Discokugel: Vom neuen Restaurant im Dachgeschoß aus kann die sich drehende Spiegelarbeit von Eva Schlegel betrachtet werden.
Foto: Heribert Corn

Im Gegensatz zur langfristigen Planung des Parlamentsumbaus wurde erst Ende 2020 unter Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) beschlossen, dass der historische Bau am Wiener Ring, der nun vom Architekturbüro Jabornegg & Pálffy umfassend saniert und erweitert wurde, mit zeitgenössischen Kunstwerken bestückt werden soll. Ein Unterfangen, das auch abgesehen vom teuer angemieteten Bösendorfer-Flügel im Vorfeld zu Kontroversen führte.

Zum einen, weil die Idee Sobotkas im ursprünglichen Konzept der Renovierung nicht vorgesehen war und somit zu Bedenken bei den Architekten führte, die manche ihrer Pläne eingeschränkt sahen. Und zum anderen, weil für das aufwendige Kunst-am-Bau-Projekt kein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben wurde – wozu es keine gesetzliche Verpflichtung gibt –, sondern Hans-Peter Wipplinger als Kurator beauftragt wurde. Der Direktor des Wiener Leopold-Museums weist Erfahrung im Umgang mit dem Gebäude vor, da er in der Vergangenheit bereits Ausstellungen im Nationalrat konzipiert hat. Zu Kritik führte die Tatsache, dass der Kunsthistoriker die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler ohne Ausschreibung, sondern mithilfe eines "geladenen Wettbewerbs" traf.

Dem Kunst-am-Bau-Projekt standen 1,8 Millionen Euro (etwa 0,4 Prozent der Gesamtkosten von 423 Millionen Euro) als Budget zur Verfügung, die installierten Kunstwerke wurden vom Parlament angekauft und sollen dort dauerhaft zu sehen sein. Obwohl der Deutsche Bundestag als Vorbild angeführt wird, wird in Wien hingegen keine eigene Kunstsammlung angelegt, wie es heißt. Ein weiterer Unterschied liegt im Auswahlverfahren der Kunstschaffenden: Während in Berlin darüber ein mehrköpfiger Kunstbeirat entscheidet, wählt beim österreichischen Pendant der Kurator aus.

In der Wandgestaltung von Esther Stocker purzeln schwarze Quadrate unterschiedlicher Dimensionen umher und evozieren metaphorisch die Demokratie.
Foto: APA / HANS KLAUS TECHT

Bezüge und Hürden

Die insgesamt zwölf von Wipplinger ausgewählten Positionen stammen allesamt aus Österreich und sind überwiegend etablierte Größen im Kunstbetrieb, darunter auch bereits Verstorbene wie Brigitte Kowanz und Heimrad Bäcker. Jeweils zwei bis vier Werkvorschläge wurden eingebracht, die sich auf ganz spezifische Orte im Parlamentsgebäude bezogen. Der Kurator suchte dann jeweils eine oder zwei Arbeiten aus. Inhaltlich nehmen alle Bezug auf die Geschichte des Hauses, dessen Architektur oder die Demokratie an sich. Die konzeptionellen Werke fügen, sickern oder bohren sich mit unterschiedlicher Intensität in die Substanz des Hauses.

Es wird von vielen Hürden berichtet, in einem solchen Haus Kunstprojekte zu verwirklichen. Neben der Einhaltung von Denkmal- und Brandschutz musste auch auf die Funktionalität der Räume geachtet werden. So fiel eine zwanzig mal zwanzig Meter große Textilarbeit von Peter Kogler mehrmals durch: keine Brandschutztauglichkeit. Eine überarbeitete Version des Flechtwerkvorhangs wird nun aus Glasfasern hergestellt und nachträglich in einem der vier neuen Stiegenaufgänge angebracht. Die für den Außenraum geplanten je 13 Meter hohen Skulpturen von Erwin Wurm und Joannis Avramidis wurden hingegen nicht genehmigt, eventuell folgt eine kleine Version von Wurm im Innenraum, so Wipplinger.

Riesige Spiegelkreise von Eva Schlegel fädeln sich auf einem dicken Drahtseil vom Boden bis zur Decke und reflektieren die Prachttreppenhäuser aus diversen Perspektiven.
Foto: Parlamentsdirektion / Thomas Topf

Härte trifft Opulenz

Zwei der Treppenhäuser werden zum einen mit einer Installation aus bunten Metallstäben von Martina Steckholzer, die sich von einer Wand zur anderen spannen und in ihrer Farbigkeit Theophil Hansen zitieren, und zum anderen mit einer Wandgestaltung von Esther Stocker bespielt, auf der schwarze Quadrate unterschiedlicher Dimensionen umherpurzeln und metaphorisch die Demokratie evozieren. Beide Arbeiten schmiegen sich an die modernen Zubauten an, ohne historische Details zu stören. Allerdings pudeln sie sich auch nicht sonderlich auf, leicht könnten sie als Dekoration missverstanden werden.

Eine sehr deutliche Sprache finden hingegen zwei starke Arbeiten, die sich passenderweise beide öffentlich zugänglich im neuen Besucherzentrum befinden. Zum einen fädeln sich da riesige Spiegelkreise von Eva Schlegel auf einem dicken Drahtseil vom Boden bis zur Decke und reflektieren die Prachttreppenhäuser aus diversen Perspektiven. Zwar brechen die harten Materialien mit der üppigen Architektur, erweitern diese aber durch die sich je nach Standpunkt wandelnden Vervielfachungen. Vom neuen Restaurant im Dachgeschoß aus kann dann quasi die Kulmination ihres Beitrags als drehende Spiegelarbeit betrachtet werden. Wie eine fragmentierte Discokugel gibt sie den Ton an.

Im neuen Café erinnern acht Fotografien von Lea Sonderegger an die Zeit vor der Sanierung – Baustelle und Baujuwel treten miteinander in Dialog.
Foto: Parlamentsdirektion / Thomas Topf

Visitenkarte Ü50

Zum anderen erinnern im neuen Café acht Fotografien von Lea Sonderegger an die Zeit vor der Sanierung – Baustelle und Baujuwel treten miteinander in Dialog. 2017 hielt die frische Absolventin der Universität für angewandte Kunst Wien mit scharfem Auge und intimem Raumgespür erste Veränderungen vor dem Umbau im leeren Parlament fest: Dämmmaterial quillt aus Türöffnungen, zusammengeschobene Möbel harren ihres Transports.

Zu Irritationen führt, dass bei dem Projekt Sonderegger (Jahrgang 1995) die einzige Künstlerin unter 47 Jahren ist. Zwar sind mit Martina Steckholzer, Constantin Luser und Peter Sandbichler (spannender Holzfries!) auch interessante Mid-Career-Positionen dabei, der Großteil ist aber über 60 Jahre alt. Wipplinger argumentiert, dass er verstärkt etablierte Künstler und Künstlerinnen mit Erfahrung mit Kunst-am-Bau-Projekten oder im öffentlichen Raum anfragte. Speziell bei einem geladenen Wettbewerb hätte aber mehr Wert auf eine Durchmischung der Generationen gelegt werden können. Immerhin soll mit der Auswahl eine Visitenkarte zeitgenössischer Kunst aus Österreich präsentiert werden.

In Sobotkas Vorzimmer: Großformatige, in effektvollen Blautönen gehaltene Gemälde von Heimo Zobernig wurden bewusst asymmetrisch an den Marmorwänden angebracht.
Foto: APA / EVA MANHART

Zu den prominenten Aushängeschildern zählt auch Heimo Zobernig, dessen Bebilderung im Empfangssalon des Nationalratspräsidenten, auch Blauer Salon genannt, im Vergleich zu den restlichen, sich an die Umgebung anpassenden Arbeiten eindeutig zu prominent geraten ist: Großformatige, in effektvollen Blautönen gehaltene Gemälde wurden bewusst asymmetrisch an den Marmorwänden angebracht. Dass genau diese unglückliche Bespielung im Vorzimmer von Sobotkas Büro stattfindet – in dem sich auch der umstrittene Bösendorfer-Flügel befindet – kann allerdings als Wink des Schicksals gedeutet werden. (Katharina Rustler, 11.1.2023)