Karl Pfeifer ist im 95. Lebensjahr gestorben.

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Wen Karl Pfeifer etwas besser kannte, mit dem fuhr er nach Baden bei Wien. Dort, in der mondänen Kurstadt, war der Wiener Journalist gern im Sommer. Dann spazierte er hinüber ins Weindorf Sooß, um beim Heurigen einzukehren. Bei Wein, Pastete und Schinken erzählte er dann aus seinem außergewöhnlichen Leben: Es zwang ihn aus der österreichischen Provinz hinaus in die Welt und in die Weltgeschichte.

In Baden war Pfeifer 1928 geboren worden als Kind ungarischstämmiger Eltern. Früh musste das Kind erfahren, was es damals hieß, Jude in Österreich zu sein. Während des Austrofaschismus mobbten ihn Mitschüler, nannten ihn "Gottesmörder" und Schlimmeres. Nachdem im März 1938 Adolf Hitler seine Geburtsheimat Österreich an Deutschland anschloss, lauerten Jungnazis dem jungen Pfeifer auf. Am hellichten Tag erwürgten sie den Zehnjährigen fast – eine couragierte Nachbarin rettete dem Jungen das Leben.

Die Familie floh darauf nach Ungarn, der Bub hörte Geschichten von Mordfabriken. 1943 reiste er ohne Eltern nach Palästina, dort war schon sein erwachsener Bruder Erwin. Ein Großteil seiner Familie wurde in der Shoah ermordet.

Palästina und Libyen

In Palästina wohnte der Jugendliche zunächst in einem Kibbuz, wo man von einem freien Staat träumte, in dem Juden, Muslime und Christen friedlich zusammenleben. Doch die Spannungen mit den Arabern nahmen zu. Pfeifer schloss sich der jüdischen Eliteeinheit Palmach an, fuhr im Lastwagen über Minen, feuerte aus Mörsern, beerdigte Kameraden. Nach dem Unabhängigkeitskrieg heuerte Pfeifer bei einer Reederei an, kellnerte auf Schiffen, geriet so unter anderem nach Libyen, wo dort verfolgte Juden an Bord gingen.

Pfeifer reiste 1951 nach Paris zu seinem Freund. Dort verprügelte ihn die Polizei als illegalen Migranten, bevor sie ihn zur österreichischen Vertretung karrte. "Sie werden denken, ich sei ein Antisemit", sagte ihm dort ein Diplomat. "Doch eben weil ich es nicht bin, rate ich ihnen, nicht nach Österreich zurückzukehren."

Pfeifer tat es doch. Als Habenichts wohnte er im von den Hauptsiegermächten aufgeteilten Wien zunächst im Asyl in der Meldemannstraße – dort, wo 40 Jahre zuvor ein Postkartenmaler aus Braunau seinen Menschenhass entwickelte. Auf amüsante, aber damals nicht ungefährliche Weise entzog sich Pfeifer in dieser Zeit dem Locken der Kommunisten. Bei einem Gespräch erklärte er einem Kader, dass er Atheist sei, und verwies auf die Bilder von Stalin: "Ist der für euch unfehlbar wie der Papst für die Katholiken? Oder ist er auch nur ein Mensch, der Fehler begehen kann?"

Reiseberichte, Analysen und Interviews

Pfeifer besuchte die Hotelfachschule in Bad Gastein, arbeitete später in Hotels in Liechtenstein, Neuseeland und Wien. Aber das Politische ließ ihn nicht los. 1974 gründete er die eine Gruppe von Amnesty International mit, er arbeitete dem Nazijäger Simon Wiesenthal zu. 1979 war er arbeitslos – und versuchte es mit Journalismus. Fortan schrieb er als freier Autor, oft über Ungarn, das er immer wieder bereiste. Pfeifers Texte aus vier Jahrzehnten belegen den schwelenden Judenhass in Ungarn, den er sowohl im Kommunismus dokumentierte, als auch in früheren Phasen von Viktor Orbáns Fidesz.

Pfeifers Reiseberichte, Analysen und Interviews erschienen in sehr unterschiedlichen Medien: in der "Arbeiterzeitung" und im STANDARD und in der "Jüdischen Allgemeinen", aber auch in der "Presse", im "Falter" und in der "Jungle World". Noch im Dezember 2022 lieferte er der "Furche" einen Text. Einen Journalisten wie Karl Pfeifer gab es kein zweites Mal.

Pfeifer arbeitete auch mehr als ein Jahrzehnt bei der "Gemeinde", dem Organ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. 1995 deckte er auf, dass ein Historiker in einer FPÖ-Publikation antisemitische Töne anschlug – die anschließenden Rechtsstreitigkeiten zogen sich, doch Pfeifer gewann sie.

Um die Jahrtausendwende arbeitete Pfeifer auch für das israelische Radio. In dieser Funktion konfrontierte er im Jahr 2000 den damaligen FPÖ-Anführer Jörg Haider vor laufenden Kameras mit den rechtsextremen Verstrickungen der Blauen – so etwas wagten Journalisten damals kaum.

Feines Sensorium

Bis zuletzt reiste Pfeifer durch Österreich und Deutschland, sprach vor Schülerinnen und Schülern, warb für die liberale Demokratie und ein tolerantes Miteinander, mahnte vor Hass und Ausgrenzung. Karl Pfeifer hatte ein feines Sensorium für Antisemitismus, er entschlüsselte die Zwischentöne und Stereotype. Gleichzeitig sah der Menschenfreund mit Sorge die Lage derjenigen, die diskriminiert werden, weil sie Sinti und Roma sind oder einen muslimischen Hintergrund haben.

Spät ehrte die Republik ihren couragierten Bürger. 2018 erhielt Karl Pfeifer das goldene Ehrenzeichen, 2021 bekam er aus der Hand von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka den ersten Simon-Wiesenthal-Preis.

Weder in Israel noch in Österreich wurde Pfeifer Mitglied einer Partei, einmal sagte er, er sei ein "sozial fühlender Konservativer". 2016 unterstützte er bei der Präsidentschaftswahl Alexander Van der Bellen.

Seine große Liebe fand Pfeifer spät. Wenn sie nicht anwesend war, schwärmte er von seiner Frau. Gemeinsam kümmerten sich die beiden um die Kinder einer alleinerziehenden Nachbarin, für die Buben waren "Papo" und "Ima" wie Großeltern. Am vergangenen Sonntag beerdigten die Kinder ihren "Papo" in dessen Geburtsstadt Baden bei Wien. (Oliver Das Gupta, 11.1.2023)