EU-Parlamentarier Andreas Schieder zu.

Wankelmütigkeit bei offiziellen roten Positionen hatte sich aber auch zuvor schon immer wieder gezeigt – etwa im Vorjahr bei der Verwirrung um den SPÖ-Standpunkt zu einer Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im heimischen Parlament.

Der Elefant im Raum

Asyl und Migration sind die offensichtlichsten Themen, um die man in der SPÖ – mit Ausnahme Doskozils – schon lange und bei vielen Gelegenheiten einen Bogen macht. Zu groß scheint nach wie vor die Sorge, mit dem Adressieren des großen Metathemas der FPÖ in die Hände zu spielen.

Fragen von Grenzschutz, Asylanträgen und -verfahren werden aber mit oder ohne SPÖ auch in Zukunft innenpolitische Debatten prägen. Und Wählerinnen und Wähler, die von Arbeitsplatz bis persönlicher Identität vieles von Migration bedroht sehen, erwarten sich von der Sozialdemokratie klare Konzepte und Ansagen. Solche hat die Partei für das Ende der Klausur zumindest versprochen: Migration wurde als einer der fünf "Schlüsselbereiche" definiert, für die man mittels "Aktionsplans" Lösungen vorlegen wolle.

Die Führungsfrage

"Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte" gilt auch in der Politik. In diesem Fall ist der Profiteur Kickls FPÖ. Denn bei allen inhaltlichen Problemen und Problemchen der Genossen – wohl nichts schadet ihnen so stark wie der zermürbende Konflikt um den Parteivorsitz. Wobei der recht einseitig in die Partei getragen wird: Dass Doskozil sich für den besseren SPÖ-Chef hält, ist kein Geheimnis; und dass er und sein Team nach wie vor Umsturzpläne für den Ritt an die Parteispitze hegen, legen sie recht unumwunden offen – zuletzt mit einer von der Landespartei beauftragten Umfrage, laut derer die Bundes-SPÖ mit Doskozil besser dastehen würde.

Der Burgenländer erweist sich regelmäßig als nicht zügelbares "unguided missile", das Rendi-Wagner in die Parade fährt. "Dieses ständige öffentliche Anpatzen" schade der Bewegung, kritisierte jüngst der künftige Chef der mächtigen sozialdemokratischen Gewerkschafter, Josef Muchitsch. Doskozil lassen solche Warnungen eher unbeeindruckt – obwohl die Chancen für ihn schlecht stehen dürften, im Falle einer Abstimmung gegen Rendi-Wagner bestehen zu können. (Martin Tschiderer, 4.1.2023)