Im Grunde, sagt Petra Bergauer, sei die Sache relativ einfach: "Wenn der Hund nicht will, rennt er nicht. Und wenn er nicht rennen will, macht ihn keine Macht der Welt zu einem Zughund." Allerdings, seufzt und schmunzelt die Frau aus Steyr gleichzeitig, nutze dieses Wissen nichts, wenn man mit einem Hund, der nicht nur gern, sondern auch noch schnell renne, unterwegs sei und ein gutmeinender, aber ahnungsloser Passant glaube, eine mutmaßlich gequälte Kreatur vor ihrem Peiniger retten zu müssen: "Canicross" kennt in Österreich kaum jemand. Und wenn doch, dann nicht in jener Form, in der Petra Bergauer "Zughundesport" ausübt – und lebt.

Denn die 54-jährige Oberösterreicherin hat in diesem Sport, den kleine Kinder mit "Schlittenhundfahren mit ohne Schlitten" recht zutreffend beschreiben, viel von dem gewonnen, was man gewinnen kann. 2018 wurde die heute 53-Jährige mit ihrer Hündin Crazy, einer Europäischen Schlittenhündin, Weltmeisterin. Als heuer internationale Bewerbe wieder möglich waren, wurde sie im Mai in Plédran (Bretagne) Vizeweltmeisterin. Diesmal mit der dreieinhalbjährigen Calido’s Socke, ebenfalls einem Europäischen Schlittenhund. Und im Herbst wurde das "Team Bergauer" auf der Glücksburg Heide in Sachsen-Anhalt EM-Dritter.

"Team" ist Bergauer wichtig: "Canicross ist ein Teamsport: Das macht es aus." Doch obwohl die Landesbedienstete in der Welt des Hund-und-Mensch-Rennens eine internationale Größe ist, ist sie außerhalb dieser Szene unbekannt. Daran ändert auch nichts, dass Regionalmedien Canicross im Bezirk Steyr zum "neuen Trendsport" zu schreiben versuchen – und das ohne nennenswerten Erfolg: Egal ob Canicrosser oder -crosserinnen laufen oder sich beim Bike-, Scooter- oder Skikjöring hinter sie hängen: Irgendwann will immer wer ein Tier retten, das Rettung weder braucht noch will, betont Christian Herrmann. So wie Bergauer ist auch er mehrfacher WM- und EM-Starter. Der 44-jährige Niederösterreicher hält aber auch regelmäßig Zughunde-Schnupperkurse ab – und weiß eines genau: "Manche Hunde wollen nicht. Das muss man akzeptieren – und das ist gut so."

Beine hoch

Das "Zug" in "Zughundesport" kommt nicht von ungefähr. 30 motivierte und durchtrainierte Kilo Hund entwickeln rasch einmal 150 Kilo Zugkraft. Das ist ein gewaltiger Boost. Wie der Spinnaker beim Segeln. Oder der auf "Turbo" zugeschaltete Motor eines E-Bikes. Oder der Ruck eines alten Schleppliftes. Ins Laufen übersetzt: Wenn der Hund mit voller Kraft zieht, ist der Mensch am anderen Ende der Leine um eine, manchmal sogar zwei Minuten schneller als allein. Überzeichnet ausgedrückt: "Man muss dann nur noch die Beine heben. Das aber ziemlich schnell."

Der Mann, der das sagt, ist Österreichs "Mr. Canicross": im Hauptberuf Krankenpfleger, vor mittlerweile elf Jahren zwar nicht auf den Hund, aber auf das Laufen mit demselben gekommen. Weil Laufen mit "normaler" Leine auf Dauer unpraktisch ist, begann der 47-jährige Markus Gerstl im Netz zu stöbern – und entdeckte eine hierzulande damals so gut wie unbekannte Welt. Sie liefen hinter Hunden her, die im Galopp über Distanzen zwischen vier und sieben Kilometer dahinflogen, trugen Hüftgeschirre, an denen Leinen mit spezieller "Zugdämpfung" – und um Rücken und Nacken der Tiere zu schützen, trugen auch die Hunde maßgeschneiderte Brustgeschirre: Canicross eben.

"Mr. Canicross" Markus Gerstl (links), im Hauptberuf Krankenpfleger, läuft seit elf Jahren mit Hund.
Foto: Isabelle Grubert

Lernen muss es der Mensch

Ein paar "Spinner" gab es auch in Österreich damals schon – und als einer von ihnen im Burgenland zum Schnuppertraining lud, war Gerstl dabei: "Der Hund konnte es eh, lernen musste der Mann." Vor allem, damit umzugehen, wie es sich anfühlt, wenn ein sportlicher Hund lossprintet – und man die Leine nicht in der Hand, sondern am Hüftgurt hat. Aber auch, wie grandios das Team Hund/Mensch zusammenarbeiten kann und wie viel Spaß das gemeinsame Laufen beiden machen kann. Im – langsamen, dafür längeren – Training ebenso wie bei den Wettkämpfen. Die, das nur nebenbei, meist bei niedrigen Temperaturen stattfinden: Hunde überhitzen sonst leicht.

Gerstl gründete die "Speedrunners", einen der wenigen, aber umso aktiveren Canicross-Vereine in Österreich, und widmet sich nun der Missionsarbeit. Dazu gehört neben der frohen Botschaft über die Vorzüge von Sport mit Hund auch die Botschaft, dass dieses Laufen für die menschliche Rumpf-, Rücken- und Stützmuskulatur einiges an Arbeit – und damit Trainingsbedarf – bedeutet. Außerdem konterkariert es auch ein zentrales Element der klassischen Hundeerziehung: die bedingungslose Unterordnung. Weil ein gut erzogener Hund im Alltag ja nicht zieht, sondern bei Fuß geht. Oder zumindest so etwas Ähnliches.

Feinfühlige Tiere

Beim Canicross aber soll und muss das Tier auf Kommando genau das Gegenteil tun: ziehen, was das Zeug hält. "Ja", sagt Gerstl, "das zu unterscheiden, kann man Hunden beibringen." Mehr noch: "Hunde erkennen auch den Unterschied zwischen Training und Wettkampf. Sie geben dann noch mehr Gas." Woran das liegt? "Hunde erkennen die Anspannung des anderen Teammitgliedes."

Canicross als reinen Hochleistungssport zu betrachten, wäre falsch. So, als wäre Skifahren nur das Hahnenkamm-Rennen. Oder Fußball nur Lionel Messi: Als Laufsport wäre Canicross breitensportkompatibel. Anderswo, seufzt Gerstl neidvoll, sei es das auch. Während es in Österreich, "wenn es hochkommt, 100 Aktive gibt", von denen nur ein paar Handvoll zu den zehn Rennen pro Jahr kommen, seien in Frankreich oder den Beneluxländern Canicross-Bewerbe Volkslaufevents, bei denen auch Dackel, Pudel und Co mit von der Partie sind: "Jeder Hund kann, fast jeder will." Markus Gerstls Mutter führte einst ein Tierheim. Der Speedrunner ist deshalb schon froh, wenn ein Durchschnittshund seinen täglichen Spaziergang bekommt. Dennoch: "Gehen ist fad, ein Hund will zumindest traben." Und ab und zu auch Vollgas geben: "Im Rahmen ihrer Kräfte und Ausdauer – das ist von Rasse zu Rasse und von Hund zu Hund verschieden."

Bei "gut" domestizierten Hunden brauche es anfangs aber mitunter Tricks. Als Gerstls heute zwölfjähriger Langhaar-Weimaraner Finn Ziehen lernen sollte, sah der junge Rüde seinen Besitzer nur fragend an: "Nebeneinander laufen: okay. Aber wenn du hinter mir bremst, passe ich mich deinem Tempo an", hieß dieser treu-brave Hundeblick. Gerstl setzte ein kleines ferngesteuertes Auto vor Finn auf die Prater-Hauptallee – und Finn zog: "Ja, das sah seltsam aus." Heute läuft bei Anfängertrainings meist ein Mensch vor. Oder die neuen Hunde folgen einem Hund-Mensch-Gespann. "Canicross geht nur mit Hunden, die ‚funktionieren‘, die also gut erzogen sind."

Lauf, Doggo, lauf!
Foto: Balli Forever/Barbara Mladik

Über 40 km/h

Auch weil der Sport bei seinen anderen Spielarten sonst "lebensgefährlich werden kann" (Petra Bergauer): Beim Bikejöring (also auf dem Mountainbike) erreicht man Geschwindigkeiten über 40 km/h. Ähnlich ist es beim Scooterjöring (auf einem Tretroller mit Fahrradreifen) oder mit Langlaufskiern (Skikjöring): Beim Joggen mit "normaler" Leine könnte man den Strick zur Not loslassen – hier nicht. Und wenn bei Wettkämpfen mit 30-Sekunden-Abständen gestartet wird, schaukelt sich bei Bewerben wie einer EM mit über 700 Teams die Nervosität bei Mensch und Tier hoch: "Der tut nix, der will nur spielen", gilt hier nicht.

Auch im "zivilen" Alltag. Etwa wenn Spaziergänger Christian Herrmanns Boardercollie Ted retten wollen, wenn der mit seinem Herrchen über Wege und im südlichen Wienerwald fetzt: "Was der Hund draufhat, ‚derlaufe‘ ich ja gar nicht", lacht der (Menschen-)Lauftrainer und attestiert denen, die ihn aufhalten wollen, gute Absichten – aber eben auch Ahnungslosigkeit: "Einen Hund hinter dem Rad, einem Roller oder gar einem Auto herzuschleifen ist aus gutem Grund verboten: Das ist pure Tierquälerei. Aber wenn er so zieht, ist es genau das Gegenteil. Ich bin sicher: Da ist er glücklich." (Tom Rottenberg, 13.1.2023)