Günther Domenig mit Sonden im Rahmen eines Kunstprojekts.

Foto: Dietmar Tanterl, Helmut Tezak

Das Bild des einsamen, vorzugsweise männlichen Genies will und will nicht aus unseren Vorstellungen über Architektur verschwinden. Erst recht nicht, wenn jene sich besonders künstlerisch aufführt, und erst recht nicht im patriarchalen Österreich. Der 1934 in Kärnten geborene und 2012 verstorbene Günther Domenig bot dafür die perfekte Projektionsfläche. Störrisch, widerborstig, cholerisch und schwärmerisch die Person, expressiv in den Raum schießend und organisch zerfließend die Architektur. Und Herr Professor war er auch noch.

Neue Dimension

"Dimensional – von Gebäuden und Gebilden", der große Reigen an Events, der im letzten Jahr in Kärnten anlässlich des zehnten Todestags des Architekten stattfand, kratzte nicht an diesem Heiligenbild, sondern verstärkte es nur noch mehr. Mit Literatur und Tanz im Begleitprogramm wurde Architektur als Kunst interpretiert, entsprungen aus einem singulären Gehirn. Es erstaunte dennoch, dass trotz des astronomischen Ausstellungsbudgets von rund einer Million Euro vieles fehlte, nämlich das Umfeld des Meisters. All die Mitarbeiterinnen, Partner, Auftraggeber, Ideengeberinnen und Ideenumsetzer, die es in der Architektur nun eben gibt, und die so oft ausgeblendet werden, weil sich Heldengeschichten besser erzählen lassen. Doch jetzt gibt es eine zweite Ausstellung, auf neutralem Boden zwischen Wien und Graz, nämlich im Kunsthaus Mürz, die beweist, wie packend man die Lebens- und Schaffensgeschichte eines Mannes erzählen kann, wenn man über alle anderen redet außer über ihn selbst. "Das Wort Wir existierte in Günther Domenigs Sprachgebrauch nicht", sagt Michael Zinganel, der die Idee zu dieser Gegenausstellung zu den Domenig-Festspielen hatte und sie folgerichtig Wir Günther Domenig nannte. Da weiß man sofort: Hier wird eine Selbstmythologisierung dekonstruiert.

Zinganel, selbst eine Zeitlang Mitarbeiter im Büro Domenigs, konnte einfach nicht anders, sagte er. Einige Weggefährten des Architekten, die für die große Domenig-Schau in Kärnten nicht oder zu spät angefragt wurden, hätten sich an ihn gewandt. Sie waren an der richtigen Adresse, denn Zinganel ist nicht nur ein profunder Kenner von allem, was hinter den Kulissen österreichischer Architektur passiert, sondern auch ein großer Geschichtenerzähler.

Mythos Domenig

Geschichten gibt es wahrlich genug, wenn man die Biografie Domenigs in dutzende parallele Einzelbiografien auffächert. Da wären natürlich die offiziellen Partner Eilfried Huth, Hermann Eisenköck und Gerhard Wallner, mit denen Domenig im Laufe der Jahrzehnte seine Büros führte. Da wären Generationen von Architektinnen, die in seinem Büro oder am Institut der TU Graz, das er von 1980 bis 2000 leitete, mitarbeiteten.

Da wären die Auftraggeber, die ihm wohlgesonnen waren, obwohl er sich als von ihnen unverstanden und unterdrückt inszenierte. Da wären die Politiker, die ihn mal förderten, mal vor dem Konkurs retteten, und die Kulturindustrie, die den Mythos Domenig begeistert verstärkte.

Gütige Geister

Domenigs Karriere entstand nicht aus dem Nichts, sie wurde von gütigen Geistern begleitet. Den Grundstein legte die Beton-Symphonie der Pfarrkirche in Oberwart (1969, gemeinsam mit Eilfried Huth), die von den brutalistischen Gotteshäusern des Schweizer Architekten Walter Förderer inspiriert war und, ebenso wie das organische Walgerippe des Mehrzwecksaals der Grazer Schulschwestern (1977), ermöglicht wurde durch aufgeschlossene Vertreter einer vom Zweiten Vatikanischen Konzil befreiten Kirche.

Nicht nur bei der Kirche, auch bei der Politik profitierte Domenig von der Ära einer Aufbruchsstimmung. "Hätte der damalige Landeshauptmann Josef Krainer nicht den progressiven Wolf-Dieter Dreibholz in die Bauabteilung des Landes geholt, hätte es das Modell Steiermark nicht gegeben, keine Offensive in den Bildungsbauten des Bundes, keine Professionalisierung des Wettbewerbswesens, kein HDA (Haus der Architektur)", sagt Zinganel. "Die Karriere Günther Domenigs hätte sich ganz anders entwickelt."

Domenig-Mitarbeiter mit einem Flugobjekt.
Foto: Dietmar Tanterl, Helmut Tezak

Kultureller Olymp

Als Turbobeschleunigung des Domenig-Ruhms, so Zinganel, fungierte schließlich die Ausstellung im Wiener Mak 1987, die sich allein dem weit von der Fertigstellung entfernten Steinhaus widmete, ermöglicht vom damaligen Mak-Direktor Peter Noever, dem das Zelebrieren virilen Künstler-Draufgängertums nicht gerade fremd ist. Eine Ausstellung über ein einziges, nicht einmal fertiges Haus, die eine heute kaum denkbare Medienresonanz in Funk und Fernsehen hervorrief.

Domenig war somit in den kulturellen Olymp des Landes aufgenommen worden. Eine wichtige Rolle übernahm dabei die ORF-Journalistin Krista Fleischmann, die den rhetorisch unberechenbaren und eher instinktiven als intellektuellen Domenig zähmte und ihm kohärente Interviewaussagen entlockte, die für die Wiener Gesellschaft akzeptabel waren.

Die vielfach verästelten und sich überschneidenden Einzelbiografien kommen mal im O-Ton zu Wort, mal werden sie in knappen, aber aussagekräftigen Worten umrissen. Manche, wie etwa Volker Giencke, wurden später selbst Professoren, für andere endete der gemeinsame Weg abrupt und im Streit. Mit ihnen überwarf sich der zänkische Architekt, mal wollte er Mitarbeiter aus Trotz nicht bezahlen, mal ihre kreative Beteiligung nicht anerkennen.

Ein episches Stück Geschichte

So erzählt die mit einer Fülle an Plänen, Fotografien, Zeichnungen und Modellen angereicherte und trotzdem übersichtliche Ausstellung ein episches Stück kärntnerisch-steirisch-österreichischer Kulturgeschichte. Eine Reise durch das Sonnensystem des Wir, die das große Ich in seiner Mitte immer nur touchiert, dabei aber trotz aller Ego-Korrektur ausgesprochen fair bleibt und jede posthume Abrechnung vermeidet.

Schließlich, so Zinganel, ginge es ihm nicht darum, ein Idol vom Sockel zu stoßen, sondern um die Darstellung der Prozesse, die Architektur möglich machen. Am Schluss ist man um vieles klüger, und wenn man das Wir subtrahiert, bleibt immer noch reichlich Domenig übrig.

Eine unterhaltsame und dringend notwendige Korrektur, die man sich am liebsten gleich auch für viele andere mit dem furchtbaren Begriff "Stararchitekt" gebrandmarkte Personen wünscht. (Maik Novotny, 15.1.2023)