Er ist wieder da. Fünf Jahre nach seiner strahlend gefeierten Hochzeit mit der US-Schauspielerin Meghan Markle, drei Jahre nach der "Megxit"-Flucht des Paares nach Kalifornien, vier Monate vor der Krönung seines Vaters Charles sorgt Prinz Harry erneut für globale Schlagzeilen. Längst vor dem Veröffentlichungstermin am kommenden Dienstag machen Auszüge aus der lächerlich geheimnisumwitterten Autobiographie "Reserve" des 38-Jährigen die Runde – angereichert durch Clips aus zwei TV-Interviews, die am Sonntag ausgestrahlt werden.

Ja, in Prinz Harrys Buch wird Schmutzwäsche gewaschen – viel Schmutzwäsche.
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Angeblich 40 Millionen Pfund – für insgesamt drei Bücher – beträgt das Honorar vom Verlagsgiganten Penguin Random House. Im Gegenzug werde der Therapie-gestählte Prinz "Einblicke, Eingeständnisse, Selbstreflektion" von "unverstellter, unerschrockener Offenheit" liefern.

Verbrannte Erde für ein Millionenhonorar

Und tatsächlich ist Harry nichts schuldig geblieben für sein Millionenhonorar. Er betreibt eine Politik der verbrannten Erde gegenüber dem britischen Königshaus, seinem Vater und seinem Bruder William, die er angeblich "zurückhaben" will. Zum Vorschein kommt ein tief verstörter, sich selbst gefährdender Narziss mit vielen faszinierenden, auch unappetitlichen Details aus seinem Privatleben – jenem Privatleben, das doch er und seine Frau Meghan stets eifersüchtig verteidigen.

Gibt es – außer dem nötigen Gelderwerb – eine Strategie? Thronfolger William habe ihn zu Boden gestoßen, König Charles Scherze über seine Vaterschaft gemacht, Stiefmutter Camilla die Presse auf ihn gehetzt: Solche Vorwürfe stoßen auf Seiten des Königshauses bisher auf ähnlich eisiges Schweigen wie die früheren vagen Anschuldigungen.

Erinnerungen könnten sich "manchmal unterscheiden", ließ die Queen im März 2021 mitteilen, nachdem sich das Prinzenpaar bei TV-Talkkönigin Oprah Winfrey offenbart hatte. Viel mehr an Stellungnahmen dürfte es aus dem Buckingham-Palast auch diesmal nicht geben.

Fehlende menschliche Nähe?

Es gibt in dem viele Hundert Seiten starken Buch gewiss Passagen, in dem man diesen offenkundig stark verstörten Mann noch nachträglich in den Arm nehmen möchte – tatsächlich klagt der Prinz an einer Stelle über fehlende Umarmungen in seiner bekanntlich nicht sonderlich taktilen Familie. Wie schlimm muss es um die Psyche eines jungen Mannes stehen, damit er sich um Kontakt zu seiner toten Mutter mittels eines Mediums bemüht?

Andererseits leidet das Werk am Mangel vieler Politiker-Autobiographien: Wo die Autoren Detailfreude für zwingend nötig erachten, reagieren die Leser eher mit Dauergähnen oder sogar dem Gefühl milden Fremdschämens. Eher nicht zwingend erforderlich für die Summe menschlicher Erkenntnis scheint beispielsweise die Klärung der Frage, ob der Prinz noch über eine Vorhaut verfügt.

Nach der Netflix-Serie "Harry & Meghan" sorgt der britische Problem-Prinz mit seiner Autobiografie wieder für Schlagzeilen – und verdient Millionen damit.
Foto: Netflix

Sex und Krieg

Auch um die Vorkommnisse rund um das erste Sex-Erlebnis des 17-Jährigen hätte Harry vielleicht besser den Mantel des Schweigens gehüllt. Dass einst ein Privatsekretär der Queen vor seinem Schlafzimmer parkte und ihm damit Licht wegnahm, dass Stiefmutter Camilla sein längst verlassenes Kinderzimmer zum Ankleideraum umwandelte – who cares, wen kümmert‘s?

Gefährlich wird die verbale Diarrhö dort, wo der einstige Infanterie-Offizier und spätere Hubschrauberpilot über seine Kriegserlebnisse in Afghanistan schreibt. Er sei für den Tod von 25 Taliban-Kämpfern verantwortlich, teilt Harry mit; empfunden habe er sie nicht als Menschen, sondern als "Schachfiguren, die vom Feld genommen wurden".

Die kühle Sprache mag dem Selbstschutz von Soldaten dienen, deren Handwerk das Töten einschließt. Ob Veteranen aber die Zivilgesellschaft mit ihrem Jargon konfrontieren sollten? Da sind viele Weggefährten und Experten anderer Meinung. "Ich hätte ihm abgeraten", sagt Ex-Sicherheitsberater Kim Darroch.

In jedem Fall hat Harry mit der Erinnerung an seinen Kriegsdienst schlagartig die Gefährdung für sich selbst und seine Familie erhöht, worauf Journalistenveteran Andrew Neil hinweist: "Das ist ein absoluter Alptraum für seine Sicherheitsleute." Über die Finanzierung seiner Bodyguards liegt der Prinz seit längerem mit Scotland Yard im Clinch.

Was bezweckt das Paar?

Bleibt die Frage nach der Strategie. Womöglich hat die in New York lebende Tina Brown, hervorragend vernetzte Autorin der "Palace Papers", Recht mit der Annahme, Harry und Meghan hätten mit der sechsteiligen Netflix-Serie ihre Perspektive als Daueropfer der Monarchie im globalen, na sagen wir: amerikanischen, Bewusstsein verankert. Das mag für die Finanzierung ihres kalifornischen Lebensstils wichtig sein – hilft es aber auch bei der Suche nach einer Versöhnung mit Vater und Bruder, die der Problem-Prinz doch angeblich immer noch anstrebt? Erwartet der Mann tatsächlich, dass sich die Windsors öffentlich Asche auf ihre Häupter streuen und ihre – zweifellos begangenen – Sünden gegenüber der verfolgten Unschuld von Montecito bekennen?

"Kein Kommentar", lautet seit Wochen die offizielle Antwort von Palastsprechern auf Presseanfragen. Hinter vorgehaltener Hand hat die "Times" von einem Insider erfahren, das derzeitige PR-Feuer werde schon "von selbst wieder ausgehen". Das soll wohl nach Nonchalance klingen; immerhin hat die Institution in den vergangenen zweihundert Jahren unpopuläre Monarchen, eine Abdankung und den Rosenkrieg des jetzigen Königs mit seiner Frau Diana überlebt. Dazu gehörte stets auch eine eiserne, beinahe stalinistische Abgrenzung gegen Abweichler.

Insofern dürfte die Schlagzeile des Boulevardblatts "Mirror" den Sachstand zu Beginn des neuen Jahres korrekter beschreiben als der vermeintlich gelassene "Times"-Insider. "It’s all over now", titelt das Blatt in Anlehnung an Bob Dylans berühmtes Lied, "jetzt ist alles vorbei". (Sebastian Borger, 6.1.2023)