Sie stapft mit blutverschmiertem Arztkittel über die Wiener Mariahilfer Straße, argumentiert aggressiv gegen Menschen, die zugeben, Fleisch zu essen, und wird immer häufiger von Jugendlichen um ein Foto gebeten, weil die umstrittene "Militante Veganerin" nicht nur ein Social-Media-Phänomen, sondern mittlerweile auch Vorbild für viele ist.

Raffaela Raab ist 26 Jahre alt und seit knapp über einem Jahr auf Social Media aktiv. Egal ob Tiktok, Youtube oder Instagram, die junge Österreicherin befüllt ihre Kanäle regelmäßig mit neuen Inhalten. Speziell auf Tiktok gehen ihre Videos oftmals viral und erreichen mehrere Millionen Menschen. Ihre Message ist klar: Der Verzehr von Tierprodukten und das damit verbundene "Massaker der Tierindustrien" ist das "größte Verbrechen unserer Zeit". Die selbsternannte Tierbefreiungsaktivistin scheut sich nicht, Leuten das auch so ins Gesicht zu sagen und schießt dabei immer wieder übers Ziel hinaus.

Tierbefreiungsaktivistin

Auf der Straße bezeichnet sie Fleischesser als Mörder, auf Youtube stellt sie Videos von Schlachthöfen online. Sobald sie merkt, dass ihr Gegenüber nicht ihre Einstellung teilt, bricht sie das Gespräch gerne ab. Ihre forsche, direkte Art kommt auf Social Media gut an – auch weil sie polarisiert. Von vielen wird sie als "nervigste Veganerin der Welt" bezeichnet und deshalb oftmals auf der Straße provoziert. In einem Video geht ein Jugendlicher zu Raab und stellt sich als Fan vor. Als die beiden für ein Foto posieren, packt er einen Hamburger aus, den er vor der jungen Frau verspeist.

Auch mit Eiern wird Raab beworfen und immer wieder auf der Straße und vor allem online beleidigt. Davon beeindruckt zeigt sich die Aktivistin – zumindest in ihren Videos – nicht. Stattdessen tritt sie in Poetry-Slams mit ihrer Message auf, nutzt jeden Podcast, zu dem sie eingeladen ist, um ihre Sichtweise darzustellen.

Ein von ihr vielgenutzter Begriff ist Speziesismus. Bei diesem geht es um die moralische Diskriminierung von Individuen auf Basis ihrer Artzugehörigkeit. Das sei genauso, wie Rassismus zu verurteilen, erklärt Raab.

Die Militante Veganerin

Nicht nur Fans

Von vielen fragwürdigen Vergleichen stoßen vor allem die Wortmeldungen von Raab auf, die den aktuellen Umgang mit Tieren mit dem Holocaust gleichstellen. Diese völlig unpassende Verharmlosung eines systematischen Völkermordes ist die unrühmliche Spitze einer offenbar aus dem Ruder gelaufenen Motivation. Viele Veganer distanzieren sich auf Social Media von der Aktivistin und bezeichnen ihr Vorgehen als schädlich für die Bewegung. Reichweitenstarke Youtuber, etwa der Vegetarier MontanaBlack, kritisiert in mehreren Videos das Vorgehen von Raab. "Zwang führt zu nichts", kommentiert er die Aktivistin. "Wir sind ja nicht die vegane Moralpolizei."

In den Kommentaren wird Raab meist nur provoziert. Eine Nutzerin schreibt unter einem Tiktok-Video: "Hab meinem Mann gerade gesagt, er soll mir Döner kaufen." Auch ihr Auftritt bei "2 Minuten, 2 Millionen" wird immer wieder von Nutzerinnen mit diversen Smileys verziert ins Netz gestellt. Damals versuchte sich die angehende Ärztin als Unternehmerin und wollte mit ihrer Idee durchstarten, Wärmflaschen zum Umbinden anzubieten.

Mittlerweile hat Raab eine Reichweite erreicht, dass fast täglich inhaltliche Diskussionen über ihre Auftritte stattfinden. Erst vor wenigen Tagen etwa griff der Tiktoker Christian Wolf, mit knapp 500.000 Followern ein nicht gerade kleiner Content-Schaffender, Kritik von Raab gegen seine Person auf. Raab hätte in einem Interview falsche Aussagen bezüglich des für den Menschen nötigen Protein-Konsums gemacht.

Ein Video, in dem Wolf ihr widerspricht, hätte die Aktivistin sperren lassen. Ausführlich versuchte der Unternehmer, die Historie der Auseinandersetzung zu erläutern, um am Ende Raab vorzuwerfen, auch sie sei moralisch nicht perfekt, obwohl sie das seiner Meinung nach behaupte. Auch die Aktivistin würde Kleidung und Technik aus Asien besitzen, die wohl in Verbindung mit menschlichem Leid entstanden seien.

Kein leichter Weg

Aber nicht nur mit fremden Kritikern muss sich Raab auseinandersetzen. In einem Interview mit der Schweizer Website "Watson" gibt sie im Dezember 2022 zu, dass sie aufgrund ihrer Einstellung auch von ehemaligen Freunden und sogar von ihrer Mutter gemieden wird. "Für meine Mutter bin ich eine Extremistin und Sektenführerin", erklärt sie in dem Interview. Auch finanziell geht Raab an ihre Grenzen. Um ihre Bestimmung ausführen zu können, nahm sie sich ein Jahr lang frei und lebte von ihrem Ersparten. Seit dieses aufgebraucht ist und auch ihr Patreon-Account nur knapp über 400 Euro im Monat abwirft, arbeitet sie Vollzeit als Pathologin.

Trotz oder gerade wegen ihrer Auftritte im Netz gewinnt Raab immer mehr Anhänger. Unter ihren Videos hat sich die Stimmung zu einem Großteil zu ihren Gunsten gedreht. Eine Nutzerin schrieb vor wenigen Tagen in den Kommentaren: "Ich bin selbst der Meinung, dass deine Arbeit kaum aufzuwiegen ist, und denke, dass es im deutschsprachigen Raum niemanden gibt, der in so kurzer Zeit so viele Menschen dazu gebracht hat, über Veganismus nachzudenken."

VIDEO: Am vergangenen Weltvegantag ist unser Videoteam der Frage "Wie vegan is(s)t Österreich?" nachgegangen
DER STANDARD

Auch in Raabs Videos selbst tauchen immer öfter junge Menschen auf, die ihr stolz erzählen, jetzt auch vegan zu leben. "Wie geht's dir damit?", fragt Raab auf der Straße ein junges Mädchen, dass sich als Neo-Veganerin outet. "Super, so wie davor – nur ohne Tierquälerei." Die Reaktion von Raab ist bezeichnend. Man sieht ihr an, wie sie ihre Mühe belohnt sieht. Wohl mit ein Grund, warum man auch künftig von der nicht unumstrittenen Aktivistin hören und sehen wird. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich bis dahin die Kritik an so mancher ihrer Aussagen zu Herzen nimmt. (Alexander Amon, 9.1.2023)