An ihr führt kein Weg vorbei: Aretha Franklin (1942–2018) thront weiterhin als beste Sängerin über dem Rest der Popwelt.

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Die vermeintliche Ungerechtigkeit sorgte für Stürme der Entrüstung. Das US-Magazin Rolling Stone erstellte eine neue Liste der 200 besten (Pop-)Sängerinnen. Was geschah? Céline Dion war in der Aufstellung nicht enthalten.

Frage: Wer ist die beste Sängerin der Welt?

Antwort: Bereits zum zweiten Mal nach 2008 veröffentlicht das US-Branchenblatt Rolling Stone seine Liste der besten Sängerinnen und Sänger. Wie schon im ersten Durchgang trägt auch diesmal Soul-Queen Aretha Franklin den Siegeslorbeer davon. Um es mit dem Titel eines ihrer unsterblichen Songs zu sagen: Respect.

Frage: Was hat sich gegenüber 2008 geändert?

Antwort: Die Top Ten rekrutieren sich ausschließlich aus afroamerikanischen Stimmakrobatinnen. Auf dem Treppchen neben Franklin stehen Whitney Houston und Sam Cooke, auf Platz vier folgt Jazz-Vocal-Legende Billie Holiday. Erst auf Platz zwölf taucht mit John Lennon der erste Nichtamerikaner auf. Elvis Presley, den gelernten Fernfahrer aus Tupelo, hat es vom Podium (Platz drei 2008) auf den 17. Platz zurückgeschleudert. Der Hermelinmantel des Königs ist endgültig in den Staub gefallen.

Frage: Warum hat es der "klassische" Rock 'n' Roll in einem solchen Ranking so schwer?

Antwort: Der Rolling Stone hat seinen Wahlmodus auf die Bedürfnisse der Weltjugend neu ausgerichtet. Votierten anno 2008 allerlei Musikerpersönlichkeiten mit, hat man sich diesmal auf den Pool der hauseigenen Redakteurinnen und Beiträger beschränkt. Das Ergebnis fällt erwartungsgemäß gendersensibel aus. Es enthält eine implizite Kritik an überkommenen Formen der Popgeschichtsschreibung. Will heißen: Ein breitbeiniger, blonder "Sängergott" wie Robert Plant (so seine eigene Definition), Ex-Stimme von Led Zeppelin, findet sich heute gerade einmal auf Platz 63 wieder. Und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan? Hat sich diesmal auf Platz 15 geschnarrt (früher: Platz sieben).

Frage: Ist womöglich das Lied und nicht der Sänger ausschlaggebend?

Antwort: Die Rolling Stone-Redaktion gibt aus Anlass ihrer nagelneuen Abstimmung zu bedenken: Sie habe nicht "den" Rock, sondern 100 Jahre Popkultur abbilden wollen, eine letztlich global wirksame Form kultureller Verständigung. Unter ferner liefen taucht die Inderin Lata Mangeshkar auf, Salsa-Königin Celia Cruz ist strahlende 18. Die Französin Françoise Hardy hat sich mit ihren Chansons einen soliden 162. Platz ersungen. Da auch Jazzer wie Chet Baker oder Louis Armstrong die Liste zieren, darf man von einer kolossal weitreichenden Auffassung dessen ausgehen, was das geneigte Ohr unter "Popsong" versteht.

Frage: Warum fehlen Wunderstimmen wie Céline Dion?

Antwort: Der Unmut vieler entzündet sich ausgerechnet an der Nichtberücksichtigung der Kanadierin mit den sechs Grammys. Musikproduzent Jamie Lambert nannte sie mit Mut zum Superlativ auf Twitter prompt "die wohl beste Gesangstechnikerin aller Zeiten". Wie sich die Ansichten zum Stand der Gesangskünste überhaupt relativieren lassen. In der Liste fehlt US-Baritontragöde Scott Walker. Dessen tremolierendes Barmen verschob die Grenzen der Popmusik. Ungenannt blieben auch: Ian Curtis, Stimme der Postpunkband Joy Division. Sting, der Songschmied aus Newcastle. John Martyn, Roger Chapman, Frankie Miller, um nur ein paar alte weiße Männer zu nennen. Natürlich: Dionne Warwick, Polly Jean Harvey. Und, last, but not least: der walisische Elegiker John Cale.

Frage: Was erreicht guter (Pop-)Gesang?

Antwort: Aretha Franklin beschrieb ihre Mission wie folgt: "Das bin ich selbst, mit meiner ausgestreckten Hand, in der zuversichtlichen Hoffnung, dass jemand sie ergreift." (Ronald Pohl, 4.1.2023)