Arno Geiger sitzt schon da. Kurz vor Weihnachten, am kürzesten Tag des vergangenen Jahres und noch als einziger Gast des Café Rüdigerhof am Wiener Naschmarkt, in dessen Nähe der aus Vorarlberg stammende Schriftsteller lange gelebt hat. Fünf Jahre sind vergangen, seit sein letzter Roman erschienen ist. "Das ist wie mit dem Radfahren", antwortet Arno Geiger auf die Frage, ob er aus der Übung sei, Interviews zu geben. Apropos Radfahren. Mit dem Fahrrad war Arno Geiger über 25 Jahre unterwegs, um sich auf seinen "Touren" kopfüber durch die Altpapiercontainer der Stadt zu wühlen. Jetzt hat er darüber ein Buch geschrieben. Das glückliche Geheimnis ist ein autobiografisches Werk, warum alles so kam, wie es kam.

Arno Geiger wühlte sich jahrelang durch die Altpapiercontainer der Stadt – und fand dort Perlen.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Herr Geiger, Ihr neues Buch liest sich wie ein Märchen, in dem aus Müll Geschichtenstoff und -gold gesponnen werden. Können Sie mit dieser Zuschreibung etwas anfangen?

Geiger: Das gefällt mir in vielerlei Hinsicht. Die Jahre nach dem Studium empfand ich als sehr hart. Ich wollte Schriftsteller werden, die Zukunftsperspektiven äußerst ungewiss – und da bin ich in etwas hineingestolpert, auch weil ich noch nicht wusste, wo mein Platz ist in der Welt. Ich wusste lediglich, echtes Scheitern ist etwas, das viele Künstlerinnen und Künstler am eigenen Leib erfahren müssen. Also dass ich in dieser Abfallgeschichte gelandet bin, hat meine Stimmung nicht gehoben. So eine harte Zeit hinterlässt Spuren, und ich bin heute noch fassungslos, wie alles gekommen ist. Ja, das ist wie ein Märchen.

STANDARD: Dieses Märchen heißt jetzt "Das glückliche Geheimnis". Könnte es auch "Der tapfere Arno" heißen, weil Ihre autobiografische Geschichte so viel mit Durchhaltevermögen zu tun hat?

Geiger: Meine Frau sagt: Arno, du hast so viel Mut gehabt. Vor der Frage, die wir uns alle im Leben stellen müssen, "Wie viel bin ich bereit zu geben, um meinen eigenen Weg zu gehen?", bin ich nicht zurückgeschreckt. Das Durchhalten hat auch mit der Größe des Traums zu tun, wäre er nicht so groß gewesen, hätte ich vielleicht gesagt, so wichtig ist mir das auch nicht, dass ich da auf 30 Quadratmetern lebe, mit Klo am Gang bis Mitte dreißig. Das verliert mit der Zeit seinen Charme.

STANDARD: Können Sie sagen, ab wann sich Ihr "schmutziges Montagsgewerbe", wie Sie es nennen, in eine Ressource verwandelt hat, für Sie als Schreibenden?

Geiger: Die ersten Jahre empfand ich es als Holzweg, als Sackgasse. Ich bin ja zwischendurch aus Wien weg für fünf Jahre, Berlin und zurück nach Vorarlberg, wo ich meine Frau kennengelernt habe. Mit Anfang 30 bin ich zurück nach Wien. Ich hatte mich als Mensch weiterentwickelt, auch als Künstler. Als ich dann auch zu meinen Streifzügen zurückgekehrt bin, zeigte sich alles von einer anderen Seite. Ich war plötzlich empfänglich für die alltäglichen Nachrichten, die ich von der Rückseite der Gesellschaft aus dem Müll erhielt. Zunächst waren die Touren eine Verlegenheitsbeschäftigung gewesen, weil ich Schriftsteller werden, aber nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen wollte. Später hat sich der Fokus verlagert. Ich wollte wissen, in welchem gesellschaftlichen Kontext ich mich bewege. Was verstehen die Leute unter Leben? Im Müll findet sich das in Ungnade Gefallene, Alltagsdinge, keine Artefakte. Das alles erzählt eine andere Geschichte als das Geschliffene. Ich würde sagen, man sollte mehr Zweitrangiges lesen, weil es zeigt, wie wir sind, und nicht, wie wir gerne wären. Ich möchte hier nicht Weltliteratur und Alltagsschreiben gegeneinander ausspielen, aber für mich war diese Wechselbeziehung zwischen dem einen und dem anderen unglaublich fruchtbar. In dem Moment, in dem ich das gemerkt habe, wie viel mir der Abfall zu geben hat und wie viel ich als Person davon profitiere, wurde es zu einer Liebesbeziehung. Meine Altpapiercontainer-Touren waren zuerst eine Schule des Lebens und dann eine Schule des Schreibens. Durch den Blick hinter die Kulissen wurde mir mein eigenes Leben weniger fremd. Ich fand mich selbst weniger komisch, die anderen waren es ja auch. Und ich habe gemerkt, dass der Alltag, in dem wir leben, Wert und Bedeutung hat.

STANDARD: Sie schreiben an einer Stelle: "Ich wollte ein Künstler des Ungekünstelten werden."

Geiger: Ich bin in der österreichischen Literatur sozialisiert. Man merkt das meinen ersten Büchern, die sehr artifiziell sind, an. Auch durch meine Beschäftigung mit dem Abfall habe ich festgestellt, eine wie große Herausforderung es ist, unverkrampft und beiläufig Dinge auf den Punkt zu bringen. So habe ich beschlossen, ein Künstler des Ungekünstelten zu werden. Ich wollte, dass das Natürliche und das Kunstwerk eine Einheit werden. Wie Dürer sagt: "Die Kunst ist in der Natur enthalten, wer sie herausholt, hat sie." Schön wär’s, wenn das gelänge.

STANDARD: Sie schreiben: "Mir ist klar, ein Buch über mich selbst zu schreiben, das ist eine schwierige Sache." Wann gab es diese innere Entscheidung, Ihr Geheimnis zu lüften und aus diesem Stoff ein Buch über Ihr Schriftstellerleben zu machen?

Geiger: Ich wusste immer, dass ich eines Tages aufhören werde und dass ich dann davon erzähle. Ein Geheimnis hat es an sich, dass man es zunächst beschützt. Mir war aber seit vielen Jahren bewusst, wie prägend und wichtig diese Dinge für mich sind. Letztlich war das Schreiben dieses Buches alternativlos, auch vor dem Hintergrund der Frage: Was soll Literatur? Was erwarte ich von Literatur? Ich sehe es als meine Pflicht an, die Erfahrungsräume, die ich mir eröffnet habe, zurückzugeben, diesmal auf eine autobiografische Art. Ich habe es auch mit den Romanen so gemacht. Je mehr ich über das Leben der Menschen weiß, desto mehr habe ich zu sagen. Ich habe mich immer so beschenkt gefühlt, wenn ich Briefe gefunden habe, in denen jemand auf ganz entspannte Art offen berichtet. Das war mir immer sympathisch. Ich fand es nie peinlich, sondern immer ein Zeichen von Stärke, wenn jemand schreibt, das ist schiefgegangen oder das hatte ich mir anders vorgestellt. Und daraus habe ich meine Schlüsse gezogen. Die Offenheit in diesem Buch, die passiert mir nicht einfach. Ich glaube, dass Offenheit einen hohen moralischen Wert besitzt, weil wir uns austauschen müssen, um uns selbst besser zu verstehen. Wie gehen andere mit Beziehungskrisen um? Warum sind die einen glücklich, die anderen nicht? Was hält Beziehungen zusammen? Je mehr wir darüber reden, desto mehr wissen wir darüber.

STANDARD: "Darf er das überhaupt?", diese Frage in der dritten Person stellen Sie gegen Ende des Buchs. In Ihrem Buch wird viel Privates verhandelt, und es kommen Menschen, die Ihnen nahestehen, vor. Bedurfte es da einer Art von Erlaubnis?

Geiger: Dass meine Frau mir dieses Buch ermöglicht, ist weit entfernt von selbstverständlich. Ich bin ein Glückskind. Sie sagt, diese Offenheit ist richtig, denken wir nur an soziale Medien, an diese Aneinanderreihung von Höhepunkten und daran, wie sich die Leute von ihrer Schokoladenseite zeigen und es als Normalität ausgeben. Das setzt alle unter Druck. Es braucht Menschen, die auf eine dem Leben zugewandte Art daran erinnern, dass es Härten und komplexe Dinge im Leben gibt. Um Erlaubnis gefragt habe ich nicht, aber es allen, die relevant vorkommen, vorab zu lesen gegeben. Ich bin vielen Leuten zu Dank verpflichtet, dass Sie das Vertrauen in mich haben und sagen, es wird schon recht sein.

Gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich auch im Abfall der Menschen wider, beobachtet Arno Geiger.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: "Das glückliche Geheimnis" ist vieles, es ist auch eine Liebeserklärung an die Liebesbeziehung zu Ihrer Frau. Es ist ein Plädoyer für das Konzept der Paarbeziehung in Zeiten, in denen viele sich fürs Alleinsein entscheiden ...

Geiger: ... ja, oder für die Austauschbarkeit von Beziehungen. Hier werden die Regeln der Konsumwirtschaft auf soziale Beziehungen übertragen: gefällt mir, gefällt mir nicht mehr, ist aus der Mode gekommen. Dann tausche ich es aus. Dass aber Dauer einen ungeheuren Wert in sozialen Beziehungen hat, dass man eine gemeinsame biografische Tiefe bekommt, das wissen viele zu wenig und werden es vielleicht auch nie erfahren. Im Abfall findet sich auch das Beschädigte, das Erledigte. Ich empfinde eine große Zärtlichkeit für Dinge, die schon mit Leben erfüllt waren. Man kann dieses Leben wieder reaktivieren. Ich bin auch in sozialen Beziehungen so. Ich habe gelernt, dass wir Schwächen haben, als Mensch aber etwas Ganzes sind. Das will gelernt sein. Früher war ich viel ungeduldiger mit anderen als heute.

STANDARD: Apropos Ungeduld. Wer "Das glückliche Geheimnis" liest, erfährt auch, dass Sie Ihr Verlag, in der Zeit vor dem großen Erfolg von "Es geht uns gut" 2005, loswerden wollte.

Geiger: Ja, loswerden, das ist genau das richtige Wort. (lacht)

STANDARD: Ist das eine kleine Abrechnung, oder wollen Sie jungen Kolleginnen und Kollegen Mut machen, Durststrecken durchzuhalten?

Geiger: Es ist eben keine Heldengeschichte. Für mich war es von existenzieller Bedeutung, dass ich mit dem Rücken zur Wand stand, deshalb erzähle ich davon. Ich war Anfang dreißig, und ich wusste, wenn ich mir noch einen Fehler erlaube, dann könnte ich Schiffbruch erleiden mit dem, was mir als jungem Menschen so großartig vorgeschwebt war. Es brauchte einen Befreiungsschlag, und so habe ich Es geht uns gut geschrieben, 16 Stunden am Tag, was mir eine veritable Beziehungskrise eingetragen hat. Plötzlich stand alles auf dem Prüfstand: Wie wollen wir leben? Wie soll es mit uns weitergehen? Meine Frau hat damals zu mir gesagt: Du hörst dich an wie Robert Scott in seinem letzten Biwak. Und ich sagte zu ihr: Das trifft es gut. Ich bin Robert Scott in seinem letzten Biwak.

STANDARD: Sie schreiben über den Erfolg, der dann folgte, wie über den Weihnachtsmann. Er kam durch den Kamin, mit Poltern und Getöse: "Er stellte sich hin und war mein neuer Herr." Konnten Sie diese neuen Machtverhältnisse wieder zurechtrücken?

Geiger: Ich habe 2005 den ersten Deutschen Buchpreis gewonnen, und niemand wusste, was das bedeutet, ich am allerwenigsten. Im Schweinsgalopp den Umgang mit diesem so plötzlich über mich hereinbrechenden Erfolg zu lernen, das hat mich an meine Grenzen geführt. Bei Der alte König in seinem Exil habe ich alles schon besser gemacht, mich mehr abgegrenzt. Ich bin ein lernfähiger Mensch. Das merkt man hoffentlich auch meinen Büchern an.

STANDARD: Diese geheime Tätigkeit, in die Altpapiertonnen einzutauchen, haben Sie das immer nur in Wien gemacht? Waren Sie nicht nur ein Stadtstreicher, sondern auch Landstreicher in Vorarlberg?

Geiger: In Vorarlberg habe ich die Altpapiertonnen immer ignoriert. Ein Doppelleben ist wie eine Decke, die man sich über den Kopf zieht. Das war für mich auch ein Rückzugsraum. Ich habe mich nie getarnt, niemand hat mich je angesprochen. Die anderen denken sich nicht, was hat dieser Mensch für eine Freiheit. Die denken, was ist das für ein armer Teufel. Irgendwann machte es klick, und es war schön, kein Ansehen zu haben, ein Niemand zu sein, keine Rolle spielen zu müssen. Den Mut zu haben, unsichtbar zu sein. Es war ein Gegenprogramm zum Literaturbetrieb, etwas, das mir geholfen hat, überspitzt gesagt, den Literaturbetrieb auszuhalten.

"Ein Doppelleben ist wie eine Decke, die man sich über den Kopf zieht. Das war für mich ein Rückzugsraum."

STANDARD: Im Laufe Ihrer Geschichte erzählen Sie nicht nur über das Sammeln alter Dinge, sondern auch über das Aufräumen im eigenen Leben. Was machen Sie mit alten Büchern, die Sie nicht mehr brauchen?

Geiger: Ich stelle sie in öffentliche Bücherschränke, aber werfe sie teilweise auch weg. Wer versucht, alles zu behalten, verliert die Fähigkeit zu ja und nein. Etwas wegzugeben schärft auch die Fähigkeit, dass ich mir selbst vertraue, dass ich entscheiden kann. Auch setzt man sich selbst in Beziehung: Wie wird es bei mir sein, wenn ich tot bin? Ist das dann auch alles Plunder? Ich neige dazu, mir die Antwort zu geben: Ja. Weil ich das weiß, kann ich besser loslassen. Ich möchte nicht, dass meine Wohnung nach innen zuwächst wie eine Auster. Das Weggeworfene hat mich das Wegwerfen gelehrt.

STANDARD: Können Sie uns erzählen, was Sie in 25 Jahren noch aus dem Müll rausgelesen haben?

Geiger: Müll ist ein Maßstab jeder Kultur. Im Abfall schlägt sich nieder, wie die Menschen leben, was ihnen wichtig ist und was nicht. Der Bastelabfall von Kindern ist eklatant weniger geworden. Liebesromane wurden von Kriminalromanen abgelöst. Für mich bezeugt das, dass der gesellschaftliche Wind rauer geworden ist. Bei Krimis geht es um Dinge, vor denen wir Angst haben. Und bei der Liebe geht es um etwas, wonach wir uns sehnen.

STANDARD: In Ihrem Buch steht die unglaubliche Zahl von 20.000 Briefen, die Sie aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen haben. Das beleuchtet Ihren Roman "Unter der Drachenwand" noch einmal ganz besonders.

Geiger: Ich wollte diesen Roman aus dem Moment heraus erzählen, und nicht retrospektiv. Wie fühlt es sich an, im fünften, sechsten Kriegsjahr zu leben? Ein Drittel dieser Briefe hatte ich aus dem Internet. Leute sterben und ganze Briefkonvolute wechseln für ein paar Euro den Besitzer. Ein Drittel war vom Flohmarkt am Wiener Naschmarkt, das restliche Drittel habe ich aus dem Altpapier gefischt. Über diese vielen, vielen Briefe habe ich ein Gespür für atmosphärische Stimmungslagen bekommen. Was ist Menschen in welchen Momenten wichtig? Das hat eine eigene Qualität, das hat das Fundament gelegt. In Interviews damals habe ich den Roman ein "erfundenes Haus mit echten Türen und Fenstern" genannt. Gewisse Details habe ich weder erfunden, noch könnte ich sie erfinden. Das ist auch das Großartige an diesem Alltagsmaterial: Manche Dinge kann man nicht erfinden.

STANDARD: Sie schreiben, dass Sie den Containern und Tonnen jetzt abgeschworen haben. Was ist geblieben?

Geiger: Es ist mir wichtig, zu sagen, dass ich dem Abfall unglaublich viel verdanke. Ich bin mir sicher, davon werde ich mein Leben lang zehren. Und gleichzeitig sind durch das Aufhören enorme Freiräume entstanden, das alles hatte ja unglaublich viel Zeit und Energie gefordert. Ich warte jetzt ab, was das Leben mir anbietet oder was es mir aufzwingt – was mich nicht überraschen würde, wenn es so wäre, ich meine das mit dem Aufzwingen.

STANDARD: Nächste Generationen werden keine Briefkonvolute mehr im Altpapiercontainer finden.

Geiger: Ich habe einer untergehenden Kultur beigewohnt. Die erste Zäsur bildet das Telefon, die war bereits einschneidend. Die zweite Zäsur besteht in der Digitalisierung. Aus und vorbei. Ich habe mich der Kultur des alltäglichen Schreibens mit der Hand sehr gründlich gewidmet. Es ist etwas anderes, als zu telefonieren. Manche Dinge kann man am besten schreibend zum Ausdruck bringen. Briefe zu schreiben wirft einen auf sich selbst zurück. Was beim Telefonieren nicht der Fall ist, und auch nicht in den sozialen Medien. Ich hatte, beiläufig gesagt, auch den Eindruck, je weitere Wege Briefe zurücklegen werden, desto offener sind sie. Und die Leute sind viel klüger, als ich zunächst gedacht hatte. Menschen sind unglaublich klug, nur leider auch unglaublich inkonsequent.

STANDARD: "Now you are finally a man", das hat eine Ex-Geliebte zu Ihnen gesagt, als Sie im Anzug, den Siesich ausgeborgt hatten, den Deutschen Buchpreis entgegennahmen. Wie viele Anzüge besitzen Sie heute?

Arno Geiger,
"Das glückliche Geheimnis"
€ 25,70 / 240 Seiten
Hanser, München 2022
Buchpräsentation: 17. Jänner, 20 Uhr, Akademietheater Wien
Moderation: Kristina Pfoser

Geiger: Ich habe das Problem, dass ich oben breit und unten schmal bin. Es hat nie etwas gepasst. Nach dem Buchpreis habe ich mir tatsächlich in Wien bei Knize einen Maßanzug gekauft. Der passt mir immer noch, er ist aber sehr dunkel. Mittlerweile ist ein zweiter, bisschen hellerer hinzugekommen.

STANDARD: Es ist unbestritten, dass Sie als Schriftsteller sehr erfolgreich sind, dennoch schreiben Sie, dass das Werk für Sie nicht das Wesentliche ist, dass es Wichtigeres gibt.

Geiger: Ja, ich lebe, um zu leben, heißt es in dem Zusammenhang. Die Bücher, die beiläufigerweise entstehen und diesem Leben Ausdruck geben, sind so gesehen etwas Sekundäres. Ein Mensch mit nur einer Seite ist ein Monster. Ich versuche, mich auch deshalb nicht okkupieren zu lassen von der Idee, dass ich Schriftsteller bin, weil ich denke, dass es meinen Blick auf die Welt enger macht.

STANDARD: Das Glück, schreiben Sie in "Das glückliche Geheimnis", ist die Fähigkeit zu wünschen. Was wünschen Sie sich?

Geiger: Dass meine Frau und ich gesund bleiben, dass wir gemeinsam alt werden können. An einer Stelle im Buch schreibe ich, dass es für einen Schriftsteller fast unzulässig ist, das auf eine so banale Art auszusprechen. Aber es ist genau das, was ich meine. Die Beziehung zu meiner Frau ist das Beste, was mir passiert ist. Ich bin ein Mensch, der sich immer vergegenwärtigt, dass das alles nur für den Moment ist. Im nächsten Moment kann dir alles genommen werden. Was mir wichtig ist: Dieses Buch ist nicht autofiktional, es ist autobiografisch. Es ist im klassischen Sinn Geschichtsschreibung in ihrer subjektivsten Form. Das ist es, was wir, glaube ich, von Künstlerinnen und Künstlern erwarten, dass sie sich subjektiv Ausdruck geben. Ich bemühe mich sehr um Aufrichtigkeit, aber das ist alles subjektiv. Es gibt keine autobiografische Wahrheit. (Mia Eidlhuber, 6.1.2023)