Das Dorf Lützerath ist zum Symbol für den Kampf gegen die Braunkohle geworden. In selbstgebauten Behausungen harrten die Aktivistinnen und Aktivisten aus, um die Räumung hinauszuzögern.

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"Verteilt euch um das Dorf!" Mit diesem Ruf eines Polizisten an seine Kolleginnen und Kollegen hat am Mittwochmorgen, kurz nach 8.30 Uhr, die Räumung des Ortes Lützerath in Nordrhein-Westfalen begonnen.

VIDEO: Szenen der Räumung des Dorfes Lützerath – Zusammenstöße zwischen Polizei und Klimaaktivisten.
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Wenig später hagelte es bereits Flaschen und Steine aus dem Dorf heraus auf die Einsatzkräfte. Auch Pyrotechnik wurde gezündet. Doch die Polizei ließ sich nicht aufhalten, sie teilte den Ort, der zum Symbol für den Kampf ums Klima geworden ist, in verschiedene Sektoren ein.

Einige, die Widerstand leisteten, schienen überrascht. Denn die Polizei umging die Barrikade am Ortseingang und stieß stattdessen von mehreren Seiten ins Dorf vor.

Seit Wochen wurde dieser Tag X erwartet. Bewohnerinnen und Bewohner gab es in Lützerath schon lange keine mehr, sie sind weggezogen. Doch Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen hatten sich in den wenigen leeren Gehöften verschanzt – bereit, diese bis zur letzten Möglichkeit zu verteidigen.

"Lützi" soll bleiben

"Lützi bleibt", lautet ihr Schlachtruf, der vor allem dem Energieriesen RWE, aber auch der Politik missfällt. Denn diese haben im Oktober einen Deal ausgehandelt: Im rheinischen Kohlerevier wird der Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle von 2038 auf 2030 vorgezogen, zudem fallen fünf Dörfer nicht mehr den großen Schaufelbaggern zum Opfer. Aber Lützerath muss noch weichen. Mitgewirkt an diesem Kompromiss haben in Bund und Land die Grünen.

In den Baumkronen verharrten die Aktivisten und Aktivistinnen.
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Die Polizei setzte am Mittwoch in Lützerath gegenüber den Aktivistinnen und Aktivisten zunächst auf direkte Ansprache. "Entweder wir holen euch hier raus, oder ihr geht selbst. Der Unterschied ist, dass ihr hingehen könnt, wohin ihr wollt, wenn ihr freiwillig geht. Sonst übernehmen wir das. Eure Entscheidung", sagte ein Höhenretter der Polizei zu jenen, die sich auf einer Barrikade befanden.

Doch die Ansprache erfolgte auch per Twitter. Dort warnte die Polizei Aachen, die für den Einsatz verantwortlich ist, die Aktivisten: "Unterlassen Sie sofort das Werfen von Molotowcocktails. Verhalten Sie sich friedlich und gewaltfrei!"

Das Verhalten der Demonstrantinnen und Demonstranten war durchaus unterschiedlich. Viele standen der Polizei direkt gegenüber, andere spielten etwas weiter abseits ganz entspannt Musik.

"Verpisst euch" an Polizei

"Verpisst euch" und "Ganz Lützi hasst die Polizei" war immer wieder zu hören, während Steine flogen. Andere ließen sich widerstandslos abführen oder wegtragen. Von einem Tripod wurden einzeln Aktivistinnen und Aktivisten von den Polizeikräften entfernt. "Du bist nicht allein. Du bist nicht allein", sangen die Demonstranten. Die Räumung des Tripods war für die Polizei wichtig, um die Zufahrtsstraße ins Dorf freizubekommen.

Die Demonstranten wurden von der Polizei weggetragen.
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Noch während der Räumung begannen Arbeiter von RWE, den Braunkohleort einzuzäunen. Der Zaun, wenn er denn fertig steht, soll 1,5 Kilometer lang sein. "Er markiert das betriebseigene Baustellengelände", teilte der Konzern mit. Auch die ersten Bagger fuhren am Mittwoch schon auf.

Am Nachmittag zeigte sich die Polizei mit dem Einsatz zufrieden. "Nach einem sicherlich durchmischten Beginn heute Morgen, wo wir ja auch teilweise Steinwürfe und Molotowcocktail-Bewürfe gesehen haben, würde ich sagen: Die Lage hat sich deutlich beruhigt. Wir begrüßen vor allen Dingen auch ausdrücklich, dass sich doch eine Vielzahl von Aktivisten dazu entschlossen haben, den Bereich hier friedlich und ohne Gegenwehr zu verlassen", sagte ein Sprecher.

Regierung verurteilt Gewalt

Kritisiert wurde der gewaltsame Widerstand von der deutschen Bundesregierung. "Es gab heute Widerstand und auch Ausschreitungen bei der noch laufenden Räumung des Dorfes. Diese Gewalt verurteilt die Bundesregierung ausdrücklich", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Dafür haben wir kein Verständnis." Protest dürfe sich nur "friedlich und im Rahmen unserer Gesetze bewegen". Er betonte auch, dass es zur Räumung des Dorfes eine "eindeutige Rechtslage" gebe. Hebestreit: "Und die gilt es zu akzeptieren."

Auf Tripoden haben sich die Aktivisten festgesetzt.
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Auch der grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck rief zum Gewaltverzicht auf und sagte in Richtung der Aktivisten: "Die leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol." Ungeachtet der Räumung will die schwedische Aktivistin Greta Thunberg am Samstag nach Lützerath kommen. (Birgit Baumann, Christian Schwerdtfeger aus Lützerath, 12.1.2023)