Starkstrommonteure haben in der Energiewende Konjunktur, es braucht jede Menge Strommasten und -leitungen.

Foto: HO / Verbund APG / Lukas Pilz

Mit dem Turbo für Umweltverfahren und Kraftwerksprojekte, den die Regierung in ihrer zweitägigen Klausur ab heute, Dienstag, in Mauerbach erklärtermaßen zünden will, hat sich Türkis-Grün selbst unter Druck gesetzt. So verständlich dieser Wunsch nach Beschleunigung im Lichte der Energiewende klingen mag, so schwierig ist selbige zu bewerkstelligen.

Denn weder lässt sich staatlich verordnen, dass die Unterlagen für ein Einreichprojekt vollständig sind; noch ist dies eine Garantie dafür, dass ein Projekt von der für eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zuständigen Behörde ohne gravierende Änderungen (die Zeit kosten und weitere Verfahren nach sich ziehen) durchgewinkt wird.

Dauer der Verfahren

Ein Blick in den regelmäßig vom Umweltministerium herausgegebenen UVP-Bericht zeigt: So lang, wie vielfach angegeben, dauern UVP-Verfahren bei weitem nicht. Von 2009 bis 2020 vergingen im Schnitt 15,2 Monate, bis ein UVP-Verfahren vom Antrag bis zum Bescheid durchgeführt wurde. Von der öffentlichen Auflage, also der Veröffentlichung der Projektunterlagen, bis zum Bescheid waren es in dem nach dem Median-Verfahren ermittelten Schnitt sogar nur 7,2 Monate.

Schlechte Unterlagen

Es sind also andere Gründe, die zu Verzögerungen führen. In den Jahren 2017 bis 2020 trieben mehrere besonders aufwendige UVP-Verfahren den Schnitt kräftig nach oben, darunter der Westabschnitt der Marchfeld-Schnellstraße S8 (ab Gänserndorf), das Pumpspeicherkraftwerk Limberg III, die Deponie Enzersdorf an der Fischa oder die Traisental-Schnellstraße S34. Die meisten von ihnen sind politische Prestigeprojekte und entsprechend umstritten – insbesondere, was ihren Verlauf betrifft, womit Widerspruch und Verfahrensprobleme programmiert sind. Als Horrorbeispiel gilt diesbezüglich die Salzburg-Leitung (380 kV), die Verbund, Gemeinden und Anrainer geschätzt zwei Jahrzehnte beschäftigte.

Schub aus Brüssel

Ob sich Widersprüche wie diese im koalitionären Abstimmungstreffen am Montagnachmittag auflösen ließen, war nicht in Erfahrung zu bringen. Zu heiß ist dieses Thema. Allerdings kam zum Jahreswechsel ein Energieschub aus Brüssel. Die EU-Kommission hat mittels Notverordnung verfügt, dass Energiewendeprojekte in den nächsten 18 Monaten mit Verve zu genehmigen sind, um die Unabhängigkeit von fossilen (russischen) Brennstoffen zu befeuern – DER STANDARD berichtete. Das dürften die Grünen als Rückenwind für ihre im Hitzesommer 2022 vertrocknete Novelle des UVP-Gesetzes verstehen. Denn einige Punkte der EU-Beschleunigungsverordnung gehen automatisch, wenn auch nur befristet auf 18 Monate, in nationales Recht über. Gemeinden, Bundesländer und Ministerien als Genehmigungsbehörden müssten eine Einschränkung der EU-Verordnung sachlich begründen.

Mehr Sachverständige

Franz Maier vom Umweltdachverband mahnt: "Wenn Kraftwerksbau mit Naturzerstörung einhergeht, ist er kontraproduktiv und darf durch automatische Genehmigungen oder rechtliche Bevorzugungen nicht erzwungen werden." Ausreichend Sachverständige würden Verfahren eher beschleunigen.

Die Liste an Unzulänglichkeiten, die der gefühlt zwanzigsten UVP-Novelle in Österreich attestiert wird, deren Ministerialentwurf seit Juni vorliegt, ist lang und sie wird durch die EU-Notverordnung wohl eher länger.

  • Öffentliches Interesse Das Etikett "überwiegendes öffentliches Interesse", mit dem Baupläne für Windparks oder andere Erneuerbare-Erzeugung-Anlagen durchgewinkt werden können sollen, wird bei Umweltorganisationen und Bürgern als Freibrief zur Durchsetzung fragwürdiger Projekte empfunden. Wie dieses öffentliche Interesse in so kurzer Frist belegt bzw. untermauert werden soll, ist fraglich. Das nährt den Verdacht, umstrittene Projekte könnten durchgepeitscht werden. In der UVP-Novelle findet sich das öffentliche Interesse übrigens so nicht. Diese sieht vor, dass Windparks in Vorrangs- oder Eignungszonen ohne Flächenwidmung in die UVP gehen dürfen. Dadurch sehen sich selbst Vorzeigegemeinden entmündigt.
  • Vorrang für Energieprojekte Beim Vorrang, der Energieprojekten eingeräumt werden soll, hat Energie- und Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) die EU-Notverordnung bereits vorweggenommen. Die Energiewende hat mit der UVP ursächlich zwar nichts zu tun, aber man packte augenscheinlich die Gelegenheit beim Schopf. Explizit umfasst sind Vorhaben der Energiewirtschaft, Rohrleitungen, Starkstromfreileitungen, Tiefbohrungen, Wasserwirtschaft sowie Abfallwirtschaft, sofern mit diesen Energie aus Biomasse, Deponiegas, Klärgas, Biogas oder aus erneuerbarem Gas erzeugt wird und die Lagerung von brennbaren Gasen in Behältern umfasst ist. Der Wirtschaftskammer ist dies an Privilegierung zu wenig, sie drängte massiv darauf, dass auch die Umrüstung industrieller Prozesse auf Erneuerbare umfasst ist. Für Photovoltaikanlagen bräuchte es den Turbo der EU-Verordnung übrigens nicht, sie sind in Österreich ebenso wenig UVP-pflichtig wie die meisten Leitungsnetzausbauten.
  • Aufschiebende Wirkung Eingeschränkt werden sollte gemäß UVP-Novelle die Möglichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für nicht substanziierte Beschwerden. Gemeint ist damit dem Vernehmen nach, dass ein Projekt nicht auf Verdacht vorübergehend gestoppt werden darf, sondern nur aufgrund von Beschwerden mit inhaltlicher Substanz, wenn also Rechtswidrigkeit belegbar ist.

  • Landschaftsschutz Bleibt die auf große Skepsis stoßende UVP-Novelle wie gehabt, wäre der Landschaftsschutz übrigens kein Grund mehr für die Ablehnung eines Windparks. Auch Nachbargemeinden hätten keine Parteienstellung mehr, selbst dann nicht, wenn sich auf deren Gemeindegebiet Ausgleichsflächen für ein Großprojekt befinden.

  • Transparenz Was die Transparenz betrifft, bringen die neuen UVP-Regelungen wohl eher kaum Fortschritte. Denn Projektentwicklung während des UVP-Verfahrens wird weiter möglich sein, indem bevorzugt Großprojekte eingereicht werden, die selbst nach vielen Änderungen nicht genehmigungsfähig sind, wie das Beispiel der Marchfeldstraße zeigt. Nicht nur darüber echauffiert sich Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation Virus.

Die Junktimierung von Energiewende und Umweltverträglichkeitsprüfung sei der Sache grundsätzlich nicht dienlich. Für Energieprojekte notwendige Privilegien sollten keinesfalls generell erteilt werden. Dadurch käme nicht nur der Artenschutz unter die Räder, sondern auch das Verfassungsrecht. (Luise Ungerboeck, 10.1.2023)