Die Räumung in Lützerath geht weiter.

Foto: APA/AFP/INA FASSBENDER

Wien – Am zweiten Tag der Räumung von Lützerath hat sich die Polizei Zugang zum größten Hof des deutschen Braunkohleorts verschafft und zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten herausgeholt. An anderer Stelle gingen Baumfäll- und Abrissarbeiten des Energiekonzerns RWE weiter. Diesem gehört die Ortschaft, und er will die Gebäude entfernen, um an das unter Lützerath befindliche Kohlevorkommen zu kommen. Das wollen Aktivisten aus Angst vor schwerwiegenden Folgen für das Klima verhindern.

Klimaaktivisten brachten ein Transparent am Gehöft an: "1,5 °C heißt: Lützerath bleibt!"
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Auf der politischen Bühne stellt die Räumung von Lützerath die deutschen Grünen weiter vor eine Zerreißprobe. Zugleich wurde die Parteizentrale der nordrhein-westfälischen Grünen am Donnerstag zum zweiten Mal in dieser Woche Zielscheibe von Klimaschützern. Aus Protest gegen die Haltung der Partei zur Räumung von Lützerath besetzten rund 30 Aktivisten mehrerer Klimaschutzorganisationen das Düsseldorfer Büro der NRW-Grünen. Ein Parteisprecher bestätigte das.

Demonstranten von Polizei eingekreist

Um ihre Kritik an der Lützerath-Räumung zum Ausdruck zu bringen, fanden sich in etwa vier Kilometern Entfernung zum Braunkohleort nach Polizeiangaben rund 800 Menschen ein. Der Demonstrationszug startete in Keyenberg, einem anderen Ortsteil von Erkelenz, und ging dann in Richtung Lützerath. Unter den Demonstranten ist auch die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer. Sie warf der Polizei ein unverhältnismäßiges Vorgehen vor. Dass die Polizei die Räumung am Mittwoch bei Dunkelheit und bis in die Nacht hinein fortgesetzt habe, sei gefährlich und unverständlich, monierte sie.

DER STANDARD

Bis nach Lützerath kamen die Demonstranten allerdings nicht. Auf einem Zufahrtsweg in den Braunkohleort wurde eine Gruppe von ihnen eingekreist, darunter Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser. Die Demonstranten, die sitzend den Weg blockierten, wurden von Polizisten umstellt. "Wir wollen hier sitzenbleiben, bis wir weggetragen werden", sagte Neubauer der Deutschen Presse-Agentur.

Ein Polizeisprecher sagte, die Demoteilnehmer seien auf dem Weg zur Tagebauabbruchkante gewesen. Dies sei gefährlich und habe durch die Polizei verhindert werden müssen. Nach Neubauers Angaben hatte die Polizei vereinzelt auch Pfefferspray gegen Aktivisten eingesetzt. Dazu sagte der Polizeisprecher, er könne dies weder bestätigen noch ausschließen.

Greta Thunberg will anreisen

Die Ortschaft wird inzwischen von einem eineinhalb Kilometer langen Doppelzaun umgeben, den RWE in Windeseile hatte aufbauen lassen. Damit sollte das Betriebsgelände markiert werden, zu dem Unbefugte keinen Zutritt hätten, sagte ein Konzernsprecher. Zwei Bagger begannen am Donnerstag damit, eine frühere landwirtschaftliche Halle zu zerstören.

Die Polizei hatte am Mittwoch damit begonnen, die besetzte Ortschaft zu räumen. Die Räumung soll die Grundlage dafür schaffen, dass der Energiekonzern RWE die unter dem Ort liegende Braunkohle für die Stromerzeugung abbauen kann.

Klimaschützer protestieren in diesen Tagen in zahlreichen deutschen Städten gegen die Räumung. Nach Angaben der Klimaschutzbewegung Fridays for Future war am Donnerstag unter anderem ein Protest in München geplant, am Freitag in Hamburg. Am Samstag sollen demnach Menschen aus über 50 Orten gemeinsam nach Lützerath reisen.

Demnächst will auch die führende Klimaaktivistin Greta Thunberg in den deutschen Braunkohleort reisen. Die junge Schwedin wird nach dpa-Informationen am Samstag (ab Mittag) an einer Demonstration gegen die Räumung der von Klimaaktivisten besetzten Ortschaft teilnehmen. Thunberg war bereits im September 2021 nach Lützerath gereist, um gegen den Kohleabbau und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren – einen Tag vor der damaligen Bundestagswahl.

Habeck: "Der Ort ist das falsche Symbol"

Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach verteidigte das Vorgehen der Polizei. Die Strategie habe Früchte getragen, und es sei gelungen, durch Kommunikation über 200 Demonstranten dazu zu bewegen, das Gelände freiwillig zu verlassen, sagte Weinspach am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". Einige Situationen bei der Räumung habe man dadurch entschärfen können, dass man miteinander rede. Es sei immer gut, auf das Wort als erstes Einsatzmittel zu setzen. "Das werden wir auch weiterhin tun", sagte Weinspach. Zugleich sprach der Polizeipräsident von Gewalt seitens der Aktivisten am Mittwoch, die aber nicht bestimmend gewesen sei. Die gewaltbereite Szene sei in der Minderheit.

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich indes betroffen, dass die Klimabewegung die Grünen wegen der Räumung von Lützerath kritisiere. "Das fasst mich auch an oder treibt mich um, so wie alle in meiner Partei", sagte Habeck am Mittwochabend im "Heute-Journal" des ZDF.

"Aber trotzdem müssen wir das erklären, was richtig ist. Und richtig war – leider –, die Gasmangellage, eine Energienotlage in Deutschland abzuwehren, auch mit zusätzlicher Verstromung von Braunkohle – und hintenraus den Kohleausstieg vorzuziehen." Lützerath sei nicht "das Weiter-so der Energiepolitik der Vergangenheit: Verstromung von Braunkohle", betonte Habeck. "Es ist nicht, wie behauptet wird, das ewige Weiter-so, es ist der Schlussstrich darunter." Leider habe man Lützerath nicht mehr retten können – "aber es ist das Ende der Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen". "Insofern – mit großem Respekt vor der Klimabewegung – ist meiner Ansicht nach der Ort das falsche Symbol." (APA, red, 12.1.2023)