Nicht selten lässt sich in Mülltonnen noch frisch verpacktes Obst oder Gemüse finden.

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Mülltauchen, Dumpstern oder Containern: Mittlerweile gibt es eine Fülle an Begriffen für die Praxis, in Abfalltonnen von Supermärkten nach genießbaren Lebensmitteln zu fischen. Dabei sind es nicht mehr nur Menschen mit sehr wenig Einkommen, die sich nach Geschäftsschluss auf die Suche nach Käse, Brot oder Joghurt machen. Für viele ist der Trend auch eine Möglichkeit, etwas gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu unternehmen – und nebenbei Geld zu sparen.

Wer genießbare Nahrungsmittel aus Abfalleimern fischt, kann sich nach aktueller Rechtslage allerdings strafbar machen. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) will deshalb eine Reform. "Wer noch verzehrfähige Lebensmittel aus Abfallbehältern retten will, sollte dafür nicht belangt werden", sagte der Özdemir der "Rheinischen Post". "Ich glaube, wir alle wünschen uns, dass sich unsere Polizei und Gerichte stattdessen um Verbrecherinnen und Verbrecher kümmern."

Ähnliche Rechtslage in Österreich

In Österreich ist die Rechtslage derzeit ähnlich wie in Deutschland: Unter bestimmten Voraussetzungen ist Müllfischen strafbar. Infrage kommt dabei vor allem das Delikt des Diebstahls und – wenn Absperrungen aufgebrochen werden – des Einbruchsdiebstahls. Denn anders als oft angenommen, ist Müll nicht "herrenlos". Das Eigentum an weggeworfenen Sachen wird laut Abfallrecht in den meisten Fällen auf die Gemeinden oder auf Entsorgungsunternehmen übertragen.

Im Detail ist aber auch unter Juristinnen und Juristen umstritten, ob Müllfischerinnen und Müllfischer tatsächlich strafrechtlich belangt werden können. Voraussetzung eines Diebstahls ist nämlich, dass die gestohlene Sache einen Wert hat, was bei weggeworfenen Lebensmitteln umstritten ist. Im Einzelfall würde es vor Gericht wohl darauf ankommen, welche Qualität die Nahrungsmittel haben und – vor allem – in welcher Menge sie aus den Mülleimern entnommen werden.

Eine Mahlzeit wohl straflos

Laut Johannes Oberlaber, Lektor für Strafrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz, kann man, wenn bloß der Bedarf einer Person für eine Mahlzeit gedeckt wird, nicht von einem "diebstahlstauglichen Wert" sprechen. "Je größer jedoch die Menge und je besser die Qualität der Lebensmittel ist, desto eher wird von einer diebstahlsfähigen Beute (...) auszugehen sein", heißt es in einem Fachaufsatz im "Journal für Strafrecht", den der Jurist gemeinsam mit der Staatsanwältin Samara Assfahani verfasst hat. Großangelegte Suchaktionen könnten also sehr wohl als Diebstahl geahndet werden.

Fraglich ist laut den Juristen allerdings, ob betroffenen Menschen überhaupt bewusst ist, dass sie eine Straftat begehen. Ist das nicht der Fall, könnte es am Vorsatz mangeln, der für eine Strafbarkeit Voraussetzung ist. "Für Laien mag es wahrscheinlich sogar geradezu abwegig erscheinen, dass die Wegnahme von Müll einen Verstoß gegen die Rechtsordnung darstellen könnte", schreiben die Strafrechtler.

Supermärkte sind kulant

Wie viele Strafverfahren oder gar Verurteilungen wegen Müllfischens es hierzulande gibt, ist nicht bekannt. Im Justizministerium gibt es dazu keine Daten, heißt es auf STANDARD-Anfrage. Die österreichischen Supermärkte dürften in der Praxis aber eher kulant sein. Spar und Hofer verweisen auf Bestrebungen, genießbare Lebensmittel weiterzugeben und den Müll zu reduzieren.

"Wir akzeptieren das Mülltauchen oder Containern dort, wo das grundsätzlich möglich ist (Müllraum frei zugänglich), und solange nichts beschädigt oder verschmutzt wird", heißt es auf Anfrage von Spar. In Wien sei es so, dass viele Geschäfte "in Gebäuden untergebracht sind, die uns nicht gehören und wo wir uns, was den Müll angeht, an die Vorgaben halten müssen. Da ist es oft so, dass die Müllräume versperrt, also nicht zugänglich sind."

Hofer sagt auf Anfrage, dass man Mülltonnen aus Sicherheitsgründen absperre. Dies deshalb, weil in die Tonnen "auch beschädigte Produkte wie beispielsweise aufgebrochene Packungen von Lebensmitteln oder Bruchware gelangen. Darunter können sich auch Glassplitter oder beschädigte Reinigungsmittel befinden, die im Falle eines Verzehrs eine Gesundheitsgefahr darstellen würden." Ähnliches gelte für abgelaufene Waren, die aus Gründen der Lebensmittelsicherheit nicht mehr in Umlauf gebracht werden dürfen.

Keine Änderung geplant

In Österreich dürfte es vorerst bei der bestehenden Rechtslage bleiben. "Die Legalisierung von Dumpstern oder Containern ist nicht Teil des Regierungsprogramms", heißt es auf STANDARD-Anfrage aus dem Klimaministerium. "Entsprechend sind dazu derzeit keine Planungen vorgesehen."

Ziel sei es, das Problem der Lebensmittelverschwendung "direkt an der Wurzel anzupacken". Im Frühjahr will das Ministerium das Aktionsprogramm "Lebensmittel sind kostbar" vorstellen, mit dem die Ursachen der Entstehung von Lebensmittelabfällen und mögliche Lösungen untersucht werden.

Schon jetzt erfolgt die Weitergabe von Lebensmitteln auf freiwilliger Basis durch den Lebensmittelhandel laut Ministerium sehr erfolgreich. Im Vergleich zu 2013 sei 2020 die Menge, die zum menschlichen Verzehr weitergegeben wurde, von 6.600 Tonnen auf rund 20.000 Tonnen gesteigert worden. Weitere 10.000 Tonnen seien als Tierfutter oder zur Futtermittelherstellung weitergegeben worden. Insgesamt habe man so 30 Prozent der ausgebuchten Lebensmittel durch Weitergabe gerettet.

Laut WWF landen in Österreich schätzungsweise eine Million Tonnen genießbare Lebensmittel im Müll. In dieser Berechnung ist allerdings die gesamte Wertschöpfungskette vom Feld bis auf den Teller abgebildet. Erfasst sind die Landwirtschaft, die Produktion, der Handel, die Gastronomie und die Endverbraucherinnen und Endverbraucher. (Jakob Pflügl, 6.1.2023)