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Die Karten verheißen der Gastronomie für die Zukunft mehr Wertschätzung für Personal und Regionalität.
Foto: Illustration/ Midjourney, Getty Images

Joe Warwick hat schon diverse Karrieren hinter sich. Geboren wurde er 1972 auf Zypern als Sohn irischer Eltern, seit 30 Jahren lebt er in London. Einige Jahre lang arbeitete er in Restaurants, kam dann zum Journalismus. Er entwickelte die Buchreihe "Where Chefs Eat", schrieb für die BBC und den Guardian und war Juror der TV-Show Celebrity Master Chef. Während seiner Tätigkeit beim Restaurant Magazine entwickelte er die Idee für die "50 Best Restaurants", eine weltweite Rankingliste, die inzwischen ähnliches Renommee genießt wie der Guide Michelin. Nach seinem Ausstieg gründete er mit Andrea Petrini die World Restaurant Awards, die nach einer Corona-Pause dieses Jahr wieder stattfinden sollen. Bis vor kurzem war der 51-Jährige ("Ich weiß, dass ich eher aussehe wie 49") Restaurantmanager im Londoner Sola, das sich auf kalifornische Küche spezialisiert hat. Uns verrät er die wichtigsten Trends, von A wie Aquakultur bis Z wie Zutatenupgrade.

1. Gutes Essen hat seinen Preis

Keine Frage, Essen gehen ist teurer geworden. Schon länger ist es schwieriger für Restaurants, gutes Personal zu finden.

Im November 2022 waren in Österreich rund 10.600 offene Stellen in Gastronomie und Hotellerie gemeldet, um über 26 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. "Wer gute Leute will, muss diese besser bezahlen, was sich am Ende auf die Rechnung der Gäste auswirken wird", sagt Joe Warwick und fügt hinzu: "In London beobachte ich zum Beispiel, dass viele Restaurants das empfohlene Trinkgeld von 12,5 auf 15 Prozent erhöhen. Auch Zutaten werden teurer werden. Viele Restaurants werden daran sparen. Ich fürchte, dass es immer weniger Restaurants der mittleren Preisklasse geben wird. Gleichzeitig ist es begrüßenswert, wenn die allgemeine Qualität steigt."

2. Von wegen Tellerschubser

Die Nouvelle Cuisine hat das Servicepersonal zu Tellerschubsern degradiert. Jetzt findet eine Kehrtwende statt: Kellnerinnen und Kellner flambieren, tranchieren, gießen Saucen an. "Das führt zu einer Aufwertung dieses Berufsstands und hoffentlich auch zu einer entsprechenden Entlohnung", sagt der Wahllondoner. "Jobs in der Gastronomie sollen nicht als Möglichkeit gesehen werden, die Zeit bis zur Schauspielkarriere zu überbrücken. Im Ernst, wir brauchen starke Persönlichkeiten im Service. Leute, die selbstbewusst agieren, ohne steif zu sein."

3. Einmal alles? Bitte nicht!

Restaurants, die sowohl neapolitanische Pizza als auch Sushi und Burger anbieten, sollten misstrauisch machen. "Mehr und mehr Restaurants schärfen ihr Profil, fokussieren sich auf einen Küchenstil oder sogar auf ein einziges Gericht, Ramen oder Udon-Nudeln zum Beispiel", sagt Warwick. Das ist kulturelle Aneignung auf eine gute Art, auch weil das Essen oft von Köchen oder Köchinnen zubereitet wird, die aus der entsprechenden Region stammen. In Wien ist das beispielsweise Maka Ramen, in Graz die Ichi-Go-Ichi-Ramen-Bar.

4. Gemeinsam statt einsam gewonnen

Eine enge Zusammenarbeit zwischen Küche und Landwirtschaft wird Warwick zufolge immer wichtiger. "Köchinnen und Köche sind Kontrollfreaks. Je genauer sie wissen, woher ihre Zutaten kommen, desto besser. Oder aber sie bauen sie gleich selbst an beziehungsweise greifen auf die Erzeugnisse eines restauranteigenen Gartens zurück." Beispiele finden sich in Österreich einige. Richard Rauch vom Steirawirt freut sich über einen Garten samt Gewächshaus, das Obauer in Werfen über eigene Kräuter, die direkt hinterm Haus wachsen. Auch im Seehof in Goldegg und im Mühltalhof in Oberösterreich baut man selbst an. Und in Wien ist das Heuer am Karlsplatz eines der wenigen Innenstadtlokale mit eigenem Gemüsegarten.

5. Essen ist auch Politik

Die Ethik in Sachen Ernährung wird eine zunehmend wichtige Rolle spielen. In Großbritannien wird Warwick zufolge gerade eine hitzige Diskussion über Foie gras geführt. "Köche und Köchinnen lieben sie, aber der ethische Aspekt ist natürlich hochproblematisch. Genauso sollte aber über Massentierhaltung diskutiert werden." Nachhaltigkeitsauszeichnungen wie die Grünen Sterne des Guide Michelin – das Wiener Tian hat einen bekommen – finde er begrüßenswert, weil es die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenke. "Viele Leute schimpfen über Greenwashing, aber seien wir ehrlich, es sind die großen Namen, die für Veränderung sorgen. Letztes Jahr hat in London ein komplett vegetarischer Burger King eröffnet. So sehr ich die kleinen Hipsterrestaurants liebe, muss ich doch einsehen, dass nicht sie die Welt verändern werden, sondern McDonald’s und Kentucky Fried Chicken." Übrigens endet Nachhaltigkeit nicht bei der CO2-Bilanz der Zutaten. Auch das Arbeitsklima gehört dazu, faire Bezahlung, menschliche Arbeitszeiten und ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis.

6. Das Gute liegt so nah

Exotische Zutaten werden vermehrt regional angebaut, und "das ist günstiger und besser für die Umwelt", sagt Warwick. Am Neusiedler See wachsen Safran und Oliven, in Kärnten Zitronen, und aus Wien kommen Artischocken und Biofeigen, Letzteres vom Biofeigenhof im elften Bezirk.

7. Pflanzenliebe

2019 ernährten sich vier Prozent der Bevölkerung Österreichs vegetarisch, halb so viele vegan. Und doch wird diese Art der Ernährung auch hierzulande immer wichtiger. "Ich persönlich liebe Fleisch, kein Wunder, schließlich sind Fleischhauer in meinem Heimatland Irland Sexsymbole", gesteht Warwick lachend. "Meine siebenjährige Tochter behauptet, Vegetarierin zu sein – dabei liebt sie Bacon –, was zeigt, dass für ihre Generation ein bewusster Fleischkonsum ganz normal sein wird. Wobei ich zu bedenken gebe, dass fleischlose Produkte nicht zwangsläufig nachhaltig oder gesünder sind, auch wenn viele das glauben." Besser, man setzt auf frisches Gemüse statt auf hochverarbeitete Fake-Würstel.

8. Fisch mit gutem Gewissen

Beim Fisch geht der Trend Warwick zufolge zu Aquakulturen und Süßwasserfisch. "Machen wir uns nichts vor: Die Weltmeere sind hoffnungslos überfischt. Zuchtfisch ist eine super Alternative. Im Sola haben wir zum Beispiel einen großartigen Kindai-Zuchtblaubarsch aus Spanien auf der Karte." In Österreich wird seit jeher mit heimischen Fischen gekocht, besonders bekannt ist in dieser Hinsicht Lukas Nagl vom Bootshaus am Traunsee. Mühltalhof-Koch Philip Rachinger überrascht seine Gäste mit Hechtkutteln und Karpfenleberkäse, und Manuel Ressi vom Kärtner Bärenwirt lässt heimischen Stör und Hecht im Dry-Age-Schrank reifen.

9. Nachgeschenkt: Trends aus der Getränkewelt

Beim Wein richtet sich der Fokus zunehmend auf bislang unbekannte Regionen, Tschechien zum Beispiel, wie Warwick erklärt. "Aus Rumänien kommt fantastischer Pinot Noir. Demgegenüber steht die wachsende Zahl an alkoholfreien Alternativen. Everleaf, Three Spirit und Aecorn sind Marken, nach denen Sie Ausschau halten sollten. In dem Restaurant, in dem ich arbeite, wollen zehn bis 15 Prozent der Gäste keinen Alkohol. Denen muss man etwas bieten." Auch in Österreich tut sich was: In Wien lohnt sich die Entdeckung des Sortiments von Pona und des alkoholfreien Rick-Gins. Der Obsthof Retter glänzt mit einer hochwertigen Sommelieredition, aus dem Salzburger Lungau kommt die Enzo-Alpin-Limonade.

10. Koffer packen: Diese Ziele sollten Foodies ansteuern

Ganz oben auf Warwicks Liste steht Portugal. "Nicht die Algarve, sondern den Norden, vor allem Porto, aber auch die Hauptstadt Lissabon. Egal, ob es um Wein oder Streetfood geht, die Preise sind leistbar, die Qualität unglaublich." Besonders angetan haben es ihm portugiesische Hotdogs, am meisten bei Gazela. Auch Dublin, findet Warwick, ist eine Reise wert. Die irische Hauptstadt hat spannende Restaurants zu bieten wie das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Chapter One oder der auf Fish, Chips und Wein spezialisierte Fish Shop. "Die Favoriten meiner Wahlheimat sind das auf nordthailändische Küche spezialisierte Kiln – wo ich dank der tollen Naturweinauswahl auch gerne allein hingehe –, die Udon-Nudel-Bar Koya und das herrlich altmodische The Guinea." In der Bentley’s Oyster Bar bestellt der Wahllondoner Austern und Seezunge mit Kapernbuttersauce, dazu eine Flasche Chablis.

11. Next, please: Diese Länderküchen werden uns bald begeistern

"Definitiv Osteuropa", sagt der 51-Jährige. "Ungarn hat eine erstaunliche Gastronomiekultur, auch von Rumänien höre ich Gutes. Oh, und Deutschland und Österreich sind meiner Meinung nach auch zu wenig bekannt für ihre Kulinarik, in Großbritannien jedenfalls."

12. Viel Spaß muss sein

Einen Tipp hat Joe Warwick noch parat. "Gerade in Zeiten wie diesen sollen Essen und Essengehen Spaß machen, auch auf Fine-Dining-Niveau. Weg mit der angespannten, noblen Stimmung!" (RONDO, Eva Biringer, 15.1.2023)