Ben-Gvir macht klar, dass er in Zukunft weniger Toleranz gegenüber propalästinensischer Symbolik wünscht.

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Israels neuer Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir sagt der Palästinenserflagge den Kampf an: Die Polizei solle jede Palästinenserflagge entfernen, "die eine Identifikation mit einer Terrororganisation ausdrückt", erklärte Ben-Gvir. Da die palästinensische Flagge in Israel nicht pauschal verboten ist, bleibt es de facto den einzelnen Polizisten überlassen, wie sie Ben-Gvirs Verordnung auslegen.

Ben-Gvirs Verlautbarung wird nicht nur in den Palästinensergebieten als Provokation verstanden, sie droht auch in Israel Spannungen anzuheizen. Mindestens zehn Prozent der israelischen Bevölkerung sind Araber. Viele von ihnen definieren sich entweder selbst als Palästinenser oder identifizieren sich mit dem palästinensischen Kampf um Selbstbestimmung. Auf Demonstrationen in israelisch-arabischen Städten ist es üblich, dass Palästinenserflaggen geschwenkt werden. Auch manche linke jüdische Israelis tragen die Flagge als Zeichen der Solidarität – wie zuletzt am Samstag, als tausende Israelis sich in Tel Aviv zu einer Großdemonstration gegen die neue Regierung einfanden.

Ausdrücklich verboten sind Palästinenserflaggen nur in öffentlichen Gebäuden, wie etwa an Universitäten. Polizisten können Flaggen aber auch anderswo entfernen, wenn sie darin eine Störung der öffentlichen Ordnung sehen. Vor allem in Ostjerusalem machte die Polizei von dieser Möglichkeit oft Gebrauch. Ben-Gvir machte nun klar, dass er in Zukunft weniger Toleranz gegenüber propalästinensischer Symbolik wünscht. "Jede Hetze gegen Israel muss gestoppt werden", erklärte der rechtsextreme Politiker, der selbst in der Vergangenheit mehrmals wegen Verhetzung verurteilt wurde.

Eskalationspotenzial

Sollte die Polizei bei Demonstrationen in arabischen Städten künftig härter vorgehen und Demonstranten die Flaggen aus der Hand reißen, könnte das zu häufigeren Eskalationen führen. Zumal Sicherheitsexperten eher von einer Zunahme dieser Proteste ausgehen: Die neue Regierung will die finanziellen Mittel in den Städten kürzen. Unter der vergangenen Regierung, Israels erster Koalition unter Beteiligung einer arabischen Partei, war ein Budgetpaket zur Überwindung der sozioökonomischen Kluft zwischen jüdischen und arabischen Gegenden beschlossen worden. Das alles kommt in einer emotional aufgeladenen Zeit: Im Jahr 2023 jährt sich der israelische Unabhängigkeitskrieg, der unter Palästinensern als Nakba (deutsch: Katastrophe) bezeichnet wird, zum 75. Mal.

Finanziellen Druck übt die neue Regierung auch auf die Palästinenserbehörde aus: Sie will Sanktionen gegen die Autonomiebehörde verhängen. Man reagiere auf den "politischen und juristischen Krieg" der Palästinenser gegen Israel, erklärte das Büro des Ministerpräsidenten in einer Aussendung: Die UN-Vollversammlung hatte sich vergangene Woche dafür ausgesprochen, dass der Internationale Gerichtshof in Den Haag die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete rechtlich prüft. Der Antrag war von den Palästinensern eingereicht worden.

Palästinenserbehörde drohe Kollaps

Als Teil dieser neuen Sanktionen will Israel den Palästinensern rund 37 Millionen Euro an Geldflüssen vorenthalten. Derzeit stammen rund zwei Drittel des Budgets der Palästinenserbehörde aus Gebühren, die Israel für sie einhebt und weiterleitet. Schon bisher war es üblich, dass Israel einen Teil davon einbehält: Da die Familien palästinensischer Terroristen von der Palästinenserbehörde finanziell unterstützt werden, zieht Israel diese "Terror-Renten" ab. In Zukunft soll der Anteil erhöht werden.

Der palästinensische Premierminister Mohammad Schtayyeh warnte am Montag gegenüber der Zeitung "Haaretz": Die Sanktionen könnten schon bald einen "Kollaps" der Palästinenserbehörde zur Folge haben. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 9.1.2023)