Christina Stein, grauer Hosenanzug und hellblaue Latexhandschuhe, wirft ein AK47-Sturmgewehr über ihre Schulter, als wäre es etwas Selbstverständliches. Dann schreitet die DNA-Expertin mit klappernden Schuhen quer durch den Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Straflandesgericht, tut sich aber schwer, mit dem Mikrofon in der Hand auch noch auf die einzelnen Teile der Waffe zu zeigen und sie den Geschworenen zu erklären. Glücklicherweise meldet sich einer davon freiwillig und hält plötzlich die Waffe von seinem Sitzplatz aus hoch. Und Stein beginnt in aller Ruhe damit, sie Teil für Teil zu erläutern.

Das Sturmgewehr gehörte dem Jihadisten K. F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen töten und etliche weitere verletzen sollte – ehe er selbst von der Exekutive erschossen wurde. Stein führt den Geschworenen am Mittwochvormittag nach und nach alle Waffen vor, die K. F. bei sich trug. Dazu gehörten auch eine Pistole der Marke Tokarew und eine Machete. Die Munition des Attentäters präsentiert Stein in Plastikbeuteln und sagt Sätze wie: "Patronen nehmen recht gerne DNA an."

Stein kommt eine wesentliche Aufgabe im laufenden Wiener Terrorprozess zu. Ihre Analysen sollen darüber Aufschluss geben, ob sich DNA-Spuren der sechs Hauptangeklagten auf den Waffen oder sonstigen Gegenständen des Attentäters befinden, wodurch sich in weiterer Folge Rückschlüsse auf eine mögliche Tatbeteiligung der Verdächtigen ziehen lassen. Und in den engeren Kreis gelangen schließlich drei davon.

Anfang Februar sollen im Wiener Terrorprozess die Urteile gesprochen werden.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ismail B. (22), ein Freund des Attentäters, hinterließ unter anderem Spuren auf einem Taschenmesser, das in der Umhängetasche des Terroristen gefunden wurde. Ebenso auf drei Schlüsseln eines Schlüsselbunds. B. war eine der letzten Personen, die K. F. kurz vor seinem Anschlag noch lebend gesehen hatte.

Der 32-jährige Tschetschene, der K. F. unter anderem das Sturmgewehr vermittelt hatte, hinterließ DNA-Spuren auf den Patronen. Sowohl auf jenen des Sturmgewehrs, die am Tatort sichergestellt wurden, als auch auf "zumindest einer" im Magazin der Pistole.

Besonders im Fokus stand aber Heydayatollah Z. Der afghanischstämmige 28-Jährige, der zwischenzeitlich in der Wohnung des Attentäters gelebt hatte, hinterließ nämlich gleich zahlreiche DNA-Spuren: an einem Stück des aus Klebeband gefertigten Gurts für das Sturmgewehr, an der Schulterstütze, im Magazin der Pistole Tokarew und an der Machete. Aber auch an der Wollhaube, die K. F. getragen hatte, dessen Siegelring, an zum Anschlagsort mitgeführten Kabelbindern und auf den Patronen sei DNA von Z. vorhanden gewesen.

Z., von dessen verwandtschaftlichen Umfeld in den Akten mehrere Personen als Teil eines radikalislamistischer Clans beschrieben werden, argumentiert seit jeher, dass die Spuren durch Sekundärübertragung in der Wohnung des Attentäters entstanden sein könnten.

Dem widerspricht allerdings Steins Gutachten in relevanten Punkten. Nämlich hinsichtlich der DNA-Spuren beispielsweise auf dem Sturmgewehr, der Pistole und den Patronen. Da wird laut Anklage jeweils von einem direkten Kontakt ausgegangen. Außerdem hält die Sachverständige in ihrer Analyse fest, dass männliche Familienmitglieder Z.s als "Spurenverursacher" auszuschließen seien.

Verteidiger zieht Privatsachverständigen zu

Kurz vor Ende des heutigen Prozesstages stellte der Verteidiger des Angeklagten einen Beweisantrag auf Einvernahme des Privatsachverständigen Cornelius Courts, Professor am Institut für Rechtswissenschaften der Universität Köln, da sich die Beweislage bei seinem Mandanten zu "80 oder 90 Prozent" auf dieses Gutachten stütze.

Courts zufolge wurden in der Erstellung des Gutachtens nicht die geltenden Maßstäbe eingehalten. Er habe im Auftrag der Verteidigung ein eigenes Gutachten erstellt, durfte sich zu dessen Inhalt aber nicht äußern, da er nicht der nicht der gerichtlich beauftragte Gutachter ist. Er stieß sich vor allem an Formulierungen in dem Gutachten von Christina Stein wie "ist als ... zu werten" oder "spricht für". Wissenschafter dürften sich bei dieser Art von Gutachten grundsätzlich nicht dazu äußern, welche Art des Transfers die wahrscheinlichste sei. Die aus dem Gutachten gezogenen Schlüsse seien aufgrund dieser fehlenden Standards nicht als Beweis gültig, meinte der Verteidiger.

Stein fand auf dem Sturmgewehr aber noch eine weitere brisante Spur, die einer weiblichen Person. Mittlerweile ist klar, dass es sich dabei um die Tochter eines abgesondert verfolgten Verdächtigen handelt: nämlich Marsel O. Der 30-jährige Slowene soll der mutmaßliche Waffenhändler sein – zumindest belastete ihn der Angeklagte Adam M. dahingehend. Da die Staatsanwaltschaft O. nicht nachweisen konnte, dass dieser gewusst habe, was der spätere Attentäter plante, sei er nicht angeklagt worden. (Jan Michael Marchart, APA, 11.1.2023)