Der Angriff der Bolsonaro-Anhänger auf das Kongressgebäude.

Foto: EPA/ANDRE BORGES

Brasília – Tausende Anhänger des rechtsradikalen brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro haben am Sonntag den Kongress, den Präsidentenpalast Planalto und das Oberste Gericht in der Hauptstadt Brasília gestürmt. Dabei zerschlugen sie Fensterscheiben und richteten erheblichen Sachschaden an, wie auf Fotos zu sehen war, die in Online-Netzwerken verbreitet wurden. Im brasilianischen Kongress waren allerdings heute keine Abgeordneten im Haus.

Lula da Silva verurteilte den Angriff von radikalen Anhängern seines Vorgängers Bolsonaro auf Regierungsgebäude in Brasília. "Alle Vandalen werden gefunden und bestraft", sagte der Staatschef am Sonntag. "Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat." Per Dekret ordnete Lula an, dass die Bundesregierung die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit in Brasília übernimmt.

Sicherheitschef entlassen

Nach dem Angriff auf Regierungsgebäude wurde der Sicherheitschef der Hauptstadt, Anderson Torres, entlassen. "Ich habe die Entlassung des Sicherheitsministers des Bundesdistrikts beschlossen und gleichzeitig alle Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt, um die Verantwortlichen festzunehmen und zu bestrafen", schrieb der Gouverneur des Bundesbezirks, Ibaneis Rocha, auf Twitter.

Die Chefin der regierenden Arbeiterpartei (PT) erhob unterdessen schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen in der Hauptstadt. "Die Regierung des Bundesbezirks war unverantwortlich angesichts der Invasion in Brasília und im Nationalkongress", schrieb Gleisi Hoffmann am Sonntag auf Twitter. "Das war ein angekündigtes Verbrechen gegen die Demokratie, gegen den Willen der Wähler und für andere Interessen. Der Gouverneur und sein Sicherheitsminister, ein Anhänger von Bolsonaro, sind für alles verantwortlich, was passiert." Auch der Senatspräsident Rodrigo Pacheco verurteilte den Angriff auf Twitter.

Allerdings verurteilte auch die Partei des ehemaligen Staatschefs den Angriff. "Heute ist ein trauriger Tag für die brasilianische Nation. Wir können mit der Erstürmung des Nationalkongresses nicht einverstanden sein", sagte der Vorsitzende von Bolsonaros Liberaler Partei (PL), Valdemar Costa Neto, in einem am Sonntag veröffentlichten Video. "Alle geordneten Demonstrationen sind legitim. Aber das Chaos hat nie zu den Grundsätzen unserer Nation gehört. Wir verurteilen dieses Verhalten aufs Schärfste. Das Recht muss durchgesetzt werden, um unsere Demokratie zu stärken."

Aufruf zum Kampf gegen Lula

Wie Fernsehbilder zeigten, drangen die Demonstranten in das Gelände des Parlaments vor und gelangten auf das Dach. Die Polizei setzte Pfefferspray und Tränengas ein. Video-Aufnahmen örtlicher Medien zeigten, wie mehrere Menschen in den gestürmten Gebäuden Möbel zerstörten.

Die Proteste der Bolsonaro-Anhänger richten sich gegen den Wahlsieg des seit Jahresanfang amtierenden linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Sein Vorgänger, der Rechtspopulist Bolsonaro, erkannte den Sieg nicht an und verließ das Land. Entgegen den Gepflogenheiten hatte Bolsonaro auch nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Lula am Neujahrstag teilgenommen. Vor seinem Abflug nach Florida wandte er sich an seine Anhänger und rief sie zum Kampf gegen Lula auf.

Erinnerung an Kapitol-Angriff

Laut dem "Guardian" marschierte der Pro-Bolsonaro-Mob am Sonntag vom Hauptsitz des Militärs in Brasília in Richtung der Amtsgebäude. Das Gelände um den Kongress war von den Behörden abgeriegelt worden. Die Anhänger Bolsonaros überwanden die Absperrungen. Nach dem Angriff auf den Kongress zogen Bolsonaro-Anhänger auch zum Obersten Gerichtshof. Die Richter hatten während der Amtszeit von Bolsonaro den rechten Staatschef immer wieder in die Schranken gewiesen und werden von seinen Unterstützern deshalb verachtet. Später teilte das Oberste Gericht mit, die Sicherheitskräfte hätten die Kontrolle über das Gebäude wiedererlangt. Einige Demonstranten seien im Parkhaus festgenommen worden. Eine Stellungnahme von Bolsonaro lag zunächst nicht vor.

Die Bolsonaro-Anhänger hätten dort Scheiben eingeworfen und seien in die Lobby vorgedrungen, berichtete das Nachrichtenportal G1. Später zogen sie demnach auch zum Regierungssitz Palácio do Planalto. Auch auf den umliegenden Rasenflächen und Plätzen sowie vor dem Präsidentenpalast Planalto versammelten sich zahlreiche Bolsonaro-Anhänger. Radikale Anhänger des Ex-Militärs hatten bereits nach der Wahl immer wieder gegen Lulas Sieg protestiert und die Streitkräfte des Landes zu einem Militärputsch aufgerufen.

Der rechte Präsident Bolsonaro war im vergangenen Oktober dem Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva in der Stichwahl unterlegen und zum Jahreswechsel aus dem Amt geschieden. In dem Kongressgebäude befinden sich der Senat und das Abgeordnetenhaus. Die Bilder weckten Erinnerungen an den Sturm auf das US-Kapitol am 6. Jänner 2021. Brasiliens Präsident Lula hielt sich am Sonntag nach Angaben von Beamten in São Paulo auf. Er war in die Stadt Araraquara gereist, um sich über die Folgen der schweren Unwetter in der Region zu informieren. Lula ist zum dritten Mal im Amt. Er war bereits von 2003 bis 2010 Staatsoberhaupt.

"Putschversuch"

Die Kluft zwischen beiden Lagern in der Gesellschaft ist so tief wie nie seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie 1985. Beide Politiker machten sich im Wahlkampf gegenseitig massive Vorwürfe etwa wegen Korruption und haben damit zur Polarisierung der Gesellschaft beigetragen. Lula war 2018 wegen Bestechlichkeit verurteilt worden und hatte eineinhalb Jahre im Gefängnis verbracht. 2021 wurden die Urteile gegen ihn aufgehoben.

In ersten Reaktionen stellten sich Staaten in der Region hinter Lula. Dessen Regierung habe Chiles volle Unterstützung angesichts des "feigen, abscheulichen Angriffs auf die Demokratie", schrieb Präsident Gabriel Boric auf Twitter. Der mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard schrieb ebenfalls über den Kurznachrichtendienst, sein Land stelle sich gegen jeden Angriff auf demokratische Institutionen. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro erklärte: "Der Faschismus hat sich zu einem Putsch entschlossen." Er rief zu einer Dringlichkeitssitzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf. Auch der argentinische Präsident Alberto Fernandez sprach von einem Putschversuch und bot Unterstützung an.

Auch die US-Regierung verurteilte den Angriff. "Die Vereinigten Staaten verurteilen jeden Versuch, die Demokratie in Brasilien zu untergraben", schrieb der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Sonntag auf Twitter. Präsident Biden beobachte die Situation genau.(APA, 8.1.2023)