Justyna Wydrzyńska (Mitte) und ihre Unterstützerinnen bei einem Verhandlungstermin im Oktober.

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Es ist der erste Prozess seiner Art, der am heutigen Mittwoch in Warschau wiederaufgenommen wird. Die polnische Staatsanwaltschaft fordert Haft für Justyna Wydrzyńska, weil sie vor fast drei Jahren – kurz vor der Corona-Pandemie – einer schwangeren Frau Abtreibungspillen zugesandt hat. Die Frau war in der zwölften Woche schwanger und wollte kein weiteres Kind von ihrem gewalttätigen Mann bekommen. Nach der Schilderung von Wydrzyńska wollte die Frau – die sie zum Schutz ihrer Identität nur Ania nennt – bereits nach Deutschland reisen, um die Schwangerschaft abbrechen zu lassen, doch ihr Mann hatte sie gestoppt.

Die Geschichte hatte sie berührt, war Wydrzyńska doch selbst in einer gewalttätigen Beziehung gewesen und hatte eine Schwangerschaft abgebrochen. Sie sandte der Frau eine ihrer Abtreibungspillen und schrieb – wie es die Vorschrift will – den Absender auf das Kuvert. Anias Mann hinderte Ania daran, die Pille zu nehmen, fand den Umschlag und erstattete Anzeige. Die Polizei durchsuchte 16 Monate später Wydrzyńskas Wohnung und fand weitere Pillen. Ihre eigenen, wie die Aktivistin angibt. Die Staatsanwaltschaft sah darin den Tatbestand des "Besitzes von nicht autorisierten Medikamenten mit dem Ziel, diese auf den Markt zu bringen", als erfüllt an.

Jahrelanger Aktivismus

Damit hat sie gegen eines der strengsten Abtreibungsverbote der Welt verstoßen, denn seit 2020 sind Schwangerschaftsabbrüche in Polen de facto verboten. Nicht dass sie zuvor wirklich legal waren, doch seit diesem Zeitpunkt müssen auch Föten mit schweren Fehlbildungen ausgetragen werden. Damit ist eine Abtreibung in Polen nur noch bei Lebensgefahr für die Frau oder nach Vergewaltigung und Inzest erlaubt. Wobei die letzten beide Fälle nicht immer einfach zu beweisen sind. Vor allem Geflüchtete aus der Ukraine, die von russischen Armeeangehörigen vergewaltigt wurden, sind betroffen.

Wydrzyńska setzt sich bereits seit Jahren für eine Liberalisierung von Abtreibungsrechten in Polen ein. Sie ist für hilfesuchende Frauen mehrere Stunden am Tag unter einer Notrufnummer erreichbar. Ist Wydrzyńska selbst nicht "im Dienst", übernimmt eine ihrer Kolleginnen von der Hilfsorganisation Abortion Dream Team die Anruferin. Je nachdem, in welcher Schwangerschaftswoche sich die Frau befindet, raten ihr die Helferinnen zu einer Tablette (vor der 12. Woche) oder verhelfen ihr zu einem medizinischen Eingriff im Ausland – etwa Österreich oder Deutschland. Laut Schätzungen von Hilfsorganisationen wurden mehr als 30.000 Frauen allein im Jahr 2021 ins Ausland vermittelt, um ihre Schwangerschaft abbrechen zu lassen.

Mindestens sechs Frauen sind seit der Verschärfung des Abtreibungsverbots in Polen gestorben, da ihre Schwangerschaften nicht abgebrochen wurden. Das zeigen Recherchen des EU-Parlaments vom November.

Urteil im Februar

Menschenrechtsorganisationen fürchten, dass der polnische Staat an Wydrzyńska nun ein Exempel statuieren möchte. Hunderte Menschen demonstrieren an Prozesstagen vor dem Gerichtsgebäude – von beiden Seiten des politischen Spektrums.

Amnesty International hat am Dienstag erneut die Staatsanwaltschaft aufgefordert, das Verfahren einzustellen. Es handle sich bei dem Prozess um einen "bewussten Versuch, ihren legitimen Aktivismus und das Recht von Frauen und allen Menschen, die schwanger werden können, auf Zugang zu sicheren Abtreibungen in Polen zu unterbinden". Nun wird erwartet, dass Ania und ihr Mann als Zeugen vor Gericht aussagen. Ein Urteil in dem Fall wird im Februar erwartet. (bbl, 11.1.2023)