Josef Köberl ist stolz. Verständlich. Schließlich geht die Saat des Floridsdorfer Ministerialbeamten gerade auf. Zumindest hat es dieser Tage an Neuer und Alter Donau und in der Lobau den Anschein. Denn an all diesen Ecken und Enden der Stadt stolpert man derzeit über Menschen, die gerade aus dem Wasser kommen, ins Wasser gehen – oder darin fröhlich herumdümpeln: Obwohl das Wasser – hier im "Elferl"-Teich in der Lobau vergangenen Sonntag – gerade einmal vier Grad hat .

Foto: Brigitte Schuckert

Dabei spielt Josef Köberl hierzulande eine Schlüsselrolle. Er ist das Gegenteil eines Warmduschers. Mehr noch: Er bringt die frohe Kunde vom Sprung ins überfrische Nass seit mittlerweile zehn Jahren unter die Leute. (Und – das sei betont – warnt dabei eindringlich davor, tatsächlich zu springen. Zumindest als Anfänger.)

In den letzten zehn Jahren, strahlt der 45-Jährige, habe er allein in Wien über 5.300 Menschen das kalte Wasser zu lieben gelehrt.

Wie viele er darüber hinaus inspiriert hat, es ohne ihn oder Wim Hof zu versuchen? "Keine Ahnung, aber es ist toll, wenn mehr Leute draufkommen, dass ihnen das guttut."

Foto: Tom Rottenberg

Wieso das heute hier steht?

Weil das neue Jahr die Zeit der Vorsätze ist. Und ich aus meinem eigenen Umfeld weiß, dass Eisschwimmen da bei vielen Leuten auf der "Bucketlist" recht weit oben steht.

Es geht da wohl nicht nur um die Überwindung, sondern auch darum, etwas zu tun, was man nicht halb oder halbherzig machen kann: Entweder man geht rein – oder eben nicht.

Und: Man kann den Erfolg, das Erlebnis und das Ergebnis nicht kaufen.

Das ist – gerade heute – wichtig: Ich kenne Oligarchensöhne (okay: einen), die tatsächlich sehr viel Geld dafür bieten, dass man sie (also: ihn) Triathlon-fit macht. Das Geld würde ich nehmen. Nur kriegt der gute Mann seinen Hintern keine zwei Stunden aus dem Sofa: Da nutzt Geld nichts. Kaltes Wasser mag er übrigens auch nicht.

(Das Bild stammt vom Seeschlacht-Weihnachtsmarathon am 18.12.2022)

Foto: Tom Rottenberg

Eisschwimmen ist demokratisch, niederschwellig. So wie Laufen. Genau genommen ja noch einen Tick mehr: Rennradfahren braucht Hardware. Triathlon Zeitautonomie und Geld. Wobei "teuer" immer ein Frage der Relation zwischen Anspruch und Haushaltseinkommen ist.

Laufen kann sich im Grunde jeder, jede leisten – die limitierenden Faktoren liegen eher bei der fehlenden Basisfitness. Oder körperliche Gebrechen verunmöglichen das Laufen. Ins kalte Wasser steigen könnten aber wirklich alle.

(Ich gehe da jetzt einmal von Menschen mit gesundem Kreislauf und keinen akuten Erkrankungen aus.)

(An der Alten Donau, 27.12.2022)

Foto: Tom Rottenberg

Genau genommen muss man fürs Eisschwimmen ja nicht einmal richtig schwimmen können.

Wobei: Ich halte Nicht-schwimmen-Können für grob fahrlässig. Schwimmen ist eine in den Grundzügen sehr einfach erlernbare, essenzielle Überlebenstechnik.

Egal. Denn bei jenem Eisschwimmen, das in den vergangenen Tagen donauauf- und lobauabwärts gefühlt "ständig" meinen Weg kreuzte, wäre "ins Eiswasser waten" meist auch zutreffend. Wobei das meine Hochachtung vor allen, die das tun, in keiner Weise schmälert.

Foto: Tom Rottenberg

Ich bin nämlich bekennender Warmduscher. Immer noch. Eisschwimmen steht aber auf meiner Bucketlist oben. Ganz oben – und das seit mehreren Jahren.

Genau deshalb fasse ich aber keine Neujahrsvorsätze: Denn dann müsste ich mich irgendwann dem Satz stellen, den ich selbst anderen ganz gern unter die Nase reibe. Am liebsten dann, wenn sie wortgewaltig erklären, warum sie zwar von Marathon, Ironman oder Großglockner träumen, aber nie mehr als den zweiten Staffelteil beim VCM (sechs Kilometer), den Beckenrand im "Krawa" oder die Gondel auf die Rax auch nur anvisieren: "Wer will, findet Wege – wer nicht will, hat Ausreden."

Foto: Tom Rottenberg

Das Blöde an meinem Nicht-Eisschwimmen: Mir gehen die Ausreden aus. Denn es wird immer schwieriger, mir selbst einzureden, dass das "zwingende Gründe" sind.

Denn wie niederschwellig und daher überall möglich es ist, einfach ins Wasser zu steigen, weiß ich natürlich. Und an Wochenenden wie dem vergangenen war es praktisch unmöglich, nicht permanent aufs eigene Weicheitum, auf das eigene Vorsätze-Hinausschieben, hingewiesen zu werden.

(Im Bild die Sonntagmittag-Eiswassertruppe um den Crossfit-Pionier Richard Staudner bei Atemübungen vor dem Gang ins Wasser vergangenen Sonntag)

Foto: Tom Rottenberg

Wenn wenigstens Winter wäre! Aber: keine Chance. Beim Vienna Winter Trail (hier im Bild) lief man kurz/kurz (also mit kurzen Hosen und R-Shirt) dort, wo vor wenigen Jahren noch Langlaufloipen gespurt wurden, und recht nahe an jener Wienerwaldanhöhe (dem Hameau) vorbei, auf dem einst diverse Skitourenvereine ihr Material gelagert hatten.

Dass das heute ungläubiges Kopfschütteln auslöst, verwundert kaum. Aber: Es gab auch eine Naturrodelbahn am Wilhelminenberg – und bis vor kurzem wurde im Prater-Depot des Stadtgartenamts noch eine städtische Pistenwalze betriebsbereit gehalten: Im einst angeblich typisch alljährlichen Wiener Blizzard hätte sich Nicht-Eisschwimmen noch knapp argumentieren lassen – aber ihm Lulu-Winter 2023?

Foto: TeamVegan.at

Wintersport in Österreich schaut heute in weiten Gebieten eben anders aus: Am Samstag meinte einer aus einem an mir vorbeifliegenden Rennrad-Pulk: "Früher war ich zu Weihnachten Ski fahren – aber das ist eben over." Ich hatte mich mit dem Unbekannten darüber unterhalten, dass wir selten so viele Rennräder auf dem Donauradweg gesehen hätten wie heute. Nein, nicht im Jänner: überhaupt.

"Beim Heimfahren hüpfen wir vielleicht noch ins Wasser", meinte später ein anderer Radfahrer, "die Rinne (also das Wasser im Entlastungsgerinne, Anm.) ist trotz Frühlings saukalt. Bist dabei?"

(Sonntagnachmittag am linken Donauufer knapp vor Tulln)

Foto: Tom Rottenberg

Autsch, das zwickte. Ja eh: Das Argument "Ich hab kein Handtuch, kein Wechselgewand und keinen Tee mit" ist bei fünf Grad Wassertemperatur zwar nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber wenn man dann – auf dem Heimweg (hier im Bild) – Radfahrer sieht, die tatsächlich gerade aus dem Wasser kommen, klingt das eben weniger nach Grund, denn nach Ausrede: Ich wohne ums Eck – wer oder was hindert mich … und so weiter.

Aber immerhin: Ich hatte "es" hiermit auf dem Plan. Für Sonntag. Fix. In den sozialen Medien stolperte ich von einer Eisschwimmgruppeneinladung zur nächsten – und klickte überall auf "nehme teil": So baut man Druck auf.

Foto: Tom Rottenberg

Freilich: "Wer nicht will, hat Ausreden." Bei mir hieß die dann "Longrun". Eigentlich hatte ich genau für den früh raus wollen. Eben um dann Zeit zum Schwimmen zu haben. Aber das Frühaufstehen war mir irgendwie misslungen. So trabte ich erst gegen Mittag auf der Donauinsel herum – und traf auf etliche Eisschwimmgruppen: zuerst zwei, eine davon richtig groß, laut ihrem Kopf für alle und jeden offen und gerade mit Aufwärmatemübungen beschäftigt, bei der U6.

Dann zwei junge Frauen, die erklärten, "sonst mehr, aber vor allem Freundinnen und Bekannte" anzusprechen, bei der Brigittenauer Bucht.

Foto: Tom Rottenberg

Dann diese drei Herren beim Copabeach. Und genau unter dem Kaisermühlensteg, gegenüber dem Partyschiff, und dann auch noch bei der Reichsbrücke Pärchen, von denen immer eine(r) an Land blieb: In der Lobau – beim "Elferl" – und im Donau-Altarm bei Greifenstein, wusste ich, wurde jetzt gerade ebenfalls eisgebadet oder sogar richtig wettkampfgeschwommen. Kurz: "Alle" taten es "überall".

Und bei den kurzen Plaudereien erzählten mir im Grunde alle Protagonist:innen ähnliche "You want – you can – you will"-Geschichten: "Es ist einfach: Du musst es nur tun."

Ja, so was tut weh: Der Einzige, der es nicht schaffte, auch nur den große Zeh ins Wasser zu halten, war und bin ich.

Foto: Tom Rottenberg

Vermutlich ist es genau das: Je länger man etwas vor sich herschiebt, desto höher und mächtiger wirkt der Wall, den es zu überwinden gilt.

Und irgendwann hat man sich ein Hügelchen dann zu einem veritablen Gebirgsstock großgeredet – den man ehrfürchtig und schockstarr angafft. Wie das Kaninchen die Schlange.

Und glatt vergisst, dass man "es" doch eh schon einmal getan hat. Damals, vor ein paar Jahren – unter Anleitung von Josef Köberl. Doch ganz – also auch mit dem Kopf – unter Wasser zu gehen, schaffte ich nicht. So ehrlich bin ich zu mir selbst: Einmal – und das nur halb – zählt nicht.

Darum: Nächsten Sonntag. Fix.

Foto: Tom Rottenberg

Epilog: Soeben rief ein Freund an. Er lieferte mir einen super Grund, es vielleicht doch zu lassen: "Eisschwimmen? Voll Mainstream. Das macht heute doch jeder!"

Er selbst natürlich nicht: Er ist genetisch auf "zu cool" determiniert. Dabei, das hat er vor Jahren einmal gestanden, steht Eisschwimmen auch auf seiner Liste.

Und noch etwas: Marathon.

Aber der gute Mann läuft nicht. Nie. "Viel zu angesagt. Ich warte, bis der Hype vorbei ist – und dann zeige ich es allen."

Ich fürchte, er glaubt sich das sogar.

Irgendwann kapiert er hoffentlich, dass es nie darum geht, anderen etwas zu beweisen – sondern ausschließlich sich selbst.

Und deshalb bin ich kommenden Sonntag im Wasser. (Tom Rottenberg, 10.1.2023)


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