Emmanuel Macron steht das wohl diffizilste Kapitel seiner Amtszeit bevor: die Pensionsreform.

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Es ist Emmanuel Macrons ältestes – und brisantestes – Wahlversprechen: die Reform des hochdefizitären Pensionssystems. Der französische Präsident hatte sie schon vor seiner ersten Wahl 2017 versprochen; die Gelbwesten- und die Covid-Krise vereitelten dann die Pläne. Macron musste schlussendlich froh sein, dass er einen Vorwand hatte, seine komplizierte und technokratische Reform in seine zweite Amtszeit zu vertagen: Denn er wäre mit dem Vorhaben zweifellos an die Wand gefahren.

Jetzt, neun Monate nach seiner wenig glorreichen Wiederwahl, nimmt der Präsident also den zweiten Anlauf: Am Dienstag hat seine Premierministerin Elisabeth Borne eine entschlackte Reform präsentiert, die im Februar vor das Parlament kommen soll. Kernpunkt ist die Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre. Um das schwierige Unterfangen durchzubringen, will Borne die Mindestpension auf 1200 Euro erhöhen; aufreibende Jobs sollen zusätzlich begünstigt werden. Das erinnert an die österreichische "Hacklerregelung".

Der Reformbedarf ist evident, Frankreichs Pensionskasse zunehmend defizitär; allein für die Pensionen öffentlich Bediensteter überweist der Staat jährlich 30 Milliarden Euro – was im öffentlichen Diskurs meist untergeht. Der internationale Vergleich führt vor Augen, woran das französische System krankt. In Frankreich geht man von Gesetzes wegen mit 62 oder noch früher – U-Bahn-Angestellte oder Polizisten etwa mit 52 – in Rente. Die europäischen Staaten sind heute meist bei 65 Jahren, mitunter bei 67 Jahren, wie in Italien.

15 Prozent der Einnahmen

Das wäre wohl auch für die Franzosen angebracht, sie leben von der Pensionierung bis zum Tod im Schnitt 23 Jahre – sechs Jahre mehr als im EU-Schnitt. Das geht ins Geld: Frankreich gibt heute 15 Prozent seiner Staatseinnahmen für die Pensionen aus – immer noch weit entfernt von Österreich, das mehr als ein Viertel der Budgeteinnahmen für die Pensionen aufwenden muss.

Macron wurde bei seiner Neujahrsansprache deutlich: "Wir müssen länger arbeiten. Sonst ist unser Umverteilungssystem, das wir auf Pump finanzieren, bald einmal bedroht." Bis 2030 soll die Reform rund 15 Milliarden Euro einspielen. Das ist nur die Hälfte des Fehlbetrages. Ein finanzielles Gleichgewicht erbrächte nur das Rentenalter 65, wovon Macron aber bisher absah.

Mit der Schwelle von 64 Jahren konnte der Präsident immerhin die konservativen Républicains für seine Reform gewinnen. Macrons Mitte-Partei Renaissance könnte damit mit Müh und Not eine Parlamentsmehrheit für die Reform zusammenbringen.

Harte Gegnerschaft

Alle anderen politischen Kräfte sind dagegen. Und zwar vehement. Der Grüne Yannick Jadot spricht Macron jede demokratische Legitimation für die Pensionsreform ab: "Der Präsident kann sich nicht mehr auf das Wahlresultat von April stützen", hält ihm ein Kollektiv um Jadot in der Zeitung Le Monde vor. 68 Prozent der Französinnen und Franzosen sind laut einer neuen Umfrage gegen die Macron-Reform.

Die gesamte Linke, aber auch die Rechts-außen-Gruppierung von Marine Le Pen plant eine harte Obstruktionspolitik gegen die Gesetzesvorlage, die am 6. Februar in die Nationalversammlung kommt. Geplant sind 75.000 Zusatzanträge – eine Zahl, die allein schon ausdrückt, wie entschlossen die Reformgegner sind.

Noch mehr Sorgen bereitet Macron der Umstand, dass die gemäßigte Gewerkschaft CFDT gegen das Pensionsalter 64 eintritt. Deren Chef Laurent Berger, der Macrons Reformen bisher oft mittrug, warnt: "Achtung, es gibt heute eine große soziale Spannung im Land, viele Probleme und Ängste und Grund für Konflikte." Philippe Martinez, Chef der radikaleren CGT, mit der die CFDT nun gemeinsame Sache macht, freut sich: "Erstmals seit zwölf Jahren gibt es wieder eine gewerkschaftliche Einheitsfront."

Was helfen Argumente?

Macron hat objektiv die besseren Argumente. Die Gewerkschaften setzen hingegen auf die Vollbeschäftigung und die Lohngleichheit von Mann und Frau – was zu hypothetisch ist, um als Defizitbremse zu funktionieren. Doch der Präsident hat es nie geschafft, sein Vorhaben der Nation plausibel zu machen. Frankreich hängt vielleicht auch zu sehr an seinem Savoir-vivre.

Außerdem sieht die Linke erstmals seit 2017 eine echte Chance, den liberalen Staatschef in die Knie zu zwingen. Denn eines ist sicher: An der wichtigsten Sozialreform Frankreichs in diesem Jahrhundert hängt auch Macrons Schicksal. (Stefan Brändle aus Paris, 10.1.2023)