Daniel (Daniel de Palma), der alleinerziehende Vater, und Vera Gemma als Vera.

Foto: © Stadtkino Filmverleih

Vera und Asia: die Töchter der Italofilmgrößen Giuliano Gemma und Dario Argento.

Foto: © Stadtkino Filmverleih

Über dem Stadtkino im Wiener Künstlerhaus steht derzeit der Stern des Regie- und Fotografieduos Tizza Covi und Rainer Frimmel. Zum bundesweiten Kinostart ihres neuen, auf den Filmfestspielen von Venedig mehrfach ausgezeichneten Films Vera am Freitag gibt es dort eine kleine Retrospektive und bis 22. Jänner die Fotoausstellung Über die Ränder zu sehen: eine Auswahl an sozialrealistischen Analogfotografien aus den langen Jahren gemeinsamer Arbeit.

Vor 30 Jahren lernten sich Covi und Frimmel an der Graphischen in Wien kennen. Nach der gemeinsamen Ausbildung lebte die Südtirolerin Covi als Fotografin in Rom, bevor sie sich um 2000 in Wien niederließ, um gemeinsam mit Frimmel filmisch zu arbeiten. Wie viele heimische Filmschaffende dieser Generation interessierten sie sich für gesellschaftliche Randexistenzen. Doch ihre Dokufiktionen lassen sich kaum mit dem Vorwurf des Ausstellens oder des künstlerisch gerade so aufgehübschten Reality-TV belasten, denn zur Milieu-Faszination gesellen sich formalästhetische Gewissenhaftigkeit und der Eindruck, dass ihre Protagonisten und Protagonistinnen ihre Rollen aktiv mitgestalten.

Hommage an Rainer Frimmel und Tizza Covi, beide Jahrgang 1971.
Foto: Vento Film

Vom Zirkusvolk und Strizzis

Der internationale Durchbruch kam 2009 mit La Pivellina, der zahlreiche Festivalpreise und eine Nominierung für den österreichischen Auslandsoscar erhielt. Es folgten 2012 Der Glanz des Tages, worin der ehemalige Burgschauspieler Phillipp Hochmair auf Zirkusartist Walter Saabel trifft; 2016 dann Mister Universo über einen Löwenbändiger. Mit der Dokumentation Aufzeichnungen aus der Unterwelt verließen Covi und Frimmel 2020 erstmals den Zirkus, um in die Wiener Strizzi-Welt der 1960er-Jahre einzutauchen, die jedoch ähnlich performativ und trickreich unterwegs ist.

Vor den Tricksern muss sich auch Vera im gleichnamigen neuen Film des Duos in Acht nehmen. Die Tochter des Italo-Western-Beaus Giuliano Gemma, die sich in der Dokufiktion selbst spielt, besitzt den abgenutzten Glamour eines B-Stars: Sie lässt sich für Premieren fotografieren und besucht Castings, wo sie wegen ihres operierten Gesichts kaum Chancen hat. Der Status des "Nepo-Babys" – der Tochter eines Filmstars – wiegt schwerer auf ihr als auf ihrer Freundin Asia Argento, mit der sie gemeinsam das Grab von Goethes Sohn besucht. Was wird einmal auf unseren Grabsteinen stehen, fragen sie sich. "Die Tochter von ...?"

Der schöne Vater

Veras Schwester ist davon weniger betroffen. Sie hat sich abseits des Showbiz ein einfaches Leben eingerichtet, doch auch sie schnappt beim Sichten alter Super-8-Aufnahmen, worin die beiden Schwestern als Kleinkinder zu sehen sind und der Vater in Badehose am Strand posiert, nach Luft: "Mamma Mia, wie schön doch unser Vater war! Und wie sehr er unsere Beziehung zu Männern verdorben hat, denn wo finden wir nur so einen Mann?"

Auch Vera Gemmas Beziehung zu sich selbst wurde durch die Schönheit des Vaters verdorben. Ihr Aussehen wurde immer zu ihrem Nachteil am Vater gemessen. Vielleicht ist ihr Schönheitsideal auch deshalb von Transfrauen inspiriert. Nun hat sie sich arrangiert mit ihrem künstlichen Gesicht und bewegt sich in hohen Schuhen und mit Cowboyhut wie in einer Uniform durch den Alltag. Und doch ist da immer der Wunsch zu gefallen. Es handelt sich um ihre größte Schwäche und zieht Nutznießer förmlich an.

Stadtkino Filmverleih

Eines Tages hat Vera mit ihrem Fahrer Walter (wieder Walter Saabel) einen Unfall. Walter kommt das nicht geheuer vor, Vera aber kümmert sich sofort um den Buben, der sich den Arm gebrochen hat. Sie schließt Freundschaft mit dem Kind, seinem schwertätowierten Vater und der winzigen Nonna. Die Familie hat Geldsorgen, lebt in einer kleinen Wohnung ohne fließend Wasser. Vera hilft, trotz der Warnrufe Walters und ihrer Schwester, wo sie kann. Denn das ist es, was sie gerne tut.

Mit einer 16mm-Analogfilmkamera begleiten Covi und Frimmel Vera auf dieser "voyage intime" in eine ihr bislang unbekannte, aber ganz auf sie zugeschnittene Rolle: die der Ersatzmutter. Dabei vergisst Vera ihre Obsessionen ein Stück weit, kommt sich selbst und dem einfachen Leben – sprichwörtlich – ein gutes Stück näher. Nach Wien kommt die echte Vera Gemma auch, zu einer Galavorstellung am 12. Jänner ins Stadtkino. (Valerie Dirk, 6.1.2022)