Kurz nach 8 Uhr klebten sich am Dienstag Aktivisten auf die Praterstraße.

Foto: Philip Pramer

Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben am Dienstagmorgen sämtliche Zufahrten zum Wiener Praterstern blockiert, indem sie sich auf die Straße gesetzt oder geklebt haben. Die Aktion ist Teil einer Aktionswoche, bei der jeden Tag ein anderer Verkehrsknotenpunkt in Wien blockiert werden soll.

Unterstützung bekamen die Bewegung dabei von rund 40 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die am Praterstern eine Solidaritätskundgebung abhielten und sich symbolisch auf den Zebrastreifen hinter die festgeklebten Protestierenden stellten.

VIDEO: In der Aktionswoche der "Letzten Generation" werden täglich Straßen blockiert. Rund 40 Wissenschaftlerinnen zeigen sich solidarisch und fordern von der Politik effektive Maßnahmen gegen die Klimakrise.
DER STANDARD

Solidarität mit "Art des Protests"

Zu den Unterstützerinnen und Unterstützern zählen auch der Wissenschafter des Jahres 2022, Franz Essl, "Science Buster" Florian Freistetter und die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. "Der Kreisverkehr ist das Sinnbild für die Klimapolitik, die im Kreis rennt", sagte Mitinitiator Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Wiener Universität für Bodenkultur. Schon jetzt sei absehbar, dass die Klimaziele für das Jahr 2030 verfehlt werden.

Die Forschenden würden nicht nur die Ziele, sondern auch die Art des Protests unterstützen – auch wenn er der Protestform anfangs selbst skeptisch gegenüberstand. Ziviler Widerstand sei der Feueralarm für schlafende, verdrängende Gesellschaft in einer brennenden Weltine, sagte Steurer. "Und das ist kein Probealarm."

Sämtliche Zufahrten zum Praterstern wurden blockiert.
Foto: Philip Pramer

Die Letzte Generation fordert unter anderem eine Tempobeschränkung auf 100 km/h auf Autobahnen sowie den Stopp neuer Öl- und Gasbohrungen in Österreich. Sie will außerdem ein Verbot der umstrittenen Erdgasfördermethode Fracking, die in Österreich bislang nicht eingesetzt wird.

In "Fußgängerzone verwandelt"

"Ich sitze hier, weil ich mir nicht mehr anders zu helfen weiß, um auf die Drastik der Klimakrise aufmerksam zu machen", sagte der Aktivist Lorenz Trattner, der sich auf der Praterstraße festgeklebt hatte. Er war im November bereits bei der Aktion im Leopold-Museum beteiligt, bei der die Schutzscheibe eines Klimt-Bildes beschüttet wurde. Trattner fordert die Regierung auf, die Forderungen der Letzten Generation umzusetzen. Auch wenn ihm klar sei, dass es mehr brauche, seien das Tempolimit und das Förderverbot Maßnahmen, die sofort umsetzbar seien.

Rund 40 Wissenschafterinnen und Wissenschafter (im Vordergrund: Reinhard Steurer) stellten sich hinter die Bewegung.
Foto: IMAGO/Martin Juen

18 Festnahmen

Die Blockade begann gegen 8.15 Uhr. Der größte Kreisverkehr Österreichs wurde dabei in eine "Fußgängerzone verwandelt", wie die Gruppe auf Twitter schrieb. Unter den festgeklebten Personen war auch Martha Krumpeck, die Mitgründerin der Letzten Generation in Österreich, die am Montagabend in der ZiB2 die Aktionen verteidigte. Beim Praterstern floss der Verkehr rund eine Stunde später wieder, wie Polizei und Letzte Generation auf Twitter mitteilten. Bei der Aktion gab es laut Polizei 18 Festnahmen und etliche Anzeigen.

Die Polizei entfernte die festgeklebten Aktivistinnen und Aktivisten nach rund einer Stunde.
Foto: Philip Pramer

Die Straßenblockaden diese Woche zielen auf Verkehrsknotenpunkte in Wien ab. Ausgerückt ist am Dienstag dennoch Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die auf einem Sicherheitsgipfel erneut eine härtere Gangart mit den Aktivisten einforderte. Zwar seien deren Anliegen verständlich, "aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Mittel einfach die falschen sind".

Gesetzesentwurf in Arbeit

Der Verfassungsdienst des Landes wurde daher nun beauftragt, in den kommenden Tagen einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Das Ziel: Aus einer Verwaltungsübertretung soll ein strafrechtliches Delikt nach deutschem Vorbild werden.

In Österreich werde man aktuell erst dann gerichtlich belangt, "wenn bereits etwas passiert ist, wenn bereits Schaden eingetreten ist. Wir wollen aber nicht, dass erst etwas passieren muss, dass es erst Tote geben muss", betonte Mikl-Leitner. Geht es nach ihr, soll bereits das Auslösen einer Gefährdung bestraft werden. Der fertige Entwurf soll dann dem Justizministerium vorgelegt werden.

Experten sehen Gesetzesänderung kritisch

Keinen Grund zur Änderung sehen derzeit allerdings Strafrechtsexperten. Wenn durch Blockaden Rettungskräfte behindert werden, gebe es schon nach aktueller Gesetzeslage rechtliche Handhabe, meinte dazu etwa Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

Auch der Strafrechtsprofessor Klaus Schwaighöfer von der Universität Innsbruck lehnte im STANDARD-Gespräch am Montag den Vorschlag, ungefährliche Blockaden ins gerichtliche Strafrecht zu heben, ab.

Dass Niederösterreich bislang gar nicht von den Klebe-Aktionen betroffen war, ändert für Mikl-Leitner jedenfalls nichts. Letztlich sehe man sich als "gemeinsamen Lebensraum" mit Wien, wie die Landeshauptfrau betonte. Allerdings dürften hier auch die bevorstehenden Landtagswahlen am 29. Jänner keine unwesentliche Rolle spielen. (Elisa Tomaselli, Philip Pramer, 10.1.2023)