In diesem Versuchsaufbau – und anderen Variationen – prüfte die Forschungsgruppe, ob Reifenabrieb in Nährlösungen für Salat auch in der Pflanze landet.
Foto: Gabriel Sigmund

Allein in Österreich dürften jährlich etwa 21.200 Tonnen an Mikroplastikpartikeln durch Reifenabrieb in die Umwelt gelangen. Das zeigte eine Studie, die vor rund einem Jahr veröffentlicht wurde. Für einen großen Teil des Abriebs sorgt der Lkw-Verkehr. Umgerechnet bedeutet die Menge für das Transitland Österreich 2,4 Kilogramm pro Jahr und Person, weltweit geschätzt beläuft sich dieser Wert auf ein Kilogramm.

Durch den Abrieb können auch Giftstoffe in Lebensmittel gelangen, wie eine aktuelle Laborstudie mit Wiener Beteiligung zeigt. Die Reifenpartikel kommen durch Wind, Klärschlamm und Abwasser auf die Felder, wo die in ihnen enthaltenen Schadstoffe in das Gemüse gelangen können. Die Forschungsgruppe um Thilo Hofmann vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien kam zum Ergebnis, dass alle fünf untersuchten Salatpflanzen teilweise hochgiftige Chemikalien aufnahmen, die in Autoreifen vorkommen. Veröffentlicht wurde die Arbeit im Fachblatt "Environmental Science & Technology".

Verbindungen in oberen Bodenschichten

Die Reifenpartikel enthalten Zusatzstoffe – sogenannte Additive –, die in Autoreifen etwa für bestimmte Fahreigenschaften oder Haltbarkeit sorgen. Wie das Team um Hofmann bereits in früheren Untersuchungen gezeigt hat, gibt das Mikroplastik darin enthaltene potenziell schädliche Chemikalien meist in oberen Bodenschichten frei.

Nicht nur der Auspuff von Fahrzeugen, sondern auch der Abrieb der Reifen verteilt Schadstoffe in der Umgebung.
Foto: APA/AFP/PATRICK T. FALLON

In der aktuellen Studie untersuchten die Erstautorinnen Stephanie Castan und Anya Sherman von der Uni Wien und ihr Team in mehreren Experimenten, ob essbare Pflanzen die Schadstoffe aufnehmen. Sie setzten dazu im Labor den Nährlösungen von Salatpflanzen fünf Chemikalien zu, die bei der Reifenherstellung verwendet werden oder beim Gebrauch der Reifen als Umwandlungsprodukt entstehen. Nicht alle dieser Chemikalien wurden bereits als schädlich eingestuft, nachweislich giftig ist das Umwandlungsprodukt 6PPD-Chinon, das etwa mit dem Massensterben von Lachsen in den USA in Verbindung gebracht wurde.

Unbekannte Toxizität

"Unsere Messungen zeigten, dass die Salatpflanzen alle von uns untersuchten Verbindungen über die Wurzeln aufnahmen, in die Salatblätter verlagerten und dort anreicherten", sagt Anya Sherman. Diese Aufnahme erfolgte auch, wenn die Salatpflanzen den Chemikalien nicht direkt, sondern indirekt über ein Reifengranulat in der Wurzelregion ausgesetzt waren.

Auf diese Weise können die Stoffe in das menschliche Nahrungsnetz gelangen, schreibt der ebenfalls beteiligte Wissenschafter Thorsten Hüffer auf Twitter. "Obwohl die Verbindungen in der Pflanze verstoffwechselt werden, werden sie durch die kontinuierliche Aufnahme von Reifenbestandteilen wieder aufgefüllt."

Welche schädlichen Chemikalien aus Reifenabrieb werden von essbaren Pflanzen aufgenommen? Nach der Laborstudie sollen Experimente in Bodensystemen folgen.
Foto: Stephanie Castan & Gabriel Sigmund

Bei der Umwandlung der Stoffe in der Pflanze entstanden mitunter bisher noch nicht beschriebene Verbindungen, deren Toxizität unbekannt sei und die daher "eine nicht abschätzbare Gesundheitsgefahr darstellen", sagt Hüffer. Die Gruppe will in einem nächsten Schritt untersuchen, wie die im Labor beobachteten Prozesse in natürlichen Böden ablaufen. Dabei soll auch die Palette an Additiven erweitert werden.

Mikroplastik aus PVC in Gewässern

Wie langfristig Mikroplastik die Umwelt mit Schadstoffe belasten kann, hat Hofmanns Forschungsgruppe kürzlich in einer weiteren, ebenfalls im Fachjournal "Environmental Science & Technology" veröffentlichten Studie gezeigt: Das Team konzentrierte sich dabei auf Zusatzstoffe, die vor allem bei der Herstellung von PVC verwendet werden – sogenannte Phthalate. Ihre Analysen haben gezeigt, dass das untersuchte PVC-Mikroplastik diese Weichmacher über mehr als 500 Jahre in aquatische Systeme wie Flüsse, Seen oder Grundwasser abgeben kann. In welchem Ausmaß dies geschieht, hänge immer von den Umweltbedingungen ab.

Das Problem lässt sich auf verschiedene Arten angehen. Einerseits ließe sich Abrieb durch robuste Reifen verhindern, denen es dann allerdings an anderen Fahreigenschaften mangeln dürfte. Neben der Entwicklung umweltfreundlicher Reifen lässt sich aber nicht vermeiden, dass weniger mit dem Auto gefahren werden müsste – was dem Trend zu mehr Individualverkehr entgegenstünde. Um Lkw-Verkehr zu vermeiden, wären Transporte per Schienennetz eine Möglichkeit. (red, APA, 4.1.2023)