Die Letzte Generation wehrt sich mit dem Superkleber. Ist das das richtige Mittel zum Zweck?
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Das Neujahrskonzert wurde gerade noch einmal vor der Barbarei gerettet. Junge Menschen mit Transparenten und Superkleber wurden von wachsamen Amtsorganen am Eindringen in den Musikverein gehindert. So konnte die ebenso lukrative wie nostalgische Walzerseligkeit ungestört über die Bühne gehen, die Philharmoniker schwelgten, die Wiener Sängerknaben und neuerdings auch Chormädchen zwitscherten, und das Staatsopernballett tanzte sich durchs sonnige Schloss Laxenburg. Dabei wäre es nicht einmal nötig gewesen, die Nummer von der Konserve einzuspielen, denn der 1. Jänner war ja frühlingshaft warm genug, um es leicht bekleideten jungen Menschen zu erlauben, im Schlosspark ihre Pirouetten zu drehen.

Es hat eine gewisse poetische Gerechtigkeit, dass die Letzte Generation sich im Musikverein anpicken will, denn hier prallen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite junge Aktivistinnen und Aktivisten, die mit apokalyptischer Rhetorik das Ende der Welt beschwören und Kulturtempel als Orte politischer Disruption missbrauchen. Auf der anderen das makellos ausgeleuchtete Bild einer vergoldeten, heilen Welt im Dreivierteltakt, das besonders vom buchstäblich durch-choreografierten Neujahrskonzert in alle Kontinente projiziert wird.

Die Klimaproteste einer selbsternannten letzten Generation und die Projektion einer heilen Welt, in der es keine bösen Dinge gibt — das sind die Pole, zwischen denen sich die Debatte um die Erderhitzung abspielt. Den Protestierenden wird vorgeworfen, dass sie Vandalen sind, dass sie Schaden anrichten und so ihrer Sache schaden, dass ihre Aktionen im Interesse einer kleinen Minderheit die ganze Gesellschaft in Geiselhaft nehmen. Es ist einfach übertrieben, wie sie handeln, hysterisch, unangemessen.

Fossiler Überwachungskapitalismus

Aber wie handelt man angemessen in einer wahnsinnigen Welt, in einer verzweifelten Situation? Wissenschaft lässt nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich die Menschheit in eine Serie von Katastrophen hineinkonsumiert, dass endloses Wachstum in einem endlichen System nicht möglich ist, dass das, was Aktivistinnen und Aktivisten den "fossilen Überwachungskapitalismus" nennen, seinem verdienten Untergang entgegentaumelt und dabei katastrophale Zerstörung hinterlässt, dass die Entscheidungen der Gegenwart die Zukunft auf Jahrhunderte hinaus bestimmen werden.

Was also ist angemessenes Handeln in einer Situation wie dieser? Und wie geht es weiter für die Bewegung? Tatsächlich tut sich viel in den Kreisen der Klimaprotestierenden. Extinction Rebellion in Großbritannien, die als Erste mit spektakulären Klebeaktionen Aufmerksamkeit erregte, hat gerade bekanntgegeben, dass sie ihre Taktik ändern will und stattdessen an Gemeinschaftsbildung arbeitet, andere aber sind eher dabei, sich weiter zu radikalisieren, und diskutieren andere, extremere und riskantere Kampagnen.

Die Situation der Klimaproteste erinnert an eine andere Protestbewegung, die sich ähnlich verzweifelt und mit sehr ähnlichen Mitteln gegen die öffentliche Meinung stemmte: die Suffragetten um 1900. Pionierinnen und sogar einige Pioniere forderten das Frauenwahlrecht schon vor 1900, aber nur Immigranten-Gesellschaften in der Neuen Welt führten es schon vor der Jahrhundertwende ein. Die Frustration der Aktivistinnen, der sogenannten Suffragetten, war immens, und so begannen in vielen Ländern koordinierte Kampagnen, um die Öffentlichkeit von ihrem Anliegen zu überzeugen. Die Gesellschaften aber zeigten sich unbeweglich, Kirchen und Parlamente ignorierten sie, und viele Frauen argumentierten ebenfalls für die gottgewollte, patriarchale Ordnung.

Besonders in Großbritannien radikalisierte sich die Frauenrechtsbewegung nach 1900 zusehends. Aus Demonstrationen wurden Störaktionen bei öffentlichen Veranstaltungen, Angriffe auf Kunstwerke (allerdings nicht nur die hinter Glas und damals mit Äxten), explodierende Briefkästen, eingeworfene Fensterscheiben und sogar Brandstiftung, bis sich eine der Aktivistinnen bei einem Pferderennen vor das Pferd des Königs warf und dabei zu Tode kam.

Eine Welle von Festnahmen folgte, Hungerstreiks im Gefängnis, Zwangsernährung, Pressekampagnen, weitere Bombenattentate. Nichts. Das Establishment blieb standhaft, die Gesellschaft schwang nicht um, mehr als die Hälfte der Bevölkerung blieb ohne Wahlrecht. Hatten die Suffragetten unrecht, ihre Gesellschaften zu stören und Menschen zu gefährden? Oder hatten sie schon recht, aber sie hätten nicht zu solchen Mitteln greifen dürfen? Auch wenn ein immer größerer Teil der progressiven Mittelklasse der Idee zuneigte, dass Frauen schon gleich waren, irgendwie, eigentlich, im Prinzip, so gab es doch keine Veränderung. Es war halt so, Teil der Gesellschaft, der sozialen Ordnung. So was kann man nicht so einfach wegwischen, argumentierte man damals.

Soziale Transformation

Und dann gab es natürlich noch die erklärten Frauenfeinde, die schrieben, dass Frauen einfach die kleineren Hirne haben und dass ihre Hirnchen noch zusätzlich dauernd von Hormonen überschwemmt werden, dass sie deshalb (wie auch Kinder und Menschen dunklerer Hautfarben) unfähig sind, wirklich rational zu denken und zu handeln, und der Führung durch Männer bedürfen, um in ihrer natürlichen Rolle als Mutter zu erblühen. Das war die göttliche/natürliche Ordnung, jede Abweichung davon eine Perversion, die zur Not mit Gewalt bekämpft werden musste.

So war die Situation der Frauenrechtlerinnen in eine Sackgasse geraten. Die Argumente waren bekannt, die Positionen bezogen, und ihre Forderungen verpufften angesichts der Machtpolitik, des Wirtschaftswachstums, der Sachzwänge, der Religion. Bis die Störaktionen begannen, die eingeworfenen Fensterscheiben, die Unterbrechung politischer Versammlungen, die Demonstrationen in den Innenstädten und den Parlamenten, die Hungerstreiks und Protestmärsche.

Heute werden Straßen nach diesen Frauen benannt, und in den Geschichtsbüchern firmieren sie als Heldinnen, die gegen riesige Widerstände und ohne jede Hoffnung auf Erfolg alles einsetzten, um ihre gerechten und zukunftsgewandten Überzeugungen durchzusetzen und der Hälfte der Menschheit zu gleichen Rechten zu verhelfen.

Erst der Erste Weltkrieg brachte Bewegung in die Situation. Zu Kriegsbeginn wurde die Kampagne der Suffragetten suspendiert, dann nahmen die Ereignisse einfach ihren Lauf. In der Kriegswirtschaft spielten Frauen (wie immer in Kriegen) eine größere Rolle und übernahmen immer häufiger Aufgaben, die vorher Männern vorbehalten gewesen waren. Diese Realität, die Wirklichkeit der industriellen Gesellschaft, in der, wie die Wiener Frauenrechtlerin Rosa Mayreder bemerkte, die traditionelle Männlichkeit keinen Platz mehr hatte, wurde durch den Krieg so in die Gesellschaft getragen, dass Frauen in Großbritannien und anderen Ländern, darunter auch der neuen Republik Österreich, 1918 das Wahlrecht bekamen.

Philipp Blom (*1970) studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien. Zuletzt erschien von ihm "Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur" (Hanser, 2022).
Foto: Peter Rigaud

Die Transformation wurde erst durch die Erschütterung der bestehenden sozialen Strukturen ermöglicht. Dann aber konnte sie auch greifen. Die Argumente waren schon in der Öffentlichkeit, als der Wandel durch den Krieg unvermeidlich geworden war, aber ohne den Druck durch die Suffragetten, ihre oft extremen Kampagnen, ihr jahrelanges politisches Lobbying, ihre Märsche und die zahllosen Briefe an Politiker und Störaktionen, die Hungerstreiks und die öffentlichen Kontroversen wäre das Frauenwahlrecht wohl auch in Großbritannien später gekommen. Es ist aber für soziale Transformation wichtig, dass die Argumente bereits in Position und im öffentlichen Bewusstsein sind, wenn die Strukturen geschwächt sind und Veränderung erlauben.

Ich persönlich bin erstaunt (und erleichtert), dass es noch keinen gewalttätigen Öko-Terrorismus gibt, aber momentan befindet sich die Klimabewegung tatsächlich in einer ähnlichen Situation wie die Suffragetten nach dem Misserfolg ihrer jahrelangen, geduldigen Überzeugungsarbeit. Was tun, wenn die Situation das Äußerste fordert? Wie weit darf man und wie weit muss man in einer verzweifelten Lage gehen? Werden nach diesen jungen Leuten irgendwann Straßen benannt, wenn es dann noch Straßen gibt, oder werden Menschen in Zukunft andächtig jeden 1. Jänner wieder dem allerletzten Neujahrskonzert lauschen, einem historischen Dokument, perfekt aufgenommen in Dolby Surround und mit herrlichem Streicherklang, eine Nostalgiepille inmitten einer kollabierten Zivilisation? (Philipp Blom, 6.1.2023)